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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Die erste Woche indessen hatt' ich noch Vacanz; gieng in der Stadt herum ans
alle Erercierplätze; sah, wie die Offiziere ihre Soldaten musterten und prügelten,
daß mir schon zum voraus der Angstschweiß von der Stirne troff. Ich bat daher Zitte-
man", mir bey Haus die Handgriffe zu zeigen. "Die wirst du wohl lernen!" sagte
er: "Aber auf die Geschwindigkeit könnte'ö an. "Da geht's dir wie en Bilp!"
Indessen war er so gut, mir wirklich alles zu weisen; wie ich das Gewehr rein
halten, die Montur anpressen, mich auf Soldatenmanier frisieren sollte u. s. f.
Nach Crans Rath verkaufte ich meine Stiefel und kaufte dafür ein hölzernes
Kästchen für meine Wäsche. Im Quartier übte ich mich stets im Exercieren,
las' im Hallischen Gesangbuch, oder betete. Dann spatziert' ich etwa an die
Spree und sah' da hundert Soldateuhände sich mit Aus- und Einladen der
Kaufmannswaaren beschäftigen: Oder aus die Zimmerplätze: da steckte wieder
alles voll arbeitender KriegSmänner. Ein andermal in die Casernen u. s. s.
Da fand ich überall auch dergleichen, die hunderlerley Handthierungen trieben
-- von Kunstwerken an bis zum Spinnrocken. Kam ich auf die Hauptwache,
so gab's da deren die spielten, soffen und haselierten;, andre welche ruhig ihr
Pfeifgen schmauchten und discuurlen; etwa auch einer der in einem erbaulichen
Buch las', und'ö den andern erklärte. In den Garküchen und Bierbrauereyen
gieng's eben so her. Kurz in Berlin hat's nnter dem Militair -- wie, denk'
ich freylich, in großen Staaten überall -- Leute aus allen vier Welttheilen,
von allen Nationen und Religionen, von allen Charaktern und von jedem
Berufe, womit einer noch nebeuzu sein Stücklein Breche gewinnen kann.

Die zweyte Woche mußt' ich mich schon alle Tage auf dem Paradeplatze
stelle", wo ich unvermuthet drey meiner Landleute, Schärer, Bachmann und
Gästli fand, die sich zumal alle mit mir uiuer gleichem Regimente (Jtzenblitz)
die beyden erstern vollends unter der nämlichen Compagnie (Lüderitz) befanden.
Da sollt' ich vor allen Dingen unter einem mürrischen Korporal mit einer
schiefen Nase (Mengte mit Namen) marschieren lernen. Den Kerl nun möcht'
ich vor den Tod nicht vertragen; wenn er mich gar auf die Füße klopfte, schoß
mir das Blut in den Gipfel. Unter seinen Händen hätt' ich mein Tage nichts
begreifen können. Dieß bemerkte einst Hevel, der mit seinen Leuten auf dem
gleichen Platze manövrirte, tauschte mich gegen einen andern aus und nahm
mich unter sein Plouton. Das war mir eine Herzensfreude. Jtzt capiert' ich
in einer Stunde mehr als sonst in zehn Tagen.

Schärer war eben so arm ,ils ich: Allein er bekam ein Paar Groschen
Zulage und doppelte Portion Vrvdt, der Major hielt ein gut Stück mehr auf
ihm, als auf mir. Indessen waren wir Herzensbrüder; so lang einer etwas
zu brechen hatte, konnte der andere anbeißen. Bachmann hingegen, der
ebenfalls mit uns hauste, war ein filziger Kerl und harmonierte nie recht
mit uns; und doch schien immer die Stunde ein Tag lang, wo wir nicht


Grenzbote". I. -I8U6. 1 i

Die erste Woche indessen hatt' ich noch Vacanz; gieng in der Stadt herum ans
alle Erercierplätze; sah, wie die Offiziere ihre Soldaten musterten und prügelten,
daß mir schon zum voraus der Angstschweiß von der Stirne troff. Ich bat daher Zitte-
man», mir bey Haus die Handgriffe zu zeigen. „Die wirst du wohl lernen!" sagte
er: „Aber auf die Geschwindigkeit könnte'ö an. „Da geht's dir wie en Bilp!"
Indessen war er so gut, mir wirklich alles zu weisen; wie ich das Gewehr rein
halten, die Montur anpressen, mich auf Soldatenmanier frisieren sollte u. s. f.
Nach Crans Rath verkaufte ich meine Stiefel und kaufte dafür ein hölzernes
Kästchen für meine Wäsche. Im Quartier übte ich mich stets im Exercieren,
las' im Hallischen Gesangbuch, oder betete. Dann spatziert' ich etwa an die
Spree und sah' da hundert Soldateuhände sich mit Aus- und Einladen der
Kaufmannswaaren beschäftigen: Oder aus die Zimmerplätze: da steckte wieder
alles voll arbeitender KriegSmänner. Ein andermal in die Casernen u. s. s.
Da fand ich überall auch dergleichen, die hunderlerley Handthierungen trieben
— von Kunstwerken an bis zum Spinnrocken. Kam ich auf die Hauptwache,
so gab's da deren die spielten, soffen und haselierten;, andre welche ruhig ihr
Pfeifgen schmauchten und discuurlen; etwa auch einer der in einem erbaulichen
Buch las', und'ö den andern erklärte. In den Garküchen und Bierbrauereyen
gieng's eben so her. Kurz in Berlin hat's nnter dem Militair — wie, denk'
ich freylich, in großen Staaten überall — Leute aus allen vier Welttheilen,
von allen Nationen und Religionen, von allen Charaktern und von jedem
Berufe, womit einer noch nebeuzu sein Stücklein Breche gewinnen kann.

Die zweyte Woche mußt' ich mich schon alle Tage auf dem Paradeplatze
stelle», wo ich unvermuthet drey meiner Landleute, Schärer, Bachmann und
Gästli fand, die sich zumal alle mit mir uiuer gleichem Regimente (Jtzenblitz)
die beyden erstern vollends unter der nämlichen Compagnie (Lüderitz) befanden.
Da sollt' ich vor allen Dingen unter einem mürrischen Korporal mit einer
schiefen Nase (Mengte mit Namen) marschieren lernen. Den Kerl nun möcht'
ich vor den Tod nicht vertragen; wenn er mich gar auf die Füße klopfte, schoß
mir das Blut in den Gipfel. Unter seinen Händen hätt' ich mein Tage nichts
begreifen können. Dieß bemerkte einst Hevel, der mit seinen Leuten auf dem
gleichen Platze manövrirte, tauschte mich gegen einen andern aus und nahm
mich unter sein Plouton. Das war mir eine Herzensfreude. Jtzt capiert' ich
in einer Stunde mehr als sonst in zehn Tagen.

Schärer war eben so arm ,ils ich: Allein er bekam ein Paar Groschen
Zulage und doppelte Portion Vrvdt, der Major hielt ein gut Stück mehr auf
ihm, als auf mir. Indessen waren wir Herzensbrüder; so lang einer etwas
zu brechen hatte, konnte der andere anbeißen. Bachmann hingegen, der
ebenfalls mit uns hauste, war ein filziger Kerl und harmonierte nie recht
mit uns; und doch schien immer die Stunde ein Tag lang, wo wir nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/113>, abgerufen am 23.07.2024.