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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Dcutschthume zurückgewonnener Volksstamm sind. Von wo sie in der vor¬
geschichtlichen Zeit in das Land jenseit der Eider gekommen sind und wie weit
sich damals die Reiche ihrer Könige erstreckt haben mögen, lassen wir dahin
gestellt. Als gewiß ist nur anzunehmen, daß sie vor "Hengists und Horsas" Zug
nach Britannien eine größere Strecke der cimbrischen Halbinsel als das jetzige
Angeln inne hatten, und daß sie zu dieser Zeit im Wesentlichen die Sprache
redeten, von der uns im "Stop", im "Beowulf" und im "Wandrerliede"
schriftliche Denkmale erhalten sind -- eine Sprache, die von dem Dialekte der
Sachsen nur wenig verschieden gewesen sein dürste, mit dem Dänischen aber
nur das gemein hat, worin alle niederdeutschen Mundarten den skandinavischen
sich nähern.

Die Auswanderung der Angeln nach Britannien, welche schon vor be¬
gonnen haben muß und auch später fortgedauert haben wird, entführte den
größten Theil des Stammes der Heimath, und nun begann eine Einwande¬
rung von Juden aus dem Norden, welche eine allmälige Umgestaltung der
Sprache im Gefolge hatte. Die Angeln wurden ein Mischvolk mit einer
Mundart, die, wie dies bei Grenzbewohnern häufig ist, in ihrem Wortschatze
wie in ihrer Syntax beinahe ebensogut der diesseits als der jenseits gesprochenen
Hauptsprache zugeordnet werden konnte, im Ganzen aber, wie zugestanden
werden soll, mehr jüdisch, als sächsisch war. Im weiter" Verlauf der Jahre
folgte auf die Einwanderung aus dem Norden eine Einwanderung aus Süden.
Holsteinische Adelige kamen ins Land und machten sich zu Herren des Grund
und Bodens. Andre Deutsche zogen in Masse ihnen nach. Die Reformation
und mit ihr deutsche Bildung drang, ein, und mit der Bildung die deutsche
Schriftsprache auf der Kanzel und vor Gericht. Immer mehr zog sich das
Angelndänisch -- das beiläufig von einem Kopenhagener ebensowenig ver¬
standen wurde als etwa von einem Berliner, und das selbst vom Jüdischen
erheblich abwich -- vor dem Plattdeutschen zurück, Und so ist es gegenwärtig
dahin gekommen, daß nur in einigen Kirchspielen im Norden, so wie in den
Dörfern an der See noch Familien anzutreffen sind, die den alten Dialekt
sprechen. Mehr als neun Zehntel der Bewohner Angelus haben ihn völlig
aufgegeben und von diesen behaupten, sie seien Dänen, wäre dieselbe Un¬
gereimtheit, als wenn man behaupten wollte, die Bewohner des Königreichs
Sachsen seien Wenden.

Von dänischer Sitte und Art ist, sofern dieselbe nicht zugleich deutsche
ist, lediglich der plumpe Holzschuh, den ich 'Ihnen bereits schilderte und jener
Unterschied im Bau der Häuser zurückgeblieben, von dem im vorigen Briefe
die Rede war.

Ich knüpfe hieran eine kurze Geschichte des Nationalstreites im Herzog-
thume Schleswig überhaupt, die zum Verständniß der nächsten Briefe noth-


Dcutschthume zurückgewonnener Volksstamm sind. Von wo sie in der vor¬
geschichtlichen Zeit in das Land jenseit der Eider gekommen sind und wie weit
sich damals die Reiche ihrer Könige erstreckt haben mögen, lassen wir dahin
gestellt. Als gewiß ist nur anzunehmen, daß sie vor „Hengists und Horsas" Zug
nach Britannien eine größere Strecke der cimbrischen Halbinsel als das jetzige
Angeln inne hatten, und daß sie zu dieser Zeit im Wesentlichen die Sprache
redeten, von der uns im „Stop", im „Beowulf" und im „Wandrerliede"
schriftliche Denkmale erhalten sind — eine Sprache, die von dem Dialekte der
Sachsen nur wenig verschieden gewesen sein dürste, mit dem Dänischen aber
nur das gemein hat, worin alle niederdeutschen Mundarten den skandinavischen
sich nähern.

