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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Naturforscher hauptsächlich deshalb nicht anerkennen, um nicht eine Revision
ihres Systems vornehmen zu müssen.

Der Verfasser erklärt schon im Anfange seines Buches seine Absicht, zu
beweisen, daß kein Unterschied stattfinde zwischen Wissen und Glauben, und
daß die entgegengesetzte, weit verbreitete Ansicht irrig sei. Da der größte Theil
seiner Schrift nur Verneinungen fremder Ansichten, untermischt mit dem Vor¬
würfe enthält, daß diese nur zerstörender, nicht schaffender Natur seien, so
wird man natürlich auf die positiven Gedanken des Verfassers selbst immer ge¬
spannter. Wirklich findet man auch dort kaum irgendeine der üblichen Phrasen,
dagegen aber eine erschreckliche Wüstenei und Einöde. Wir haben zwar oft
wahrzunehmen geglaubt, daß frömmelnde Personen ihre unklaren Begriffe über
das Wesen des Glaubens durch Redensarten verhüllten, aber etwas so nüch¬
ternes und Oberflächliches von einem gebildeten Geistlichen zu hören, mußte
uns sehr befremden. Sollte wirklich seine Glaubensrichtung allgemein zu sol¬
chen Ansichten führen? Das erscheint uns doch fast unglaublich!

Mau könne, sagt uns der Verfasser, alles bezweifeln bis auf das Denken,
aber dieses selbst müsse in Frage gestellt werden, wenn nur das verstandes¬
mäßig Erwiesene Geltung haben solle. Wie aber bei diesem Fundamental-
bcgriffe alles Wissens müsse man in jeder einzelnen Wissenschaft von Ariomen
ausgehen, welche nicht bewiesen werden könnten, dennoch aber geglaubt wür¬
den. Alles Beweisen sei also nichts, als die Zurückführung irgendeiner Wahr¬
heit auf die gläubig angenommene Denknothwendigkeit des menschlichen Geistes,
nichts als eine subjective Vergewisserung, daß etwas wahr und wirklich sei;
selbst Glaube und Unglaube wurzelten daher schließlich in demselben Princip
der Erkenntniß. In jedem Erkenntnißacte nämlich, sinnlicher wie übersinnlicher
Art, seien die Seelenthätigkeiten zu unterscheiden; zuerst komme die Wahr¬
nehmung, dann der Beifall, die Bejahung des Wahrgenommenen, endlich der
logische Schluß, die eigentliche Erkenntniß; die Reihenfolge sei also stets 8vnd>us,
s>ach, iritvlleetus. Der inneren Wahrnehmung aber, auf welcher der Glaube
beruhe, komme eine viel höhere Realität und Evidenz zu, als der sinnlichen;
doch müsse man sie nicht von vornherein leugnen, sondern ihr stille halten
und lauschen, sonst erführe man in seinem Leben nichts von ihr, sondern bleibe
ein geistiger und geistlicher Nichtswisser. Die Existenz des Ucberstnnlichen
könne nicht bewiesen werden, sondern man könne dieselbe nur entweder
glauben oder nicht glauben, ein Mittelding sei nicht denkbar und deshalb auch
in religiösen Dingen kein Gegensatz zwischen Glauben und Wissen. Wer an
die Worte des Lehrers nicht glaube, könne überhaupt nichts lernen und nichts
wissen, überall sei der Glaube an Ariome vorausgesetzt, also sei in keiner Weise
einzusehen, warum es leichter und vernünftiger wäre, die Realität des Sinn¬
lichen zu glauben, als die des Uebersinnlichen. Aber nothwendig sei es, des


Naturforscher hauptsächlich deshalb nicht anerkennen, um nicht eine Revision
ihres Systems vornehmen zu müssen.

Der Verfasser erklärt schon im Anfange seines Buches seine Absicht, zu
beweisen, daß kein Unterschied stattfinde zwischen Wissen und Glauben, und
daß die entgegengesetzte, weit verbreitete Ansicht irrig sei. Da der größte Theil
seiner Schrift nur Verneinungen fremder Ansichten, untermischt mit dem Vor¬
würfe enthält, daß diese nur zerstörender, nicht schaffender Natur seien, so
wird man natürlich auf die positiven Gedanken des Verfassers selbst immer ge¬
spannter. Wirklich findet man auch dort kaum irgendeine der üblichen Phrasen,
dagegen aber eine erschreckliche Wüstenei und Einöde. Wir haben zwar oft
wahrzunehmen geglaubt, daß frömmelnde Personen ihre unklaren Begriffe über
das Wesen des Glaubens durch Redensarten verhüllten, aber etwas so nüch¬
ternes und Oberflächliches von einem gebildeten Geistlichen zu hören, mußte
uns sehr befremden. Sollte wirklich seine Glaubensrichtung allgemein zu sol¬
chen Ansichten führen? Das erscheint uns doch fast unglaublich!

