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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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zum Dienst gepreßt wurden. Aber man denkt dabei doch nicht immer an das
Uebermaß von Brutalität, Verrath und Schlechtigkeit, welches mit Wissen und
Willen der Regierenden aufgewandt wurde, um Menschen zu fangen. Es war in
der That ein Verfahren, nicht unähnlich dem Sklaventreiben, welches jetzt an den
Küsten von Afrika stattfindet, und der Unterschied besteht fast nur darin, daß
die Schändlichkeit vorsichtiger, heimlicher, immer nur gegen Einzelne ausgeübt
wurde. Eine Sklavenjagd aber war es in der That, denn der geworbene
Soldat zur Zeit des großen Friedrich konnte erst dann seine Functionen in der
großen Maschine des Heeres verrichten, wenn er mit allen Hoffnungen und
Neigungen seines früheren Lebens abgeschlossen hatte. Es ist eine trostlose
Sache, sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, welche in Tausenden der gepre߬
ten Opfer gearbeitet haben, herzzerreißender Schmerz über ein zerstörtes Leben
und vernichtete Hoffnungen,, wie ohnmächtige Wuth gegen die Gewaltthätigen.
Es waren nicht immer die schlechtesten Männer, welche wegen wiederholter
Desertion zwischen Spießruthe" zu Tode gejagt oder wegen trotzigem Ungehor¬
sam gefuchtelt wurden, bis sie bewußtlos am Boden lagen. Wer den Kampf
in seinem Innern überstand und die rohen Formen des neuen Lebens gewohnt
wurde, der war ein ausgearbeiteter Soldat, das heißt ein Mensch, der seinen
Dienst pünktlich versah, bei der Aitake den Muth einer wilden Bestie zeigte,
nach Vorschrift verehrte und haßte und vielleicht sogar eine Anhänglichkeit an
seine Fahne erhielt und wahrscheinlich eine größere Anhänglichkeit an den
Freund, der ihn sein Elenv auf Stunden vergessen machte, den Branntwein.

Bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges hatte bei den meisten deutschen
Heeren die Werbung nach Landknechtl'rauch auf das Risico des Obersten
staugefunden. Der Oberst schloß den Contract mit dem Fürsten, er besetzte
und verkaufte die Hauplmannöstellen, der Fürst zahlte dem Obersten das Geld,
welches von der Landschaft aufgebracht wurde. So waren die Regimenter in
gründlicher Abhängigkeit vom Obersten, und dieser war eine Macht auch dem
Landesherrn gegenüber. Die Disciplin war locker, die Offizierstellen von Krea¬
turen des Oberst besetzt, der Zusammenhalt des Regiments wurde durch seinen
Tod gelöst. Die Werbung der Recruten aber war in dieser frühern Zeit noch
wenig organistrt und die Gaunereien, welche dabei nicht fehlen konnten,
waren wenigstens nicht durch die höchsten irdischen Autoritäten sanctionirt.
Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst, reformirte gleich nach seinem Regierungs¬
antritt 1610 das Verhältniß der Regimenter zum Landesherrn, die Werbung ge¬
schah fortan in seinem eignen Namen, er ernannte den Obersten und die Offiziere,
welche ihre Stellen nicht mehr kaufen durften. Dadurch erst wurden die Söldner¬
scharen zu einem stehenden Heere mit gleichmäßiger Bekleidung, Bewaffnung
und Ausrüstung, mit strenger Mannszucht, willenlose Werkzeuge in der
Hand des Fürsten. Für das Kriegswesen war dies der größte Fortschritt seit


zum Dienst gepreßt wurden. Aber man denkt dabei doch nicht immer an das
Uebermaß von Brutalität, Verrath und Schlechtigkeit, welches mit Wissen und
Willen der Regierenden aufgewandt wurde, um Menschen zu fangen. Es war in
der That ein Verfahren, nicht unähnlich dem Sklaventreiben, welches jetzt an den
Küsten von Afrika stattfindet, und der Unterschied besteht fast nur darin, daß
die Schändlichkeit vorsichtiger, heimlicher, immer nur gegen Einzelne ausgeübt
wurde. Eine Sklavenjagd aber war es in der That, denn der geworbene
Soldat zur Zeit des großen Friedrich konnte erst dann seine Functionen in der
großen Maschine des Heeres verrichten, wenn er mit allen Hoffnungen und
Neigungen seines früheren Lebens abgeschlossen hatte. Es ist eine trostlose
Sache, sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, welche in Tausenden der gepre߬
ten Opfer gearbeitet haben, herzzerreißender Schmerz über ein zerstörtes Leben
und vernichtete Hoffnungen,, wie ohnmächtige Wuth gegen die Gewaltthätigen.
Es waren nicht immer die schlechtesten Männer, welche wegen wiederholter
Desertion zwischen Spießruthe» zu Tode gejagt oder wegen trotzigem Ungehor¬
sam gefuchtelt wurden, bis sie bewußtlos am Boden lagen. Wer den Kampf
in seinem Innern überstand und die rohen Formen des neuen Lebens gewohnt
wurde, der war ein ausgearbeiteter Soldat, das heißt ein Mensch, der seinen
Dienst pünktlich versah, bei der Aitake den Muth einer wilden Bestie zeigte,
nach Vorschrift verehrte und haßte und vielleicht sogar eine Anhänglichkeit an
seine Fahne erhielt und wahrscheinlich eine größere Anhänglichkeit an den
Freund, der ihn sein Elenv auf Stunden vergessen machte, den Branntwein.

Bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges hatte bei den meisten deutschen
Heeren die Werbung nach Landknechtl'rauch auf das Risico des Obersten
staugefunden. Der Oberst schloß den Contract mit dem Fürsten, er besetzte
und verkaufte die Hauplmannöstellen, der Fürst zahlte dem Obersten das Geld,
welches von der Landschaft aufgebracht wurde. So waren die Regimenter in
gründlicher Abhängigkeit vom Obersten, und dieser war eine Macht auch dem
Landesherrn gegenüber. Die Disciplin war locker, die Offizierstellen von Krea¬
turen des Oberst besetzt, der Zusammenhalt des Regiments wurde durch seinen
Tod gelöst. Die Werbung der Recruten aber war in dieser frühern Zeit noch
wenig organistrt und die Gaunereien, welche dabei nicht fehlen konnten,
waren wenigstens nicht durch die höchsten irdischen Autoritäten sanctionirt.
Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst, reformirte gleich nach seinem Regierungs¬
antritt 1610 das Verhältniß der Regimenter zum Landesherrn, die Werbung ge¬
schah fortan in seinem eignen Namen, er ernannte den Obersten und die Offiziere,
welche ihre Stellen nicht mehr kaufen durften. Dadurch erst wurden die Söldner¬
scharen zu einem stehenden Heere mit gleichmäßiger Bekleidung, Bewaffnung
und Ausrüstung, mit strenger Mannszucht, willenlose Werkzeuge in der
Hand des Fürsten. Für das Kriegswesen war dies der größte Fortschritt seit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/106>, abgerufen am 23.07.2024.