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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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einem frühern Artikel dieses Zusammenhangs die Rede war. Die Kirche ver¬
wandelte, wo sie die heidnischen Feste nicht zu vernichten oder sich nicht zu
assimiliren vermochte, die Ceremonien derselben entweder in Narrethei oder in
Zauberei und Teufelsspuk, wie sie die Götter, welche ihre Heiligenglorie nicht
annehmen wollte, entweder zu lustigen Fratzen und Kinderscheuchen oder zu
Teufeln und Gespenstern herabsetzte. Die Fastnacht ist, wenn man von ihr
das römische und das christliche Element, das unzweifelhaft in ihr vorhanden
ist, abzieht, ein Stück jener Narrethei, der Tanz und Schmaus der Heren
auf dem Blocks berge ein Stück jenes Teufelsspuks, zu dem das hier früher, dort
später abgehaltene, hier dem Wuotan, dort vielleicht dem sommerlichen Gotte
Fro, dort endlich her Erdmutter Bertha oder Holda zu Ehren gefeierte Früh-
lingsfest herabgesunken war.

Von mittelalterlichen Schriftstellern wird der Fastnachtszug gradezu als
Darstellung des wilden Heeres bezeichnet und daß dieser Ausdruck nicht blos
symbolisch gemeint war, läßt sich aus mancherlei Ueberbleibseln der alten Sitte
vermuthen. Wir zählen, indem wir das wilde Heer als eine Verdüsterung
des Umzugs Wuotans oder Frau Holles auffassen, dahin zunächst den alten
fränkischen Gebrauch, nach welchem man am Fastnachtsabcnd einen feurigen
Pflug (das Symbol BerthaS) so lange umherzog, bis er in Trümmer fiel. Ferner
gehört hierher das Schiff, welches in den Niederlanden und noch in der neue¬
sten Zeit in Ulm zu Fastnacht umhergeführt wurde; denn auch das Schiff war,
wie bereits bemerkt, ein Attribut jener Göttin und die Geistlichen wußten das;
denn sie nannten es ein "Teufelsschiff". Sodann mag hier der Zimberts-
feier in der Grafschaft Mark gedacht werden, in deren Namen schon ein An¬
klang an die Göttin Bertha gefunden werden könnte. Dieselbe findet am
Donnerstag vor Fastnachten statt, wird am Rhein Hubestofent oder Mötzen-
bestohd, auch Weiberfastnacht genannt und bestand früher darin, daß die Bur¬
schen des Dorfes, einen Anführer mit einem Spieße voran, einHerzogen und
mit einem Bettelliede Gaben einsammelten, die in Fischen und Mehlklößen be¬
standen. Man machte dabei einen großen Lärm und zündete den Mädchen,
die ihren Rocken nicht rein abgesponnen hatten, den daraus noch befindlichen
Flachs an, damit Bertha, die zu dieser Zeit ebenfalls umherziehend gedacht
wurde, um die Fleißigen zu belohnen und die Faulen zu bestrafen, nicht Ur¬
sache zu letzterem habe. Bei Köln reißen sich an diesem Tage die Weiber ein¬
ander die Mützen vom Kopfe und lausen mit fliegenden Haaren wie Bachan-
tinnen umher.

Die eigentliche Fastnacht ist im katholischen Deutschland noch all¬
gemein ein Fest der Mummerei und der tollsten Ausgelassenheit. Man hat die
Verkleidungen mit der römischen Sitte, die Ausgelassenheit damit erklärt, daß
man sich noch einmal recht austoben und noch einmal recht zechen und schmau-


einem frühern Artikel dieses Zusammenhangs die Rede war. Die Kirche ver¬
wandelte, wo sie die heidnischen Feste nicht zu vernichten oder sich nicht zu
assimiliren vermochte, die Ceremonien derselben entweder in Narrethei oder in
Zauberei und Teufelsspuk, wie sie die Götter, welche ihre Heiligenglorie nicht
annehmen wollte, entweder zu lustigen Fratzen und Kinderscheuchen oder zu
Teufeln und Gespenstern herabsetzte. Die Fastnacht ist, wenn man von ihr
das römische und das christliche Element, das unzweifelhaft in ihr vorhanden
ist, abzieht, ein Stück jener Narrethei, der Tanz und Schmaus der Heren
auf dem Blocks berge ein Stück jenes Teufelsspuks, zu dem das hier früher, dort
später abgehaltene, hier dem Wuotan, dort vielleicht dem sommerlichen Gotte
Fro, dort endlich her Erdmutter Bertha oder Holda zu Ehren gefeierte Früh-
lingsfest herabgesunken war.