Mau könne, sagt uns der Verfasser, alles bezweifeln bis auf das Denken,
aber dieses selbst müsse in Frage gestellt werden, wenn nur das verstandes¬
mäßig Erwiesene Geltung haben solle. Wie aber bei diesem Fundamental-
bcgriffe alles Wissens müsse man in jeder einzelnen Wissenschaft von Ariomen
ausgehen, welche nicht bewiesen werden könnten, dennoch aber geglaubt wür¬
den. Alles Beweisen sei also nichts, als die Zurückführung irgendeiner Wahr¬
heit auf die gläubig angenommene Denknothwendigkeit des menschlichen Geistes,
nichts als eine subjective Vergewisserung, daß etwas wahr und wirklich sei;
selbst Glaube und Unglaube wurzelten daher schließlich in demselben Princip
der Erkenntniß. In jedem Erkenntnißacte nämlich, sinnlicher wie übersinnlicher
Art, seien die Seelenthätigkeiten zu unterscheiden; zuerst komme die Wahr¬
nehmung, dann der Beifall, die Bejahung des Wahrgenommenen, endlich der
logische Schluß, die eigentliche Erkenntniß; die Reihenfolge sei also stets 8vnd>us,
s>ach, iritvlleetus. Der inneren Wahrnehmung aber, auf welcher der Glaube
beruhe, komme eine viel höhere Realität und Evidenz zu, als der sinnlichen;
doch müsse man sie nicht von vornherein leugnen, sondern ihr stille halten
und lauschen, sonst erführe man in seinem Leben nichts von ihr, sondern bleibe
ein geistiger und geistlicher Nichtswisser. Die Existenz des Ucberstnnlichen
könne nicht bewiesen werden, sondern man könne dieselbe nur entweder
glauben oder nicht glauben, ein Mittelding sei nicht denkbar und deshalb auch
in religiösen Dingen kein Gegensatz zwischen Glauben und Wissen. Wer an
die Worte des Lehrers nicht glaube, könne überhaupt nichts lernen und nichts
wissen, überall sei der Glaube an Ariome vorausgesetzt, also sei in keiner Weise
einzusehen, warum es leichter und vernünftiger wäre, die Realität des Sinn¬
lichen zu glauben, als die des Uebersinnlichen. Aber nothwendig sei es, des


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[0182] Naturforscher hauptsächlich deshalb nicht anerkennen, um nicht eine Revision ihres Systems vornehmen zu müssen. Der Verfasser erklärt schon im Anfange seines Buches seine Absicht, zu beweisen, daß kein Unterschied stattfinde zwischen Wissen und Glauben, und daß die entgegengesetzte, weit verbreitete Ansicht irrig sei. Da der größte Theil seiner Schrift nur Verneinungen fremder Ansichten, untermischt mit dem Vor¬ würfe enthält, daß diese nur zerstörender, nicht schaffender Natur seien, so wird man natürlich auf die positiven Gedanken des Verfassers selbst immer ge¬ spannter. Wirklich findet man auch dort kaum irgendeine der üblichen Phrasen, dagegen aber eine erschreckliche Wüstenei und Einöde. Wir haben zwar oft wahrzunehmen geglaubt, daß frömmelnde Personen ihre unklaren Begriffe über das Wesen des Glaubens durch Redensarten verhüllten, aber etwas so nüch¬ ternes und Oberflächliches von einem gebildeten Geistlichen zu hören, mußte uns sehr befremden. Sollte wirklich seine Glaubensrichtung allgemein zu sol¬ chen Ansichten führen? Das erscheint uns doch fast unglaublich! Mau könne, sagt uns der Verfasser, alles bezweifeln bis auf das Denken, aber dieses selbst müsse in Frage gestellt werden, wenn nur das verstandes¬ mäßig Erwiesene Geltung haben solle. Wie aber bei diesem Fundamental- bcgriffe alles Wissens müsse man in jeder einzelnen Wissenschaft von Ariomen ausgehen, welche nicht bewiesen werden könnten, dennoch aber geglaubt wür¬ den. Alles Beweisen sei also nichts, als die Zurückführung irgendeiner Wahr¬ heit auf die gläubig angenommene Denknothwendigkeit des menschlichen Geistes, nichts als eine subjective Vergewisserung, daß etwas wahr und wirklich sei; selbst Glaube und Unglaube wurzelten daher schließlich in demselben Princip der Erkenntniß. In jedem Erkenntnißacte nämlich, sinnlicher wie übersinnlicher Art, seien die Seelenthätigkeiten zu unterscheiden; zuerst komme die Wahr¬ nehmung, dann der Beifall, die Bejahung des Wahrgenommenen, endlich der logische Schluß, die eigentliche Erkenntniß; die Reihenfolge sei also stets 8vnd>us, s>ach, iritvlleetus. Der inneren Wahrnehmung aber, auf welcher der Glaube beruhe, komme eine viel höhere Realität und Evidenz zu, als der sinnlichen; doch müsse man sie nicht von vornherein leugnen, sondern ihr stille halten und lauschen, sonst erführe man in seinem Leben nichts von ihr, sondern bleibe ein geistiger und geistlicher Nichtswisser. Die Existenz des Ucberstnnlichen könne nicht bewiesen werden, sondern man könne dieselbe nur entweder glauben oder nicht glauben, ein Mittelding sei nicht denkbar und deshalb auch in religiösen Dingen kein Gegensatz zwischen Glauben und Wissen. Wer an die Worte des Lehrers nicht glaube, könne überhaupt nichts lernen und nichts wissen, überall sei der Glaube an Ariome vorausgesetzt, also sei in keiner Weise einzusehen, warum es leichter und vernünftiger wäre, die Realität des Sinn¬ lichen zu glauben, als die des Uebersinnlichen. Aber nothwendig sei es, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/182>, abgerufen am 23.07.2024.