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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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entschiedenes Unrecht. Ja, wir möchten noch weiter gehen. Die neueste Ent¬
wicklung der Malerei und Sculptur scheint uns grade das Rhodus zu sein,
auf dem der Kunsthistoriker zu tanzen hat, denn wie sich Rafael, Michel Angelo,
Albrecht Dürer, Rul'eus :c. zueinander verhalten, das kann heutzutage so
Mancher sagen, in den Hauptsachen ist ja kein Streit mehr darüber, aber
für ein-en Historiker, der doch zugleich auch Kritiker sein muß, ist eS eine Haupt¬
aufgabe, zur Bildung des Geschmacks nachzuweisen, was die Künstler der
Gegenwart geleistet haben, zu welchem Ziel ihre Bestrebungen hinführen und
worin sie irren; daß Gallait in Beziehung auf die Technik den größten
Malern aller Zeiten zur Seite steht, daß die Komposition der sieben apoka¬
lyptischen Reiter, der Hunnenschlacht, des Frievrichsdenkmals an Größe alles
übertrifft, was seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts geleistet ist, daß in Vernets
Schlachtgemälden eine neue Phase der Kunst eintritt und daß, um auf
ein kleineres Genre überzugehen, die Illustrationen von Richter ein entschie¬
dener Fortschritt gegen Chodoviecky sind, um das zu erkennen, braucht man blos
nicht blind zu sein. Dem Kunsthistoriker liegt es aber auch in dem Fall, daß
er alle diese Richtungen für falsch halten sollte, ob, seine Ansicht im Einzel¬
nen nachzuweisen, denn jene Leistungen zu übergehen, ist ebenso, als wenn
eine Geschichte des Theaters Cnlderon gar nicht erwähnen wollte, weil sie
seine sittliche Tendenz mißbilligt. -- Es ist dies um so mehr Schade, da Herr
Springer nicht blos eine fleißige Arbeit gegeben hat, sondern auch, wo er
urtheilt, ein sehr feines Verständniß entwickelt. Hoffen wir daher, daß bei
einer neuen Ausgabe die Ausgleichung dieses Nebelstaudes erfolgen wird.

Vielleicht wird Herr Förster im vierten Bande seiner deutschen Kunst¬
geschichte ernsthafter auf diesen Gegenstand eingehen; wir behalten uns vor,
bei dem Erscheinen des vierten Bandes das ganze Werk ausführlicher zu be¬
sprechen. Gegen den dritten Band wird einzuwenden sein, daß er einen
Zweig der Malerei, der entweder gar nicht oder doch nur sehr indirect zur
Entwicklung der deutschen Kunst gehört, nämlich die niederländische Malerei
seit Rubens mit zu großer Ausführlichkeit behandelt. Darf man in der Kunst auf
die geographisch-politischen Beziehungen der Niederlande zu Deutschland so große
Rücksicht nehmen? Die Hauptsache ist doch, daß die Richtung der niederländischen
Schule ganz außerhalb der deutschen fällt, weder fördernd , noch schädlich auf sie
einwirkt,^ wenigstens nur sehr mittelbar. Auch mit der Auswahl der Stahlstiche,
die übrigens sorgfältig ausgeführt sind, können wir uns nicht ganz einver¬
standen erklären. Sechs darunter stellen uns Gemälde von Rubens dar; bei
diesen geht aber die Hauptsache verloren, da der eigentliche Werth dieses großen
Künstlers in der Farbe liegt. Dies ist freilich nur insofern ein Vorwurf, als
dadurch anderen, wichtigeren Abbildungen der Raum entzogen wird. Nehmen
wir sie als eine Zugabe, so können wir leichter dankbar sein.


entschiedenes Unrecht. Ja, wir möchten noch weiter gehen. Die neueste Ent¬
wicklung der Malerei und Sculptur scheint uns grade das Rhodus zu sein,
auf dem der Kunsthistoriker zu tanzen hat, denn wie sich Rafael, Michel Angelo,
Albrecht Dürer, Rul'eus :c. zueinander verhalten, das kann heutzutage so
Mancher sagen, in den Hauptsachen ist ja kein Streit mehr darüber, aber
für ein-en Historiker, der doch zugleich auch Kritiker sein muß, ist eS eine Haupt¬
aufgabe, zur Bildung des Geschmacks nachzuweisen, was die Künstler der
Gegenwart geleistet haben, zu welchem Ziel ihre Bestrebungen hinführen und
worin sie irren; daß Gallait in Beziehung auf die Technik den größten
Malern aller Zeiten zur Seite steht, daß die Komposition der sieben apoka¬
lyptischen Reiter, der Hunnenschlacht, des Frievrichsdenkmals an Größe alles
übertrifft, was seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts geleistet ist, daß in Vernets
Schlachtgemälden eine neue Phase der Kunst eintritt und daß, um auf
ein kleineres Genre überzugehen, die Illustrationen von Richter ein entschie¬
dener Fortschritt gegen Chodoviecky sind, um das zu erkennen, braucht man blos
nicht blind zu sein. Dem Kunsthistoriker liegt es aber auch in dem Fall, daß
er alle diese Richtungen für falsch halten sollte, ob, seine Ansicht im Einzel¬
nen nachzuweisen, denn jene Leistungen zu übergehen, ist ebenso, als wenn
eine Geschichte des Theaters Cnlderon gar nicht erwähnen wollte, weil sie
seine sittliche Tendenz mißbilligt. — Es ist dies um so mehr Schade, da Herr
Springer nicht blos eine fleißige Arbeit gegeben hat, sondern auch, wo er
urtheilt, ein sehr feines Verständniß entwickelt. Hoffen wir daher, daß bei
einer neuen Ausgabe die Ausgleichung dieses Nebelstaudes erfolgen wird.

