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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Der Herzog war wohlgesinnt, aber die fortwährenden Händel waren ihm
zuwider, und als Frischlin den Versuch machte, seine Rechtssache vor die
kaiserlichen Gerichte zu bringen, that er Einspruch und gab ihm Hausarrest.
Die Stellung des Professors wurde immer unhaltbarer, da die alten Feinde
unter seinen College" sich wieder regten, und so kam zur guten Stunde ein
Ruf nach Laibach, wo er das Rectorat einer Schule erhielt. Dort beschäftigte
er sich mit der Herausgabe einer neuen Grammatik, die in der That einen
wesentlichen Fortschritt im Verständniß der lateinischen Sprache enthielt, aber
ebendeshalb die bisherigen Grammatiker nur um so mehr aufbrachte. Auch in
Laibach fühlte sich Frischlin unzufrieden; sein Gehalt war gering und er versuchte
noch einmal in Tübingen unterzukommen. Der Senat weigerte sich entschieden, der
Herzog gab ihm zwar als seinem Hofpoeten eine kleine Besoldung, aber diese reichte
nicht aus und er fing an, sich auf das Studium der Medicin zu legen, um
eine ganz neue Laufbahn zu beginnen. Seine Gegner hatten jetzt ein neues
Mittel gefunden, ihm zu schaden, sie klagten ihn des Mordes und des Ehe¬
bruchs an. Die erste Beschuldigung war ganz lächerlich, die zweite bezog sich
auf eine längst verjährte Geschichte. Aber Frischlin war seiner Sache nicht
sicher; als es zur Untersuchung kommen sollte, entfloh er aus Tübingen und
schrieb in der Fremde eine sehr bittere Satire gegen die ganze Universität. So
verscherzte er denn auch seine letzte Stütze, die Gunst des Herzogs. Weil er
die philologischen Ansichten Melanchthons angriff, machte man auch seine
Rechtgläubigkeit verdächtig, und so häuften sich denn die Angriffe und Ent¬
gegnungen immer mehr. Er selbst führte ein unstetes Wanderleben, in Prag,
in Wittenberg, in Braunschweig (1688), überall bald wieder in Zank mit seinen
Umgebungen und dabei doch nicht fest genug, um seine Sache mit.Ehre und
Anstand zu vertreten. Ganz heruntergekommen wurde er in Mainz auf
würtenbergische Requisition verhaftet und nach Würtemberg abgeführt. Dort
behandelte man ihn anfangs nachsichtig, aber er beging die Unvorsichtigkeit,
eine Appellation an das Reichskammergericht aufzusetzen, und diese fiel seinen
Feinden in die Hände. In solchen Dingen verstanden die damaligen Sou¬
veräne keinen Spaß. Der Herzog war im höchsten Grade ungehalten, und
Frischlin wurde nach Hohenurach abgeführt, wo man ihn in strenger Hast
hielt. Zwar scheint man nicht die Absicht gehabt zu haben, ihn ernstlich zu
verurtheilen, man wollte ihn nur demüthigen. Einen innern Halt hatte er
nicht. Er reichte ein unterwürfiges Gnadengesuch nach dem andern ein, und
schon fing man an, ihn milder zu behandeln, da verlor er von neuem die Ge¬
duld und machte im November -Is90 einen verzweifelten Fluchtversuch, wobei
er ums Leben kam.

Einen Gegensatz gegen das zerfahrene Wesen Frischlins bildet die vornehme
Haltung des großen Philologen Scaliger, auf dessen Biographie von Ber-


Der Herzog war wohlgesinnt, aber die fortwährenden Händel waren ihm
zuwider, und als Frischlin den Versuch machte, seine Rechtssache vor die
kaiserlichen Gerichte zu bringen, that er Einspruch und gab ihm Hausarrest.
Die Stellung des Professors wurde immer unhaltbarer, da die alten Feinde
unter seinen College» sich wieder regten, und so kam zur guten Stunde ein
Ruf nach Laibach, wo er das Rectorat einer Schule erhielt. Dort beschäftigte
er sich mit der Herausgabe einer neuen Grammatik, die in der That einen
wesentlichen Fortschritt im Verständniß der lateinischen Sprache enthielt, aber
ebendeshalb die bisherigen Grammatiker nur um so mehr aufbrachte. Auch in
Laibach fühlte sich Frischlin unzufrieden; sein Gehalt war gering und er versuchte
noch einmal in Tübingen unterzukommen. Der Senat weigerte sich entschieden, der
Herzog gab ihm zwar als seinem Hofpoeten eine kleine Besoldung, aber diese reichte
nicht aus und er fing an, sich auf das Studium der Medicin zu legen, um
eine ganz neue Laufbahn zu beginnen. Seine Gegner hatten jetzt ein neues
Mittel gefunden, ihm zu schaden, sie klagten ihn des Mordes und des Ehe¬
bruchs an. Die erste Beschuldigung war ganz lächerlich, die zweite bezog sich
auf eine längst verjährte Geschichte. Aber Frischlin war seiner Sache nicht
sicher; als es zur Untersuchung kommen sollte, entfloh er aus Tübingen und
schrieb in der Fremde eine sehr bittere Satire gegen die ganze Universität. So
verscherzte er denn auch seine letzte Stütze, die Gunst des Herzogs. Weil er
die philologischen Ansichten Melanchthons angriff, machte man auch seine
Rechtgläubigkeit verdächtig, und so häuften sich denn die Angriffe und Ent¬
gegnungen immer mehr. Er selbst führte ein unstetes Wanderleben, in Prag,
in Wittenberg, in Braunschweig (1688), überall bald wieder in Zank mit seinen
Umgebungen und dabei doch nicht fest genug, um seine Sache mit.Ehre und
Anstand zu vertreten. Ganz heruntergekommen wurde er in Mainz auf
würtenbergische Requisition verhaftet und nach Würtemberg abgeführt. Dort
behandelte man ihn anfangs nachsichtig, aber er beging die Unvorsichtigkeit,
eine Appellation an das Reichskammergericht aufzusetzen, und diese fiel seinen
Feinden in die Hände. In solchen Dingen verstanden die damaligen Sou¬
veräne keinen Spaß. Der Herzog war im höchsten Grade ungehalten, und
Frischlin wurde nach Hohenurach abgeführt, wo man ihn in strenger Hast
hielt. Zwar scheint man nicht die Absicht gehabt zu haben, ihn ernstlich zu
verurtheilen, man wollte ihn nur demüthigen. Einen innern Halt hatte er
nicht. Er reichte ein unterwürfiges Gnadengesuch nach dem andern ein, und
schon fing man an, ihn milder zu behandeln, da verlor er von neuem die Ge¬
duld und machte im November -Is90 einen verzweifelten Fluchtversuch, wobei
er ums Leben kam.

