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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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bei Sonnenaufgang klopfte der Hausvater mit einem Krcuzhammer an die Eck¬
pfosten der Gebäude in seinem Gehöfte und sprach dazu:


> "HeruS, berus, senis!
Schlangen us Stall und Huf!
Schlangen und Viemöllcu
Hie nit Herbergen stillen.
Sant Peter und die licve Frau
Verbiet und Hus und Hof und A".
Niemvil und Schlangen sermo!
lieber Land und Sand,
Durch Hecken und Serres,
Durch Lobs und Gras,
In die dieveu Küsten,
Da sollt ihr "erfühlen."


Dieser Brauch wird im Siegnerlanddas "Sntvugeljagen " genannt
und kann zu einer andern Ceremonie des heidnischen Frühlingsfestes, dem
Austreiben oder Austragen deS Todes oder Winters gestellt werde".

Von größter Wichtigkeit für die Feststellung der Gestalt jenes Frühlings-
festes der germanischen Heiden ist die Sitte deS sogenannten Buten br cuneus,
die früher in NordsrieSland herrschte und die wir mit dem schwäbischen Fun¬
kentage zusammenhalten dürfen. Am Tage Petri Stuhlfeier zündete man
auf der schleswigschen Insel Sitt auf gewissen Hügeln große Feuer an und
die Schiffer, die am nächsten Morgen wieder in See gingen, tanzten mit
ihren Frauen und Bräuten um die Flammen, indem sie dabei brennende Stroh¬
wische schwangen und in einem fort "Wedketeare! oder "Vile lare!" d. h. liebes
Wodanchen, riefen. Die Morsumer brannten ihr Feuer auf dem Hilligenhoog,
d. i. Heiligenhügel ab, die Keitumer auf dem Wcdes- oder Winjshoog. Noch
im vorigen Jahrhundert wurde das Fest auf der ganzen Insel gefeiert und
am Tage nachher gezecht und geschmaust. Der Eifer der Prediger vermochte
nichts zur Ausrottung. Da geschah es einst, als die Rantumer wie gewöhnlich
in der-Nacht vor dem Petritage den Wede angerufen und sein Feuer angezün¬
det hatten, daß sie, heimgekehrt und zu Bett gegangen, Plötzlich geweckt wurden
und zu ihrem Erstaunen auf dem Berge abermals eine gewaltige Flamme
emporlodern sahen. Sie eilten hin, um sie zu löschen. Da erblickten sie ein
schwarzes Ungethüm, gleich einem ungeheueni Pudel auf der Höhe und weil
sie nun fürchteten, es sei der Teufel, so gelobten sie, daS Biikenbrennen fürder-
hin sein zu lassen. Die andern Dörfer folgten ihrem Beispiel. ' Die Kinder
jedoch setzten die Sitte hin und wieder fort und aufWesterlandsöhr und Ober-
landsilt zünden sie noch heute am SA. Februar die Feuer an.

Man vergleiche hiermit den Umstand, daß an demselben Tage früher auf
Sitt das große Frühlingsthing (Thing --Volksversammlung zum Zwecke der Ge¬
richtspflege) gehalten wurde und man hat dasselbe Fest vor sich, welches in
andern Gegenden mit der Fastnacht oder dem ihr folgenden Sonntage, wieder
in andern mit Ostern oder mit der Walpurgisnacht verbunden, aus dem Heiden-
thum ins Christenthum hereinragt und halten wir dies fest, so liegt der Schluß
nicht fern, daß der Narrenzug der Fastnacht manchen seiner Grundbestandtheile
nach kein andrer, als der Herenzug nach dem Blocksberge ist, von dem in


bei Sonnenaufgang klopfte der Hausvater mit einem Krcuzhammer an die Eck¬
pfosten der Gebäude in seinem Gehöfte und sprach dazu:


> „HeruS, berus, senis!
Schlangen us Stall und Huf!
Schlangen und Viemöllcu
Hie nit Herbergen stillen.
Sant Peter und die licve Frau
Verbiet und Hus und Hof und A».
Niemvil und Schlangen sermo!
lieber Land und Sand,
Durch Hecken und Serres,
Durch Lobs und Gras,
In die dieveu Küsten,
Da sollt ihr »erfühlen."


Dieser Brauch wird im Siegnerlanddas „Sntvugeljagen " genannt
und kann zu einer andern Ceremonie des heidnischen Frühlingsfestes, dem
Austreiben oder Austragen deS Todes oder Winters gestellt werde».