Vielleicht wird Herr Förster im vierten Bande seiner deutschen Kunst¬
geschichte ernsthafter auf diesen Gegenstand eingehen; wir behalten uns vor,
bei dem Erscheinen des vierten Bandes das ganze Werk ausführlicher zu be¬
sprechen. Gegen den dritten Band wird einzuwenden sein, daß er einen
Zweig der Malerei, der entweder gar nicht oder doch nur sehr indirect zur
Entwicklung der deutschen Kunst gehört, nämlich die niederländische Malerei
seit Rubens mit zu großer Ausführlichkeit behandelt. Darf man in der Kunst auf
die geographisch-politischen Beziehungen der Niederlande zu Deutschland so große
Rücksicht nehmen? Die Hauptsache ist doch, daß die Richtung der niederländischen
Schule ganz außerhalb der deutschen fällt, weder fördernd , noch schädlich auf sie
einwirkt,^ wenigstens nur sehr mittelbar. Auch mit der Auswahl der Stahlstiche,
die übrigens sorgfältig ausgeführt sind, können wir uns nicht ganz einver¬
standen erklären. Sechs darunter stellen uns Gemälde von Rubens dar; bei
diesen geht aber die Hauptsache verloren, da der eigentliche Werth dieses großen
Künstlers in der Farbe liegt. Dies ist freilich nur insofern ein Vorwurf, als
dadurch anderen, wichtigeren Abbildungen der Raum entzogen wird. Nehmen
wir sie als eine Zugabe, so können wir leichter dankbar sein.


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[0104] entschiedenes Unrecht. Ja, wir möchten noch weiter gehen. Die neueste Ent¬ wicklung der Malerei und Sculptur scheint uns grade das Rhodus zu sein, auf dem der Kunsthistoriker zu tanzen hat, denn wie sich Rafael, Michel Angelo, Albrecht Dürer, Rul'eus :c. zueinander verhalten, das kann heutzutage so Mancher sagen, in den Hauptsachen ist ja kein Streit mehr darüber, aber für ein-en Historiker, der doch zugleich auch Kritiker sein muß, ist eS eine Haupt¬ aufgabe, zur Bildung des Geschmacks nachzuweisen, was die Künstler der Gegenwart geleistet haben, zu welchem Ziel ihre Bestrebungen hinführen und worin sie irren; daß Gallait in Beziehung auf die Technik den größten Malern aller Zeiten zur Seite steht, daß die Komposition der sieben apoka¬ lyptischen Reiter, der Hunnenschlacht, des Frievrichsdenkmals an Größe alles übertrifft, was seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts geleistet ist, daß in Vernets Schlachtgemälden eine neue Phase der Kunst eintritt und daß, um auf ein kleineres Genre überzugehen, die Illustrationen von Richter ein entschie¬ dener Fortschritt gegen Chodoviecky sind, um das zu erkennen, braucht man blos nicht blind zu sein. Dem Kunsthistoriker liegt es aber auch in dem Fall, daß er alle diese Richtungen für falsch halten sollte, ob, seine Ansicht im Einzel¬ nen nachzuweisen, denn jene Leistungen zu übergehen, ist ebenso, als wenn eine Geschichte des Theaters Cnlderon gar nicht erwähnen wollte, weil sie seine sittliche Tendenz mißbilligt. — Es ist dies um so mehr Schade, da Herr Springer nicht blos eine fleißige Arbeit gegeben hat, sondern auch, wo er urtheilt, ein sehr feines Verständniß entwickelt. Hoffen wir daher, daß bei einer neuen Ausgabe die Ausgleichung dieses Nebelstaudes erfolgen wird. Vielleicht wird Herr Förster im vierten Bande seiner deutschen Kunst¬ geschichte ernsthafter auf diesen Gegenstand eingehen; wir behalten uns vor, bei dem Erscheinen des vierten Bandes das ganze Werk ausführlicher zu be¬ sprechen. Gegen den dritten Band wird einzuwenden sein, daß er einen Zweig der Malerei, der entweder gar nicht oder doch nur sehr indirect zur Entwicklung der deutschen Kunst gehört, nämlich die niederländische Malerei seit Rubens mit zu großer Ausführlichkeit behandelt. Darf man in der Kunst auf die geographisch-politischen Beziehungen der Niederlande zu Deutschland so große Rücksicht nehmen? Die Hauptsache ist doch, daß die Richtung der niederländischen Schule ganz außerhalb der deutschen fällt, weder fördernd , noch schädlich auf sie einwirkt,^ wenigstens nur sehr mittelbar. Auch mit der Auswahl der Stahlstiche, die übrigens sorgfältig ausgeführt sind, können wir uns nicht ganz einver¬ standen erklären. Sechs darunter stellen uns Gemälde von Rubens dar; bei diesen geht aber die Hauptsache verloren, da der eigentliche Werth dieses großen Künstlers in der Farbe liegt. Dies ist freilich nur insofern ein Vorwurf, als dadurch anderen, wichtigeren Abbildungen der Raum entzogen wird. Nehmen wir sie als eine Zugabe, so können wir leichter dankbar sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/104>, abgerufen am 23.07.2024.