Einen Gegensatz gegen das zerfahrene Wesen Frischlins bildet die vornehme
Haltung des großen Philologen Scaliger, auf dessen Biographie von Ber-


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[0135] Der Herzog war wohlgesinnt, aber die fortwährenden Händel waren ihm zuwider, und als Frischlin den Versuch machte, seine Rechtssache vor die kaiserlichen Gerichte zu bringen, that er Einspruch und gab ihm Hausarrest. Die Stellung des Professors wurde immer unhaltbarer, da die alten Feinde unter seinen College» sich wieder regten, und so kam zur guten Stunde ein Ruf nach Laibach, wo er das Rectorat einer Schule erhielt. Dort beschäftigte er sich mit der Herausgabe einer neuen Grammatik, die in der That einen wesentlichen Fortschritt im Verständniß der lateinischen Sprache enthielt, aber ebendeshalb die bisherigen Grammatiker nur um so mehr aufbrachte. Auch in Laibach fühlte sich Frischlin unzufrieden; sein Gehalt war gering und er versuchte noch einmal in Tübingen unterzukommen. Der Senat weigerte sich entschieden, der Herzog gab ihm zwar als seinem Hofpoeten eine kleine Besoldung, aber diese reichte nicht aus und er fing an, sich auf das Studium der Medicin zu legen, um eine ganz neue Laufbahn zu beginnen. Seine Gegner hatten jetzt ein neues Mittel gefunden, ihm zu schaden, sie klagten ihn des Mordes und des Ehe¬ bruchs an. Die erste Beschuldigung war ganz lächerlich, die zweite bezog sich auf eine längst verjährte Geschichte. Aber Frischlin war seiner Sache nicht sicher; als es zur Untersuchung kommen sollte, entfloh er aus Tübingen und schrieb in der Fremde eine sehr bittere Satire gegen die ganze Universität. So verscherzte er denn auch seine letzte Stütze, die Gunst des Herzogs. Weil er die philologischen Ansichten Melanchthons angriff, machte man auch seine Rechtgläubigkeit verdächtig, und so häuften sich denn die Angriffe und Ent¬ gegnungen immer mehr. Er selbst führte ein unstetes Wanderleben, in Prag, in Wittenberg, in Braunschweig (1688), überall bald wieder in Zank mit seinen Umgebungen und dabei doch nicht fest genug, um seine Sache mit.Ehre und Anstand zu vertreten. Ganz heruntergekommen wurde er in Mainz auf würtenbergische Requisition verhaftet und nach Würtemberg abgeführt. Dort behandelte man ihn anfangs nachsichtig, aber er beging die Unvorsichtigkeit, eine Appellation an das Reichskammergericht aufzusetzen, und diese fiel seinen Feinden in die Hände. In solchen Dingen verstanden die damaligen Sou¬ veräne keinen Spaß. Der Herzog war im höchsten Grade ungehalten, und Frischlin wurde nach Hohenurach abgeführt, wo man ihn in strenger Hast hielt. Zwar scheint man nicht die Absicht gehabt zu haben, ihn ernstlich zu verurtheilen, man wollte ihn nur demüthigen. Einen innern Halt hatte er nicht. Er reichte ein unterwürfiges Gnadengesuch nach dem andern ein, und schon fing man an, ihn milder zu behandeln, da verlor er von neuem die Ge¬ duld und machte im November -Is90 einen verzweifelten Fluchtversuch, wobei er ums Leben kam. Einen Gegensatz gegen das zerfahrene Wesen Frischlins bildet die vornehme Haltung des großen Philologen Scaliger, auf dessen Biographie von Ber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/135>, abgerufen am 23.07.2024.