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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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hinsetzt, hat doch eigentlich keinen andern Anspruch, als daß man ihm ge¬
horche und ihm nicht beschwerlich falle: ein Volksrepräsentant, der ebenso
Schoskind ist, meint persönlichen Respect fordern zu können/'

Diese Klagen sind bezeichnend für den Mann, wenn man noch die ent¬
gegengesetzten ebenso häufig vorkommenden gegen den Adel in Betracht zieht,
die jedes Mal eintreten, wo er eine persönliche Zurücksetzung erfährt oder zu
erfahren glaubt; alsdann tritt der geheime Haß gegen einen Stand hervor,
der vielleicht aus jener geheimen Gefühlsmischung zu erklären ist, einerseits
die harmonische Ausbildung desselben zu bewundern, andererseits ein staats¬
verderbliches Element darin zu sehen. So conservativ die Gesinnung Niebuhrs
und so groß seine Abneigung gegen alle gewaltthätigen Neuerungen war, so
hatte er doch Augenblicke, wo sich die Gesinnung, die sich theoretisch bei ihm
in der Beurtheilung der Gracchen und des Algernvn Sidney zeigte, auch prak¬
tisch bei ihm Bahn brach. So hatte er noch im letzten Jahre seines Lebens
einen lebhaften Streit mit dem Freiherrn wegen der Julirevolution. Er erklärte,
er würde für die Absetzung Karls X. und für die Thronerhebnng Ludwig
Philipps gestimmt haben, welche Aeußerung von Seiten Steins eine sehr
lebhafte Mißbilligung hervorrief.

Ein ähnlicher Gefühlseonflict, wenn auch nicht so stark aus die Spitze
getrieben, fand sich bei den meisten bedeutenden Männern aus dem Bürger¬
stande, mit denen Stein zu verkehren Gelegenheit hatte. Wie sehr ihnen
Stein in Bezug auf Gesinnung und Ueberzeugung nahe stand, die Haltung
war durchweg eine andere; und diese ist doch für die Form des Verkehrs das
Entscheidende! Nur ein sehr bedeutender Aufschwung der Zeit kann einen
Mann wie Stein bestimmen, sich von seinen Standesgenossen zu trennen, und
dieser Aufschwung hatte aufgehört. Die Nothwendigkeit, die untern Nolks-
classen zur Theilnahme am Staatsleben heranzuziehen, war wenigstens keine
dringende mehr, man dürfte die Zeit nicht mehr beschleunigen, wie damals,
als es galt, die Franzosen zu vertreiben, ja man konnte sie abwarten. Und
doch war auch hierbei die, Stellung Steins maßgebend. Wäre er noch Minister
gewesen, so hätte ihn sein Thätigkeitsdrang und die unmittelbare praktische
Einsicht in das Gesammtleben des Staats dennoch zu durchgreifenden Ma߬
regeln veranlaßt; so war er aber nur großer Grundbesitzer und Standesherr
und sah die Staatsangelegenheiten von einem bestimmten Gesichtspunkte an.

Stein war immer ehrlich in dem Ausdruck seiner Ueberzeugungen, und
so können wir von ihm auch am deutlichsten erfahren, was es mit der so¬
genannten ständischen Verfassung eigentlich für eine Bewandtniß hat. Es ist
um so nöthiger, daraus zurückzugehn, da in unserer Zeit so mancher Wohl¬
gesinnte durch die völlige Principlosigkeit des sogenannten Dreiclassensystemö
in Preußen dazu verführt wird, in der ständischen Gliederung wenigstens etwas


hinsetzt, hat doch eigentlich keinen andern Anspruch, als daß man ihm ge¬
horche und ihm nicht beschwerlich falle: ein Volksrepräsentant, der ebenso
Schoskind ist, meint persönlichen Respect fordern zu können/'

Diese Klagen sind bezeichnend für den Mann, wenn man noch die ent¬
gegengesetzten ebenso häufig vorkommenden gegen den Adel in Betracht zieht,
die jedes Mal eintreten, wo er eine persönliche Zurücksetzung erfährt oder zu
erfahren glaubt; alsdann tritt der geheime Haß gegen einen Stand hervor,
der vielleicht aus jener geheimen Gefühlsmischung zu erklären ist, einerseits
die harmonische Ausbildung desselben zu bewundern, andererseits ein staats¬
verderbliches Element darin zu sehen. So conservativ die Gesinnung Niebuhrs
und so groß seine Abneigung gegen alle gewaltthätigen Neuerungen war, so
hatte er doch Augenblicke, wo sich die Gesinnung, die sich theoretisch bei ihm
in der Beurtheilung der Gracchen und des Algernvn Sidney zeigte, auch prak¬
tisch bei ihm Bahn brach. So hatte er noch im letzten Jahre seines Lebens
einen lebhaften Streit mit dem Freiherrn wegen der Julirevolution. Er erklärte,
er würde für die Absetzung Karls X. und für die Thronerhebnng Ludwig
Philipps gestimmt haben, welche Aeußerung von Seiten Steins eine sehr
lebhafte Mißbilligung hervorrief.

Ein ähnlicher Gefühlseonflict, wenn auch nicht so stark aus die Spitze
getrieben, fand sich bei den meisten bedeutenden Männern aus dem Bürger¬
stande, mit denen Stein zu verkehren Gelegenheit hatte. Wie sehr ihnen
Stein in Bezug auf Gesinnung und Ueberzeugung nahe stand, die Haltung
war durchweg eine andere; und diese ist doch für die Form des Verkehrs das
Entscheidende! Nur ein sehr bedeutender Aufschwung der Zeit kann einen
Mann wie Stein bestimmen, sich von seinen Standesgenossen zu trennen, und
dieser Aufschwung hatte aufgehört. Die Nothwendigkeit, die untern Nolks-
classen zur Theilnahme am Staatsleben heranzuziehen, war wenigstens keine
dringende mehr, man dürfte die Zeit nicht mehr beschleunigen, wie damals,
als es galt, die Franzosen zu vertreiben, ja man konnte sie abwarten. Und
doch war auch hierbei die, Stellung Steins maßgebend. Wäre er noch Minister
gewesen, so hätte ihn sein Thätigkeitsdrang und die unmittelbare praktische
Einsicht in das Gesammtleben des Staats dennoch zu durchgreifenden Ma߬
regeln veranlaßt; so war er aber nur großer Grundbesitzer und Standesherr
und sah die Staatsangelegenheiten von einem bestimmten Gesichtspunkte an.

Stein war immer ehrlich in dem Ausdruck seiner Ueberzeugungen, und
so können wir von ihm auch am deutlichsten erfahren, was es mit der so¬
genannten ständischen Verfassung eigentlich für eine Bewandtniß hat. Es ist
um so nöthiger, daraus zurückzugehn, da in unserer Zeit so mancher Wohl¬
gesinnte durch die völlige Principlosigkeit des sogenannten Dreiclassensystemö
in Preußen dazu verführt wird, in der ständischen Gliederung wenigstens etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/13>, abgerufen am 25.08.2024.