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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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hat, kommt doch erst in zweiter Linie. Einzelne Scenen aus dem Privatleben
des großen Mannes sind köstlich; sie zeigen, daß seine Naturkraft, wo es sich
um bestimmte Fragen handelte, durchaus nicht geschwächt war. Dazu rech¬
nen wir namentlich seine Beziehungen zum Oberpräsidenten Vincke, mit dem
er nicht abgeneigt war, sich in den letzten 'Jahren seines Lebens noch
einmal zu duelliren. Ferner die Behandlung des zweideutigen Grasen
Reisach und ähnliches. Den ehrlichen, schlichten Charakter des Mannes
athmet die von ihm selbst entworfene Lebensbeschreibung, die der Herausgeber
in der Beilage S. 1S3 mittheilt. Vortrefflich ist die Darstellung seiner kurzen
diplomatischen Laufbahn. "Ich bat um meine Zurückberufung, da ich der
Diplomatie immer abgeneigt war, wegen der Wandelbarkeit der Politik der
Höfe, des Wechsels von Müßiggang und einer schlau berechneten Geschäftö-
thätigkeit, des Treibens, um Neuigkeiten und Geheimnisse zu erforschen, ver
Nothwendigkeit, in der großen Welt zu leben, mit ihren Genüssen und Be¬
schränkungen, Kleinlichkeiten und Langweile mich zu befassen und wegen mei¬
nes Hanges zur Unabhängigkeit und meiner Offenheit- und Reizbarkeit." --
Sehr hart und zum Theil von persönlicher Abneigung eingegeben ist seine
Charakteristik Hardenbergs. "Herr von Hardenberg hatte die Gutmüthigkeit
und Freundlichkeit sanguinischer, genuszliebender Menschen, einen Verstand, der
leicht faßte, Thätigkeit, ein vortheilhaftes Aeußere. Es fehlt aber seinem
Charakter sowol an einer moralischen, religiösen Base, als an Größe, inten¬
siver Kraft und Festigkeit,, seinem Verstand an Tiefe, seinen Kenntnissen an
Gründlichkeit, daher seine Schwäche, sein Uebermuth im Glück, seine weiner¬
liche Weichheit in Widerwärtigkeiten, seine Oberflächlichkeit, die durch seine
Sinnlichkeit, Stolz und Falschheit geleitet, so vieles Nebel verursachten. Er
entfernte alle tüchtigen Menschen, umgab sich nur mit mittelmäßigen, oft
schlechten, die ihn mißbrauchten und unanständig behandelten, seine Lieblings¬
unterhaltung waren unzüchtige Reden; der vertraute Umgang mit nichtswür¬
digen Weibern, die mit seinen grauen Haaren, seinem Stolz, seiner Würde
contrastirten, machte ihn noch verächtlicher; er untergrub den alte" preußischen
Geist der Sparsamkeit und deö Gehorsams und als er starb, hinterließ er die-
Finanzen zerrüttet und die Staatsgeschäfte in den Händen einer Ueberzahl schlecht
ausgewählter Beamten. Nicht nach dem Großen und Guten strebte er um des
Großen und Guten willen, sondern als Mittel zu eignem Ruhm, daher be¬
griff er es nicht, erreichte es nicht und ging dahin, nicht geachtet, nicht be¬
trauert."-- Einige interessante Notizen über andre Berühmtheiten kommen noch
vor. So bat z. B. 1824 Fr. Schlegel, der sich in Wien zurückgesetzt fand, den Frei¬
herrn um seine Protection beim russischen Hof und Görres suchte durch seine Ver¬
mittlung in preußischen Staatsdienst zu kommen. Von seiner Person wird uns
S. 1217 folgende Beschreibung Legeben. Der Leib, in welchem diese Feuerseele


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hat, kommt doch erst in zweiter Linie. Einzelne Scenen aus dem Privatleben
des großen Mannes sind köstlich; sie zeigen, daß seine Naturkraft, wo es sich
um bestimmte Fragen handelte, durchaus nicht geschwächt war. Dazu rech¬
nen wir namentlich seine Beziehungen zum Oberpräsidenten Vincke, mit dem
er nicht abgeneigt war, sich in den letzten 'Jahren seines Lebens noch
einmal zu duelliren. Ferner die Behandlung des zweideutigen Grasen
Reisach und ähnliches. Den ehrlichen, schlichten Charakter des Mannes
athmet die von ihm selbst entworfene Lebensbeschreibung, die der Herausgeber
in der Beilage S. 1S3 mittheilt. Vortrefflich ist die Darstellung seiner kurzen
diplomatischen Laufbahn. „Ich bat um meine Zurückberufung, da ich der
Diplomatie immer abgeneigt war, wegen der Wandelbarkeit der Politik der
Höfe, des Wechsels von Müßiggang und einer schlau berechneten Geschäftö-
thätigkeit, des Treibens, um Neuigkeiten und Geheimnisse zu erforschen, ver
Nothwendigkeit, in der großen Welt zu leben, mit ihren Genüssen und Be¬
schränkungen, Kleinlichkeiten und Langweile mich zu befassen und wegen mei¬
nes Hanges zur Unabhängigkeit und meiner Offenheit- und Reizbarkeit." —
Sehr hart und zum Theil von persönlicher Abneigung eingegeben ist seine
Charakteristik Hardenbergs. „Herr von Hardenberg hatte die Gutmüthigkeit
und Freundlichkeit sanguinischer, genuszliebender Menschen, einen Verstand, der
leicht faßte, Thätigkeit, ein vortheilhaftes Aeußere. Es fehlt aber seinem
Charakter sowol an einer moralischen, religiösen Base, als an Größe, inten¬
siver Kraft und Festigkeit,, seinem Verstand an Tiefe, seinen Kenntnissen an
Gründlichkeit, daher seine Schwäche, sein Uebermuth im Glück, seine weiner¬
liche Weichheit in Widerwärtigkeiten, seine Oberflächlichkeit, die durch seine
Sinnlichkeit, Stolz und Falschheit geleitet, so vieles Nebel verursachten. Er
entfernte alle tüchtigen Menschen, umgab sich nur mit mittelmäßigen, oft
schlechten, die ihn mißbrauchten und unanständig behandelten, seine Lieblings¬
unterhaltung waren unzüchtige Reden; der vertraute Umgang mit nichtswür¬
digen Weibern, die mit seinen grauen Haaren, seinem Stolz, seiner Würde
contrastirten, machte ihn noch verächtlicher; er untergrub den alte» preußischen
Geist der Sparsamkeit und deö Gehorsams und als er starb, hinterließ er die-
Finanzen zerrüttet und die Staatsgeschäfte in den Händen einer Ueberzahl schlecht
ausgewählter Beamten. Nicht nach dem Großen und Guten strebte er um des
Großen und Guten willen, sondern als Mittel zu eignem Ruhm, daher be¬
griff er es nicht, erreichte es nicht und ging dahin, nicht geachtet, nicht be¬
trauert."— Einige interessante Notizen über andre Berühmtheiten kommen noch
vor. So bat z. B. 1824 Fr. Schlegel, der sich in Wien zurückgesetzt fand, den Frei¬
herrn um seine Protection beim russischen Hof und Görres suchte durch seine Ver¬
mittlung in preußischen Staatsdienst zu kommen. Von seiner Person wird uns
S. 1217 folgende Beschreibung Legeben. Der Leib, in welchem diese Feuerseele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/17>, abgerufen am 23.07.2024.