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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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über die Augen herabfällt. Es war der Obervogt, der aber, bis Frischlin
den Hut zurückgeschoben und den Becher niedergesetzt hatte, um sich umzuschauen,
schon wieder auf beide Ellbogen gestützt am Tische saß.

Es war für einen Gelehrten doch kein gutes Spiel, mit den Junkern so
familiär zu verkehren. Der wohlwollende Herzog suchte die Sache möglichst
auszugleichen, aber der Schimpf blieb doch auf Frischlin sitzen. -- Schlimmer
wurde das Verhältniß durch die Orlrliu alö vita rusttecr, die Frischlin 1678
hielt und Sparer drucken ließ. Das Lob des Bauernstandes mochte noch hin¬
geben, aber die Seitenhiebe auf die Edelleute waren unerträglich. "Vergleiche
jetzunder mit diesem Lob der Bauern das Leben unsrer Edelleut, wie sie ge¬
nannt werden, und erwäge bei dir selber, welche von beiden frömmer, heiliger,
gerechter, billiger und edler seien. Dann wo hört man gräulichere Gottes¬
lästerungen zu unsrer Zeit, dann bei den Adelspersonen? Welche die aller-
fvömste sein wollen, die erheben den Bapst, nit darum, daß sie die bcipstisch
Religion so hoch achten, sondern daß sie vielmehr halten auf hohe Ehr, Dignität,
Würde und die feisten Kuchen der Thumbherrn u. s. w.....Was soll ich
aber sagen von dem grausamen Wüthen, so etliche Lentsrefser unter denen vom
Aoel an ihren Bauern gar jämmerlich begehen? .Dann wie viel meint ihr,
daß an denen Orten, da die größte Straflosigkeit ist, heutigstags Edelleut seien,
da ein jeder etlich gar unschuldige Bauren um schlechter Ursache willen auf
den Tod oder auch gar zu Tode geschlagen hat? Und wer hat jemals gehört,
daß man einen Solchen Peinlich fürgestellt oder mit dem Henker gestraft
hätte .... So du hierin einen kennest, so kennest du sie all, all stimmen
zusammen; ist alles gleich und eben; einer ist an der Uebelthat schuldig, die
andern vertheidigen ihn all ... . Was ist nun daS für eine Hoffahrt der¬
jenige", welche niemand für edel halten, er könne dann seiner Voreltern rostige
Bildnissen oder Wappen ausweisen, und sein Geschlecht von seinen vier Aehren
oder Uhrähnen auswendig erzählen? Daher kommt die Verachtung der aller-
gelehrtesten Lent, denen die allerungelehrtesten gröbsten Edling sich selbst weit
fürziehen, und weil sie mit einem (weiß nit was für einem) Wahn ihres
Herkommens aufgeblasen und geschwollen sind, so wollen sie allenthal¬
ben am Brett sitzen, in allen Dingen den Vorzug haben, in Höfen
und Kanzleien sollen wir ihrer Gnaden froh sein und ihnen zu Füßen fallen
u. s. w." --

Diese Rede erregte einen furchtbaren Sturm unter dem gesammten Adel.
Frischlins Leben wurde mehrfach bedroht, und der verordnete Ausschuß ge¬
meiner freier Reichsritterschaft zu Schwaben erließ eine wüthende Klagschrift
an den Herzog von Würtemberg. Dem Herzog war die Sache sehr unbequem,
denn er war ein friedliebender Herr, aber er hatte zugleich ein starkes Rechts-
gefühl und nahm seinen Dichter in Schutz. Der Adel ließ mit seinen Ver-


über die Augen herabfällt. Es war der Obervogt, der aber, bis Frischlin
den Hut zurückgeschoben und den Becher niedergesetzt hatte, um sich umzuschauen,
schon wieder auf beide Ellbogen gestützt am Tische saß.

Es war für einen Gelehrten doch kein gutes Spiel, mit den Junkern so
familiär zu verkehren. Der wohlwollende Herzog suchte die Sache möglichst
auszugleichen, aber der Schimpf blieb doch auf Frischlin sitzen. — Schlimmer
wurde das Verhältniß durch die Orlrliu alö vita rusttecr, die Frischlin 1678
hielt und Sparer drucken ließ. Das Lob des Bauernstandes mochte noch hin¬
geben, aber die Seitenhiebe auf die Edelleute waren unerträglich. „Vergleiche
jetzunder mit diesem Lob der Bauern das Leben unsrer Edelleut, wie sie ge¬
nannt werden, und erwäge bei dir selber, welche von beiden frömmer, heiliger,
gerechter, billiger und edler seien. Dann wo hört man gräulichere Gottes¬
lästerungen zu unsrer Zeit, dann bei den Adelspersonen? Welche die aller-
fvömste sein wollen, die erheben den Bapst, nit darum, daß sie die bcipstisch
Religion so hoch achten, sondern daß sie vielmehr halten auf hohe Ehr, Dignität,
Würde und die feisten Kuchen der Thumbherrn u. s. w.....Was soll ich
aber sagen von dem grausamen Wüthen, so etliche Lentsrefser unter denen vom
Aoel an ihren Bauern gar jämmerlich begehen? .Dann wie viel meint ihr,
daß an denen Orten, da die größte Straflosigkeit ist, heutigstags Edelleut seien,
da ein jeder etlich gar unschuldige Bauren um schlechter Ursache willen auf
den Tod oder auch gar zu Tode geschlagen hat? Und wer hat jemals gehört,
daß man einen Solchen Peinlich fürgestellt oder mit dem Henker gestraft
hätte .... So du hierin einen kennest, so kennest du sie all, all stimmen
zusammen; ist alles gleich und eben; einer ist an der Uebelthat schuldig, die
andern vertheidigen ihn all ... . Was ist nun daS für eine Hoffahrt der¬
jenige», welche niemand für edel halten, er könne dann seiner Voreltern rostige
Bildnissen oder Wappen ausweisen, und sein Geschlecht von seinen vier Aehren
oder Uhrähnen auswendig erzählen? Daher kommt die Verachtung der aller-
gelehrtesten Lent, denen die allerungelehrtesten gröbsten Edling sich selbst weit
fürziehen, und weil sie mit einem (weiß nit was für einem) Wahn ihres
Herkommens aufgeblasen und geschwollen sind, so wollen sie allenthal¬
ben am Brett sitzen, in allen Dingen den Vorzug haben, in Höfen
und Kanzleien sollen wir ihrer Gnaden froh sein und ihnen zu Füßen fallen
u. s. w." —

