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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Die Hauptsache war der Brotneid der gelehrten Pedanten gegen einen rück¬
sichtslos emporstrebenden Mann, der schon damals mit dem vermessenen Unter¬
nehmen umging, eine neue Rhetorik zu schreiben.

Wenn ihm der Senat die Beförderung versagte, so gewann er dagegen
die Gunst des Hofes. Seine poetische Beschreibung der würtembergischen
Hochzeit und sein Lobgedicht auf den östreichischen Kaiser verschafften ihm die
Stelle eines Hofdichters, er wurde fortmährend nach Stuttgart gezogen und
machte sich daher in seiner akademischen Thätigkeit mehrer Versäumnisse schuldig,
bald wegen einer Mahlzeit mit Fremden, bald wegen einer Reise zum Herzog oder
zum Grafen von Zollern, einmal auch prvptsr vitium Iioroloxii. DaS alles
war dem Senat so anstößig, daß er beschloß, sich an den Hofprediger mit
einer Vorstellung zu wenden, daß man Frischlin künftig verschonen möge.
Das Verhältniß zu seinen College" wurde dadurch nicht besser, daß er sich
zuweilen seiner Hofgunst überhob, und daß er es ehrenvoller fand, hoch zu
Rosse zu sein und an fürstlicher Tafel zu speisen, als der steifen Mahlzeit ge¬
lehrter Pedanten beizuwohnen. Der Seuai blieb taub gegen alle Vorstellungen
der herzoglichen Räthe, dem mißliebigen Collegen endlich eine angemessene
Stellung zu geben, und die Gratifikationen aus der herzoglichen Kasse und
die Zusendungen aus dem herzoglichen Keller kamen nicht regelmäßig. Bald
sollte er erfahren, daß man nicht ungestraft aus dem natürlichen Kreise seines
Standes heraustritt. In seinem Umgang mit den Edelleuten, deren Sitten
großentheils noch roh, deren Bildung gering, deren Hochmuth aber um so
größer war, machte er sich zu gemein. So nahmen sie ihn, was die Sitten
betrifft, für ihres Gleichen; da sie aber nach Rang und Stand sich hoch über
ihm wußten, so .sahen sie ihn doch wieder nur als ihren Lustigmacher an.
Und indem er sich ebenso umgekehrt seiner Ueberlegenheit an Geist und Bildung
.bewußt war, erlaubte er sich, die edeln Herren mit Scherzen und Stichelreden
auszuziehen, die das eine Mal hingingen, das andere Mal aber doch auch
böses Blut absetzten.

Am Schluß eines großen Trinkgelages, an dem es sehr heiler zuging,
brachte Frischlin dem Obervogt von Thüringen, der eben einschlafen wollte,
einen Becher zu. Mer diesem mochte mit dem Wein noch eine von FnschlinS
Reden im Kopfe herumgehen, oder erlaubte sich dieser jetzt, beim Zutrinken,
einen Spaß, der ihm mißfiel; genug, statt Frischlius Gruß zurückzugeben,
antwortete er lakonisch: "Ein Dreck;" worauf Frischlin, in solchen Fällen
nie verlegen, mit aller Feinheit der besten Gesellschaft jener Zeit erwiedert:
"Ich nimm euer Maul und iß den Dreck und noch mehr." Darauf wandte
er sich um und trank den Becher dem nun auch aufgestandenen Hofrichter zu,
indem er den Winterhut, den er abgezogen hatte, wieder aufsetzte. Während
er aber trinkt, erhält er von hinten einen Schlag auf den Hut, daß ihm dieser


Die Hauptsache war der Brotneid der gelehrten Pedanten gegen einen rück¬
sichtslos emporstrebenden Mann, der schon damals mit dem vermessenen Unter¬
nehmen umging, eine neue Rhetorik zu schreiben.

Wenn ihm der Senat die Beförderung versagte, so gewann er dagegen
die Gunst des Hofes. Seine poetische Beschreibung der würtembergischen
Hochzeit und sein Lobgedicht auf den östreichischen Kaiser verschafften ihm die
Stelle eines Hofdichters, er wurde fortmährend nach Stuttgart gezogen und
machte sich daher in seiner akademischen Thätigkeit mehrer Versäumnisse schuldig,
bald wegen einer Mahlzeit mit Fremden, bald wegen einer Reise zum Herzog oder
zum Grafen von Zollern, einmal auch prvptsr vitium Iioroloxii. DaS alles
war dem Senat so anstößig, daß er beschloß, sich an den Hofprediger mit
einer Vorstellung zu wenden, daß man Frischlin künftig verschonen möge.
Das Verhältniß zu seinen College» wurde dadurch nicht besser, daß er sich
zuweilen seiner Hofgunst überhob, und daß er es ehrenvoller fand, hoch zu
Rosse zu sein und an fürstlicher Tafel zu speisen, als der steifen Mahlzeit ge¬
lehrter Pedanten beizuwohnen. Der Seuai blieb taub gegen alle Vorstellungen
der herzoglichen Räthe, dem mißliebigen Collegen endlich eine angemessene
Stellung zu geben, und die Gratifikationen aus der herzoglichen Kasse und
die Zusendungen aus dem herzoglichen Keller kamen nicht regelmäßig. Bald
sollte er erfahren, daß man nicht ungestraft aus dem natürlichen Kreise seines
Standes heraustritt. In seinem Umgang mit den Edelleuten, deren Sitten
großentheils noch roh, deren Bildung gering, deren Hochmuth aber um so
größer war, machte er sich zu gemein. So nahmen sie ihn, was die Sitten
betrifft, für ihres Gleichen; da sie aber nach Rang und Stand sich hoch über
ihm wußten, so .sahen sie ihn doch wieder nur als ihren Lustigmacher an.
Und indem er sich ebenso umgekehrt seiner Ueberlegenheit an Geist und Bildung
.bewußt war, erlaubte er sich, die edeln Herren mit Scherzen und Stichelreden
auszuziehen, die das eine Mal hingingen, das andere Mal aber doch auch
böses Blut absetzten.

