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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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dert Panduren, auf welche unsre Vordertruppen wieder wie wilde Löwen ein¬
brachen, ins Wasser sprangen, wo es dann auf das Städtchen selber los-
gieug -- um diese Zeit war ich freylich nicht der Vorderste, sondern unter dem
Nachtrapp noch etwas im Weinberg droben, von denen indessen mancher, wie
gesagt, weit behender als ich von einer Mauer über die andere hinuntersprang,
um seinen Brüdern zu Hülf' zu eilen. Da ich also noch ein wenig erhöht
stand, und auf die Ebene wie in ein finsteres Donner- uno Hagelwetter hin¬
einsah -- in diesem Augenblick deucht' es mich Zeit, oder vielmehr mahnte
mich mein Schutzengel, mich mit der Flucht zu retten. Ich sah mich des¬
wegen nach allen Seiten um. Vor mir war alles Feuer, Rauch und Dampf;
hinter mir noch viele nachkommende auf die Feinde loseilende Truppen, zur
Rechten zwey Hauptarmeen in voller Schlachtordnung. Zur Linken endlich
sah ich Weinberge, Büsche, Wäldchen, nur hie und da einzelne Menschen,
Preussen, Panduren, Husaren, und von diesen mehr Todte und Verwundete
als Lebende. Da, da, auf diese Seite, dacht' ich; sonst ist's pur lautere Un¬
möglichkeit!

Ich schlich also zuerst mit langsamem Marsch ein wenig auf diese linke
Seite, die Reben durch. Noch eilten etliche Preussen bey mir vorbey: "Komm,
"komm, Bruder,,! sagten sie: "Viktoria,,! Ich rispostirte kein Wort, ^that nur
ein wenig blessiert, und gieng immer noch allgemach fort, freylich mit Furcht
und Zittern. Sobald ich mich indessen so weit entfernt hatte, daß mich niemand
mehr sehen mochte, verdoppelte, verdrey-vier-fünf-sechsfachte ich meine schriee,
blickte rechts und links wie ein Jäger, sah noch von Weitem -- zum letzten Mal in
meinem Leben -- morden und todtschlagen; strich dann in vollem Galopp ein
Gehölze vorbey, das voll todter Husaren, Panduren und Pferde lag; rannte eines
Rennens gerade dem Fluß nach herunter, und stand jetzt an einem Tobel. Jen¬
seits desselben kamen so eben auch etliche Kaiserliche Soldaten angestochen, die sich
gleichfalls aus der Schlacht weggestohlen hatten, und schlugen, als sie mich so da¬
herlaufen sahen, zum drittenmal auf mich an, ungeachtet ich immer das Ge¬
wehr streckte, und ihnen mit dem Hut den gewohnten Wink gab. Doch brann¬
ten sie niemals los. Ich faßte also den Entschluß, gerad' auf sie zuzulaufen.
Hätt' ich einen andern Weg genommen, würden sie, wie ich nachwerts er¬
fuhr, unfehlbar auf mich gefeuert haben. Jhr H.**". dacht' ich, hättet ihr eure
Courage bey Lowosttz gezeigt! Als ich nun zu ihnen kam, und mich als
Deserteur angab, nahmen sie mir das Gewehr ab, unterm Versprechen, mir's
nachwerts schon wieder zuzustellen. Aber der, welcher sich dessen impatronirt
hatte, verlor sich bald darauf, und nahm das Fühlt mit sich. Nun so seys!
Alsdann führten sie mich ins nächste Dorf, Scheniseck (es mochte eine starke
Stunde unter Lvwositz seyn). Hier war eine Fahrt über das Wasser, aber ein
einziger Kahn zum Transporte. Da gabs ein Zetteunordiogeschrei von Man-


dert Panduren, auf welche unsre Vordertruppen wieder wie wilde Löwen ein¬
brachen, ins Wasser sprangen, wo es dann auf das Städtchen selber los-
gieug — um diese Zeit war ich freylich nicht der Vorderste, sondern unter dem
Nachtrapp noch etwas im Weinberg droben, von denen indessen mancher, wie
gesagt, weit behender als ich von einer Mauer über die andere hinuntersprang,
um seinen Brüdern zu Hülf' zu eilen. Da ich also noch ein wenig erhöht
stand, und auf die Ebene wie in ein finsteres Donner- uno Hagelwetter hin¬
einsah — in diesem Augenblick deucht' es mich Zeit, oder vielmehr mahnte
mich mein Schutzengel, mich mit der Flucht zu retten. Ich sah mich des¬
wegen nach allen Seiten um. Vor mir war alles Feuer, Rauch und Dampf;
hinter mir noch viele nachkommende auf die Feinde loseilende Truppen, zur
Rechten zwey Hauptarmeen in voller Schlachtordnung. Zur Linken endlich
sah ich Weinberge, Büsche, Wäldchen, nur hie und da einzelne Menschen,
Preussen, Panduren, Husaren, und von diesen mehr Todte und Verwundete
als Lebende. Da, da, auf diese Seite, dacht' ich; sonst ist's pur lautere Un¬
möglichkeit!

Ich schlich also zuerst mit langsamem Marsch ein wenig auf diese linke
Seite, die Reben durch. Noch eilten etliche Preussen bey mir vorbey: „Komm,
„komm, Bruder,,! sagten sie: „Viktoria,,! Ich rispostirte kein Wort, ^that nur
ein wenig blessiert, und gieng immer noch allgemach fort, freylich mit Furcht
und Zittern. Sobald ich mich indessen so weit entfernt hatte, daß mich niemand
mehr sehen mochte, verdoppelte, verdrey-vier-fünf-sechsfachte ich meine schriee,
blickte rechts und links wie ein Jäger, sah noch von Weitem — zum letzten Mal in
meinem Leben — morden und todtschlagen; strich dann in vollem Galopp ein
Gehölze vorbey, das voll todter Husaren, Panduren und Pferde lag; rannte eines
Rennens gerade dem Fluß nach herunter, und stand jetzt an einem Tobel. Jen¬
seits desselben kamen so eben auch etliche Kaiserliche Soldaten angestochen, die sich
gleichfalls aus der Schlacht weggestohlen hatten, und schlugen, als sie mich so da¬
herlaufen sahen, zum drittenmal auf mich an, ungeachtet ich immer das Ge¬
wehr streckte, und ihnen mit dem Hut den gewohnten Wink gab. Doch brann¬
ten sie niemals los. Ich faßte also den Entschluß, gerad' auf sie zuzulaufen.
Hätt' ich einen andern Weg genommen, würden sie, wie ich nachwerts er¬
fuhr, unfehlbar auf mich gefeuert haben. Jhr H.**". dacht' ich, hättet ihr eure
Courage bey Lowosttz gezeigt! Als ich nun zu ihnen kam, und mich als
Deserteur angab, nahmen sie mir das Gewehr ab, unterm Versprechen, mir's
nachwerts schon wieder zuzustellen. Aber der, welcher sich dessen impatronirt
hatte, verlor sich bald darauf, und nahm das Fühlt mit sich. Nun so seys!
Alsdann führten sie mich ins nächste Dorf, Scheniseck (es mochte eine starke
Stunde unter Lvwositz seyn). Hier war eine Fahrt über das Wasser, aber ein
einziger Kahn zum Transporte. Da gabs ein Zetteunordiogeschrei von Man-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/119>, abgerufen am 23.07.2024.