Von größter Wichtigkeit für die Feststellung der Gestalt jenes Frühlings-
festes der germanischen Heiden ist die Sitte deS sogenannten Buten br cuneus,
die früher in NordsrieSland herrschte und die wir mit dem schwäbischen Fun¬
kentage zusammenhalten dürfen. Am Tage Petri Stuhlfeier zündete man
auf der schleswigschen Insel Sitt auf gewissen Hügeln große Feuer an und
die Schiffer, die am nächsten Morgen wieder in See gingen, tanzten mit
ihren Frauen und Bräuten um die Flammen, indem sie dabei brennende Stroh¬
wische schwangen und in einem fort „Wedketeare! oder „Vile lare!" d. h. liebes
Wodanchen, riefen. Die Morsumer brannten ihr Feuer auf dem Hilligenhoog,
d. i. Heiligenhügel ab, die Keitumer auf dem Wcdes- oder Winjshoog. Noch
im vorigen Jahrhundert wurde das Fest auf der ganzen Insel gefeiert und
am Tage nachher gezecht und geschmaust. Der Eifer der Prediger vermochte
nichts zur Ausrottung. Da geschah es einst, als die Rantumer wie gewöhnlich
in der-Nacht vor dem Petritage den Wede angerufen und sein Feuer angezün¬
det hatten, daß sie, heimgekehrt und zu Bett gegangen, Plötzlich geweckt wurden
und zu ihrem Erstaunen auf dem Berge abermals eine gewaltige Flamme
emporlodern sahen. Sie eilten hin, um sie zu löschen. Da erblickten sie ein
schwarzes Ungethüm, gleich einem ungeheueni Pudel auf der Höhe und weil
sie nun fürchteten, es sei der Teufel, so gelobten sie, daS Biikenbrennen fürder-
hin sein zu lassen. Die andern Dörfer folgten ihrem Beispiel. ' Die Kinder
jedoch setzten die Sitte hin und wieder fort und aufWesterlandsöhr und Ober-
landsilt zünden sie noch heute am SA. Februar die Feuer an.

Man vergleiche hiermit den Umstand, daß an demselben Tage früher auf
Sitt das große Frühlingsthing (Thing —Volksversammlung zum Zwecke der Ge¬
richtspflege) gehalten wurde und man hat dasselbe Fest vor sich, welches in
andern Gegenden mit der Fastnacht oder dem ihr folgenden Sonntage, wieder
in andern mit Ostern oder mit der Walpurgisnacht verbunden, aus dem Heiden-
thum ins Christenthum hereinragt und halten wir dies fest, so liegt der Schluß
nicht fern, daß der Narrenzug der Fastnacht manchen seiner Grundbestandtheile
nach kein andrer, als der Herenzug nach dem Blocksberge ist, von dem in


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[0172] bei Sonnenaufgang klopfte der Hausvater mit einem Krcuzhammer an die Eck¬ pfosten der Gebäude in seinem Gehöfte und sprach dazu: > „HeruS, berus, senis! Schlangen us Stall und Huf! Schlangen und Viemöllcu Hie nit Herbergen stillen. Sant Peter und die licve Frau Verbiet und Hus und Hof und A». Niemvil und Schlangen sermo! lieber Land und Sand, Durch Hecken und Serres, Durch Lobs und Gras, In die dieveu Küsten, Da sollt ihr »erfühlen." Dieser Brauch wird im Siegnerlanddas „Sntvugeljagen " genannt und kann zu einer andern Ceremonie des heidnischen Frühlingsfestes, dem Austreiben oder Austragen deS Todes oder Winters gestellt werde». Von größter Wichtigkeit für die Feststellung der Gestalt jenes Frühlings- festes der germanischen Heiden ist die Sitte deS sogenannten Buten br cuneus, die früher in NordsrieSland herrschte und die wir mit dem schwäbischen Fun¬ kentage zusammenhalten dürfen. Am Tage Petri Stuhlfeier zündete man auf der schleswigschen Insel Sitt auf gewissen Hügeln große Feuer an und die Schiffer, die am nächsten Morgen wieder in See gingen, tanzten mit ihren Frauen und Bräuten um die Flammen, indem sie dabei brennende Stroh¬ wische schwangen und in einem fort „Wedketeare! oder „Vile lare!" d. h. liebes Wodanchen, riefen. Die Morsumer brannten ihr Feuer auf dem Hilligenhoog, d. i. Heiligenhügel ab, die Keitumer auf dem Wcdes- oder Winjshoog. Noch im vorigen Jahrhundert wurde das Fest auf der ganzen Insel gefeiert und am Tage nachher gezecht und geschmaust. Der Eifer der Prediger vermochte nichts zur Ausrottung. Da geschah es einst, als die Rantumer wie gewöhnlich in der-Nacht vor dem Petritage den Wede angerufen und sein Feuer angezün¬ det hatten, daß sie, heimgekehrt und zu Bett gegangen, Plötzlich geweckt wurden und zu ihrem Erstaunen auf dem Berge abermals eine gewaltige Flamme emporlodern sahen. Sie eilten hin, um sie zu löschen. Da erblickten sie ein schwarzes Ungethüm, gleich einem ungeheueni Pudel auf der Höhe und weil sie nun fürchteten, es sei der Teufel, so gelobten sie, daS Biikenbrennen fürder- hin sein zu lassen. Die andern Dörfer folgten ihrem Beispiel. ' Die Kinder jedoch setzten die Sitte hin und wieder fort und aufWesterlandsöhr und Ober- landsilt zünden sie noch heute am SA. Februar die Feuer an. Man vergleiche hiermit den Umstand, daß an demselben Tage früher auf Sitt das große Frühlingsthing (Thing —Volksversammlung zum Zwecke der Ge¬ richtspflege) gehalten wurde und man hat dasselbe Fest vor sich, welches in andern Gegenden mit der Fastnacht oder dem ihr folgenden Sonntage, wieder in andern mit Ostern oder mit der Walpurgisnacht verbunden, aus dem Heiden- thum ins Christenthum hereinragt und halten wir dies fest, so liegt der Schluß nicht fern, daß der Narrenzug der Fastnacht manchen seiner Grundbestandtheile nach kein andrer, als der Herenzug nach dem Blocksberge ist, von dem in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/172>, abgerufen am 25.08.2024.