Am Schluß eines großen Trinkgelages, an dem es sehr heiler zuging,
brachte Frischlin dem Obervogt von Thüringen, der eben einschlafen wollte,
einen Becher zu. Mer diesem mochte mit dem Wein noch eine von FnschlinS
Reden im Kopfe herumgehen, oder erlaubte sich dieser jetzt, beim Zutrinken,
einen Spaß, der ihm mißfiel; genug, statt Frischlius Gruß zurückzugeben,
antwortete er lakonisch: „Ein Dreck;" worauf Frischlin, in solchen Fällen
nie verlegen, mit aller Feinheit der besten Gesellschaft jener Zeit erwiedert:
„Ich nimm euer Maul und iß den Dreck und noch mehr." Darauf wandte
er sich um und trank den Becher dem nun auch aufgestandenen Hofrichter zu,
indem er den Winterhut, den er abgezogen hatte, wieder aufsetzte. Während
er aber trinkt, erhält er von hinten einen Schlag auf den Hut, daß ihm dieser


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[0132] Die Hauptsache war der Brotneid der gelehrten Pedanten gegen einen rück¬ sichtslos emporstrebenden Mann, der schon damals mit dem vermessenen Unter¬ nehmen umging, eine neue Rhetorik zu schreiben. Wenn ihm der Senat die Beförderung versagte, so gewann er dagegen die Gunst des Hofes. Seine poetische Beschreibung der würtembergischen Hochzeit und sein Lobgedicht auf den östreichischen Kaiser verschafften ihm die Stelle eines Hofdichters, er wurde fortmährend nach Stuttgart gezogen und machte sich daher in seiner akademischen Thätigkeit mehrer Versäumnisse schuldig, bald wegen einer Mahlzeit mit Fremden, bald wegen einer Reise zum Herzog oder zum Grafen von Zollern, einmal auch prvptsr vitium Iioroloxii. DaS alles war dem Senat so anstößig, daß er beschloß, sich an den Hofprediger mit einer Vorstellung zu wenden, daß man Frischlin künftig verschonen möge. Das Verhältniß zu seinen College» wurde dadurch nicht besser, daß er sich zuweilen seiner Hofgunst überhob, und daß er es ehrenvoller fand, hoch zu Rosse zu sein und an fürstlicher Tafel zu speisen, als der steifen Mahlzeit ge¬ lehrter Pedanten beizuwohnen. Der Seuai blieb taub gegen alle Vorstellungen der herzoglichen Räthe, dem mißliebigen Collegen endlich eine angemessene Stellung zu geben, und die Gratifikationen aus der herzoglichen Kasse und die Zusendungen aus dem herzoglichen Keller kamen nicht regelmäßig. Bald sollte er erfahren, daß man nicht ungestraft aus dem natürlichen Kreise seines Standes heraustritt. In seinem Umgang mit den Edelleuten, deren Sitten großentheils noch roh, deren Bildung gering, deren Hochmuth aber um so größer war, machte er sich zu gemein. So nahmen sie ihn, was die Sitten betrifft, für ihres Gleichen; da sie aber nach Rang und Stand sich hoch über ihm wußten, so .sahen sie ihn doch wieder nur als ihren Lustigmacher an. Und indem er sich ebenso umgekehrt seiner Ueberlegenheit an Geist und Bildung .bewußt war, erlaubte er sich, die edeln Herren mit Scherzen und Stichelreden auszuziehen, die das eine Mal hingingen, das andere Mal aber doch auch böses Blut absetzten. Am Schluß eines großen Trinkgelages, an dem es sehr heiler zuging, brachte Frischlin dem Obervogt von Thüringen, der eben einschlafen wollte, einen Becher zu. Mer diesem mochte mit dem Wein noch eine von FnschlinS Reden im Kopfe herumgehen, oder erlaubte sich dieser jetzt, beim Zutrinken, einen Spaß, der ihm mißfiel; genug, statt Frischlius Gruß zurückzugeben, antwortete er lakonisch: „Ein Dreck;" worauf Frischlin, in solchen Fällen nie verlegen, mit aller Feinheit der besten Gesellschaft jener Zeit erwiedert: „Ich nimm euer Maul und iß den Dreck und noch mehr." Darauf wandte er sich um und trank den Becher dem nun auch aufgestandenen Hofrichter zu, indem er den Winterhut, den er abgezogen hatte, wieder aufsetzte. Während er aber trinkt, erhält er von hinten einen Schlag auf den Hut, daß ihm dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/132>, abgerufen am 23.07.2024.