Von mittelalterlichen Schriftstellern wird der Fastnachtszug gradezu als
Darstellung des wilden Heeres bezeichnet und daß dieser Ausdruck nicht blos
symbolisch gemeint war, läßt sich aus mancherlei Ueberbleibseln der alten Sitte
vermuthen. Wir zählen, indem wir das wilde Heer als eine Verdüsterung
des Umzugs Wuotans oder Frau Holles auffassen, dahin zunächst den alten
fränkischen Gebrauch, nach welchem man am Fastnachtsabcnd einen feurigen
Pflug (das Symbol BerthaS) so lange umherzog, bis er in Trümmer fiel. Ferner
gehört hierher das Schiff, welches in den Niederlanden und noch in der neue¬
sten Zeit in Ulm zu Fastnacht umhergeführt wurde; denn auch das Schiff war,
wie bereits bemerkt, ein Attribut jener Göttin und die Geistlichen wußten das;
denn sie nannten es ein „Teufelsschiff". Sodann mag hier der Zimberts-
feier in der Grafschaft Mark gedacht werden, in deren Namen schon ein An¬
klang an die Göttin Bertha gefunden werden könnte. Dieselbe findet am
Donnerstag vor Fastnachten statt, wird am Rhein Hubestofent oder Mötzen-
bestohd, auch Weiberfastnacht genannt und bestand früher darin, daß die Bur¬
schen des Dorfes, einen Anführer mit einem Spieße voran, einHerzogen und
mit einem Bettelliede Gaben einsammelten, die in Fischen und Mehlklößen be¬
standen. Man machte dabei einen großen Lärm und zündete den Mädchen,
die ihren Rocken nicht rein abgesponnen hatten, den daraus noch befindlichen
Flachs an, damit Bertha, die zu dieser Zeit ebenfalls umherziehend gedacht
wurde, um die Fleißigen zu belohnen und die Faulen zu bestrafen, nicht Ur¬
sache zu letzterem habe. Bei Köln reißen sich an diesem Tage die Weiber ein¬
ander die Mützen vom Kopfe und lausen mit fliegenden Haaren wie Bachan-
tinnen umher.

Die eigentliche Fastnacht ist im katholischen Deutschland noch all¬
gemein ein Fest der Mummerei und der tollsten Ausgelassenheit. Man hat die
Verkleidungen mit der römischen Sitte, die Ausgelassenheit damit erklärt, daß
man sich noch einmal recht austoben und noch einmal recht zechen und schmau-


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[0173] einem frühern Artikel dieses Zusammenhangs die Rede war. Die Kirche ver¬ wandelte, wo sie die heidnischen Feste nicht zu vernichten oder sich nicht zu assimiliren vermochte, die Ceremonien derselben entweder in Narrethei oder in Zauberei und Teufelsspuk, wie sie die Götter, welche ihre Heiligenglorie nicht annehmen wollte, entweder zu lustigen Fratzen und Kinderscheuchen oder zu Teufeln und Gespenstern herabsetzte. Die Fastnacht ist, wenn man von ihr das römische und das christliche Element, das unzweifelhaft in ihr vorhanden ist, abzieht, ein Stück jener Narrethei, der Tanz und Schmaus der Heren auf dem Blocks berge ein Stück jenes Teufelsspuks, zu dem das hier früher, dort später abgehaltene, hier dem Wuotan, dort vielleicht dem sommerlichen Gotte Fro, dort endlich her Erdmutter Bertha oder Holda zu Ehren gefeierte Früh- lingsfest herabgesunken war. Von mittelalterlichen Schriftstellern wird der Fastnachtszug gradezu als Darstellung des wilden Heeres bezeichnet und daß dieser Ausdruck nicht blos symbolisch gemeint war, läßt sich aus mancherlei Ueberbleibseln der alten Sitte vermuthen. Wir zählen, indem wir das wilde Heer als eine Verdüsterung des Umzugs Wuotans oder Frau Holles auffassen, dahin zunächst den alten fränkischen Gebrauch, nach welchem man am Fastnachtsabcnd einen feurigen Pflug (das Symbol BerthaS) so lange umherzog, bis er in Trümmer fiel. Ferner gehört hierher das Schiff, welches in den Niederlanden und noch in der neue¬ sten Zeit in Ulm zu Fastnacht umhergeführt wurde; denn auch das Schiff war, wie bereits bemerkt, ein Attribut jener Göttin und die Geistlichen wußten das; denn sie nannten es ein „Teufelsschiff". Sodann mag hier der Zimberts- feier in der Grafschaft Mark gedacht werden, in deren Namen schon ein An¬ klang an die Göttin Bertha gefunden werden könnte. Dieselbe findet am Donnerstag vor Fastnachten statt, wird am Rhein Hubestofent oder Mötzen- bestohd, auch Weiberfastnacht genannt und bestand früher darin, daß die Bur¬ schen des Dorfes, einen Anführer mit einem Spieße voran, einHerzogen und mit einem Bettelliede Gaben einsammelten, die in Fischen und Mehlklößen be¬ standen. Man machte dabei einen großen Lärm und zündete den Mädchen, die ihren Rocken nicht rein abgesponnen hatten, den daraus noch befindlichen Flachs an, damit Bertha, die zu dieser Zeit ebenfalls umherziehend gedacht wurde, um die Fleißigen zu belohnen und die Faulen zu bestrafen, nicht Ur¬ sache zu letzterem habe. Bei Köln reißen sich an diesem Tage die Weiber ein¬ ander die Mützen vom Kopfe und lausen mit fliegenden Haaren wie Bachan- tinnen umher. Die eigentliche Fastnacht ist im katholischen Deutschland noch all¬ gemein ein Fest der Mummerei und der tollsten Ausgelassenheit. Man hat die Verkleidungen mit der römischen Sitte, die Ausgelassenheit damit erklärt, daß man sich noch einmal recht austoben und noch einmal recht zechen und schmau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/173>, abgerufen am 25.08.2024.