Die Auswanderung der Angeln nach Britannien, welche schon vor be¬
gonnen haben muß und auch später fortgedauert haben wird, entführte den
größten Theil des Stammes der Heimath, und nun begann eine Einwande¬
rung von Juden aus dem Norden, welche eine allmälige Umgestaltung der
Sprache im Gefolge hatte. Die Angeln wurden ein Mischvolk mit einer
Mundart, die, wie dies bei Grenzbewohnern häufig ist, in ihrem Wortschatze
wie in ihrer Syntax beinahe ebensogut der diesseits als der jenseits gesprochenen
Hauptsprache zugeordnet werden konnte, im Ganzen aber, wie zugestanden
werden soll, mehr jüdisch, als sächsisch war. Im weiter» Verlauf der Jahre
folgte auf die Einwanderung aus dem Norden eine Einwanderung aus Süden.
Holsteinische Adelige kamen ins Land und machten sich zu Herren des Grund
und Bodens. Andre Deutsche zogen in Masse ihnen nach. Die Reformation
und mit ihr deutsche Bildung drang, ein, und mit der Bildung die deutsche
Schriftsprache auf der Kanzel und vor Gericht. Immer mehr zog sich das
Angelndänisch — das beiläufig von einem Kopenhagener ebensowenig ver¬
standen wurde als etwa von einem Berliner, und das selbst vom Jüdischen
erheblich abwich — vor dem Plattdeutschen zurück, Und so ist es gegenwärtig
dahin gekommen, daß nur in einigen Kirchspielen im Norden, so wie in den
Dörfern an der See noch Familien anzutreffen sind, die den alten Dialekt
sprechen. Mehr als neun Zehntel der Bewohner Angelus haben ihn völlig
aufgegeben und von diesen behaupten, sie seien Dänen, wäre dieselbe Un¬
gereimtheit, als wenn man behaupten wollte, die Bewohner des Königreichs
Sachsen seien Wenden.

Von dänischer Sitte und Art ist, sofern dieselbe nicht zugleich deutsche
ist, lediglich der plumpe Holzschuh, den ich 'Ihnen bereits schilderte und jener
Unterschied im Bau der Häuser zurückgeblieben, von dem im vorigen Briefe
die Rede war.

Ich knüpfe hieran eine kurze Geschichte des Nationalstreites im Herzog-
thume Schleswig überhaupt, die zum Verständniß der nächsten Briefe noth-


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[0144] Dcutschthume zurückgewonnener Volksstamm sind. Von wo sie in der vor¬ geschichtlichen Zeit in das Land jenseit der Eider gekommen sind und wie weit sich damals die Reiche ihrer Könige erstreckt haben mögen, lassen wir dahin gestellt. Als gewiß ist nur anzunehmen, daß sie vor „Hengists und Horsas" Zug nach Britannien eine größere Strecke der cimbrischen Halbinsel als das jetzige Angeln inne hatten, und daß sie zu dieser Zeit im Wesentlichen die Sprache redeten, von der uns im „Stop", im „Beowulf" und im „Wandrerliede" schriftliche Denkmale erhalten sind — eine Sprache, die von dem Dialekte der Sachsen nur wenig verschieden gewesen sein dürste, mit dem Dänischen aber nur das gemein hat, worin alle niederdeutschen Mundarten den skandinavischen sich nähern. Die Auswanderung der Angeln nach Britannien, welche schon vor be¬ gonnen haben muß und auch später fortgedauert haben wird, entführte den größten Theil des Stammes der Heimath, und nun begann eine Einwande¬ rung von Juden aus dem Norden, welche eine allmälige Umgestaltung der Sprache im Gefolge hatte. Die Angeln wurden ein Mischvolk mit einer Mundart, die, wie dies bei Grenzbewohnern häufig ist, in ihrem Wortschatze wie in ihrer Syntax beinahe ebensogut der diesseits als der jenseits gesprochenen Hauptsprache zugeordnet werden konnte, im Ganzen aber, wie zugestanden werden soll, mehr jüdisch, als sächsisch war. Im weiter» Verlauf der Jahre folgte auf die Einwanderung aus dem Norden eine Einwanderung aus Süden. Holsteinische Adelige kamen ins Land und machten sich zu Herren des Grund und Bodens. Andre Deutsche zogen in Masse ihnen nach. Die Reformation und mit ihr deutsche Bildung drang, ein, und mit der Bildung die deutsche Schriftsprache auf der Kanzel und vor Gericht. Immer mehr zog sich das Angelndänisch — das beiläufig von einem Kopenhagener ebensowenig ver¬ standen wurde als etwa von einem Berliner, und das selbst vom Jüdischen erheblich abwich — vor dem Plattdeutschen zurück, Und so ist es gegenwärtig dahin gekommen, daß nur in einigen Kirchspielen im Norden, so wie in den Dörfern an der See noch Familien anzutreffen sind, die den alten Dialekt sprechen. Mehr als neun Zehntel der Bewohner Angelus haben ihn völlig aufgegeben und von diesen behaupten, sie seien Dänen, wäre dieselbe Un¬ gereimtheit, als wenn man behaupten wollte, die Bewohner des Königreichs Sachsen seien Wenden. Von dänischer Sitte und Art ist, sofern dieselbe nicht zugleich deutsche ist, lediglich der plumpe Holzschuh, den ich 'Ihnen bereits schilderte und jener Unterschied im Bau der Häuser zurückgeblieben, von dem im vorigen Briefe die Rede war. Ich knüpfe hieran eine kurze Geschichte des Nationalstreites im Herzog- thume Schleswig überhaupt, die zum Verständniß der nächsten Briefe noth-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/144>, abgerufen am 25.08.2024.