Diese Rede erregte einen furchtbaren Sturm unter dem gesammten Adel.
Frischlins Leben wurde mehrfach bedroht, und der verordnete Ausschuß ge¬
meiner freier Reichsritterschaft zu Schwaben erließ eine wüthende Klagschrift
an den Herzog von Würtemberg. Dem Herzog war die Sache sehr unbequem,
denn er war ein friedliebender Herr, aber er hatte zugleich ein starkes Rechts-
gefühl und nahm seinen Dichter in Schutz. Der Adel ließ mit seinen Ver-


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[0133] über die Augen herabfällt. Es war der Obervogt, der aber, bis Frischlin den Hut zurückgeschoben und den Becher niedergesetzt hatte, um sich umzuschauen, schon wieder auf beide Ellbogen gestützt am Tische saß. Es war für einen Gelehrten doch kein gutes Spiel, mit den Junkern so familiär zu verkehren. Der wohlwollende Herzog suchte die Sache möglichst auszugleichen, aber der Schimpf blieb doch auf Frischlin sitzen. — Schlimmer wurde das Verhältniß durch die Orlrliu alö vita rusttecr, die Frischlin 1678 hielt und Sparer drucken ließ. Das Lob des Bauernstandes mochte noch hin¬ geben, aber die Seitenhiebe auf die Edelleute waren unerträglich. „Vergleiche jetzunder mit diesem Lob der Bauern das Leben unsrer Edelleut, wie sie ge¬ nannt werden, und erwäge bei dir selber, welche von beiden frömmer, heiliger, gerechter, billiger und edler seien. Dann wo hört man gräulichere Gottes¬ lästerungen zu unsrer Zeit, dann bei den Adelspersonen? Welche die aller- fvömste sein wollen, die erheben den Bapst, nit darum, daß sie die bcipstisch Religion so hoch achten, sondern daß sie vielmehr halten auf hohe Ehr, Dignität, Würde und die feisten Kuchen der Thumbherrn u. s. w.....Was soll ich aber sagen von dem grausamen Wüthen, so etliche Lentsrefser unter denen vom Aoel an ihren Bauern gar jämmerlich begehen? .Dann wie viel meint ihr, daß an denen Orten, da die größte Straflosigkeit ist, heutigstags Edelleut seien, da ein jeder etlich gar unschuldige Bauren um schlechter Ursache willen auf den Tod oder auch gar zu Tode geschlagen hat? Und wer hat jemals gehört, daß man einen Solchen Peinlich fürgestellt oder mit dem Henker gestraft hätte .... So du hierin einen kennest, so kennest du sie all, all stimmen zusammen; ist alles gleich und eben; einer ist an der Uebelthat schuldig, die andern vertheidigen ihn all ... . Was ist nun daS für eine Hoffahrt der¬ jenige», welche niemand für edel halten, er könne dann seiner Voreltern rostige Bildnissen oder Wappen ausweisen, und sein Geschlecht von seinen vier Aehren oder Uhrähnen auswendig erzählen? Daher kommt die Verachtung der aller- gelehrtesten Lent, denen die allerungelehrtesten gröbsten Edling sich selbst weit fürziehen, und weil sie mit einem (weiß nit was für einem) Wahn ihres Herkommens aufgeblasen und geschwollen sind, so wollen sie allenthal¬ ben am Brett sitzen, in allen Dingen den Vorzug haben, in Höfen und Kanzleien sollen wir ihrer Gnaden froh sein und ihnen zu Füßen fallen u. s. w." — Diese Rede erregte einen furchtbaren Sturm unter dem gesammten Adel. Frischlins Leben wurde mehrfach bedroht, und der verordnete Ausschuß ge¬ meiner freier Reichsritterschaft zu Schwaben erließ eine wüthende Klagschrift an den Herzog von Würtemberg. Dem Herzog war die Sache sehr unbequem, denn er war ein friedliebender Herr, aber er hatte zugleich ein starkes Rechts- gefühl und nahm seinen Dichter in Schutz. Der Adel ließ mit seinen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/133>, abgerufen am 23.07.2024.