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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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blicken Sie zurück auf Ihr vergangenes Leben.... Sie betrüben sich über
die Ungerechtigkeit der Menschen, über ihren Parteigeist u. s. w., ein Mann
von Ihren ausgezeichneten Geisteskräften, Ihrer tiefen und ausgebildeten Ge¬
lehrsamkeit, Ihrem reinen und edlen Charakter, ist ja dem Geifer der Neider
nicht erreichbar --- Sind Sie nicht bisweilen zu sehr zu Mißtrauen geneigt?"
-- Jetzt schüttelt Niebuhr sein volles Herz aus. "Ich müßte zu viel von
mir selbst sprechen, allzu wunde Stellen berühren, um es recht klar verzeihlich
zu machen, daß jener Trübsinn nicht von mir weichen kann. Mir fehlt das
unabhängige Gemüth, das sich gleich gesund fühlt in reiner Luft und mitten
in Epidemien; je wohlthätiger Herz und Geist mir sind, je dankbarer ich sie
liebe, wo sie erscheinen, um so mehr hasse ich ihr Gegentheil, und leide von
ihm. E. E. sind einem eigenthümlichen Leiden, welches man im Mittelstande
zu ertragen hat, nicht ausgesetzt: das ist die Tyrannei der Mittelmäßigkeit,
die, im Besitz ihrer Vielstimmigkeit, Unterwerfung fordert, und den, der sie
verweigert, weil er besser weiß und die kläglichen Tyrannen verachtet, als einen
Rebellen befehdet und ächtet. Von dieser Noth war ich auch los, so lange
wir zu Rom lebten; und es gehört zu den schweren, schweren Opfern, die ich
dem Heimweh und der Antipathie meiner Frau gebracht, einen Stand aufzu¬
geben, der mich aus dieser vermaledeiten Gleichheit heraussetzte: ich meine die
Gleichheit, da ich nun nichts weiter als ein Gelehrter und Schriftsteller bin,
dem der jüngste und flachste sich wenigstens gleichsetzt. So weit mag der Aerger
etwas Egoistisches haben, aber nicht egoistisch ist der Mißmuth über den
ausschließlich herrschenden Geist der Auflösung und Verneinung, der durchaus
nichts Bestimmtes will, sondern nur nicht will... . Ich kenne keinen nieder¬
trächtigeren Egoismus, der jeden echten Kummer meidet, und sich sogar'ein
höhnisches Lachen aus dem bereitet, was Kummer erregen soll. Ihnen brauche
ich nichts mehr zu sagen, um Ihnen mein Gefühl auszudrücken. Ich be¬
haupte, daß das Schlimme immer schlimmer wird, je weiter man herabsteigt:,
daß viel mehr Böses von den Räthen als von den Ministern selbst ausgeht,
und das Schlimmste gewöhnlich recht in Harmonie mit der herrschenden Mei¬
nung ist, so daß man gar keine Aussicht habe, durch Veränderung der Per¬
sonen zu. gewinnen. Es ist ein Jammer, daß die Regierung das Zerren und
Plagen nicht läßt; es ist schimpflich, daß man sich vor Jungen fürchtet, und
auf ihre Albernheit aufmerksam ist; aber darum ist es nicht weniger wahr, daß
von der Preßfreiheit, wo sie in Deutschland factisch besteht, ein schändlicher
Gebrauch gemacht wird, und daß man wol zweifeln kann, ob eS sich doch nicht
noch besser unter dem Regimente der geheimen Polizei lebe, als es unter dem
der Professoren sich leben würde? Mir ist das Unerträglichste, wenn man sich
durch angebliche Volkswahlen die erbärmlichsten Menschen als Respekts¬
personen soll aufdrängen lassen; ein Minister, den die Willkür eines Königs


blicken Sie zurück auf Ihr vergangenes Leben.... Sie betrüben sich über
die Ungerechtigkeit der Menschen, über ihren Parteigeist u. s. w., ein Mann
von Ihren ausgezeichneten Geisteskräften, Ihrer tiefen und ausgebildeten Ge¬
lehrsamkeit, Ihrem reinen und edlen Charakter, ist ja dem Geifer der Neider
nicht erreichbar —- Sind Sie nicht bisweilen zu sehr zu Mißtrauen geneigt?"
— Jetzt schüttelt Niebuhr sein volles Herz aus. „Ich müßte zu viel von
mir selbst sprechen, allzu wunde Stellen berühren, um es recht klar verzeihlich
zu machen, daß jener Trübsinn nicht von mir weichen kann. Mir fehlt das
unabhängige Gemüth, das sich gleich gesund fühlt in reiner Luft und mitten
in Epidemien; je wohlthätiger Herz und Geist mir sind, je dankbarer ich sie
liebe, wo sie erscheinen, um so mehr hasse ich ihr Gegentheil, und leide von
ihm. E. E. sind einem eigenthümlichen Leiden, welches man im Mittelstande
zu ertragen hat, nicht ausgesetzt: das ist die Tyrannei der Mittelmäßigkeit,
die, im Besitz ihrer Vielstimmigkeit, Unterwerfung fordert, und den, der sie
verweigert, weil er besser weiß und die kläglichen Tyrannen verachtet, als einen
Rebellen befehdet und ächtet. Von dieser Noth war ich auch los, so lange
wir zu Rom lebten; und es gehört zu den schweren, schweren Opfern, die ich
dem Heimweh und der Antipathie meiner Frau gebracht, einen Stand aufzu¬
geben, der mich aus dieser vermaledeiten Gleichheit heraussetzte: ich meine die
Gleichheit, da ich nun nichts weiter als ein Gelehrter und Schriftsteller bin,
dem der jüngste und flachste sich wenigstens gleichsetzt. So weit mag der Aerger
etwas Egoistisches haben, aber nicht egoistisch ist der Mißmuth über den
ausschließlich herrschenden Geist der Auflösung und Verneinung, der durchaus
nichts Bestimmtes will, sondern nur nicht will... . Ich kenne keinen nieder¬
trächtigeren Egoismus, der jeden echten Kummer meidet, und sich sogar'ein
höhnisches Lachen aus dem bereitet, was Kummer erregen soll. Ihnen brauche
ich nichts mehr zu sagen, um Ihnen mein Gefühl auszudrücken. Ich be¬
haupte, daß das Schlimme immer schlimmer wird, je weiter man herabsteigt:,
daß viel mehr Böses von den Räthen als von den Ministern selbst ausgeht,
und das Schlimmste gewöhnlich recht in Harmonie mit der herrschenden Mei¬
nung ist, so daß man gar keine Aussicht habe, durch Veränderung der Per¬
sonen zu. gewinnen. Es ist ein Jammer, daß die Regierung das Zerren und
Plagen nicht läßt; es ist schimpflich, daß man sich vor Jungen fürchtet, und
auf ihre Albernheit aufmerksam ist; aber darum ist es nicht weniger wahr, daß
von der Preßfreiheit, wo sie in Deutschland factisch besteht, ein schändlicher
Gebrauch gemacht wird, und daß man wol zweifeln kann, ob eS sich doch nicht
noch besser unter dem Regimente der geheimen Polizei lebe, als es unter dem
der Professoren sich leben würde? Mir ist das Unerträglichste, wenn man sich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/12>, abgerufen am 25.08.2024.