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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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man den Architekten entgegenzubringen hat, auch diejenige gehört, daß sein
Werk den Zweck nicht blos erfüllen, sondern ihn auch deutlich aussprechen
muß. In den Zeiten des polizeilichen Vandalismus ging man rein vom Be- '
griffe des Zweckmäßiger aus und schlug das Schöne mit roher Faust zu Bo¬
den. Aber die Reaction trat ebenso einseitig aus, indem sie das Schöne vom
Zweckmäßiger zu emancipiren strebte, was, wenn es überhaupt bei einer Kunst
möglich ist, bei der Baukunst gewiß nicht gestattet werden darf. Wenn bei t>er
Geschichte der griechischen Baukunst die Privatwohnungen zurücktreten, so liegt
das theils darin, weil man in der That in Griechenland auf den Privatbau
wenig Gewicht legte, theils darin, daß unsre Kenntniß von diesem Fach zu
dürftig ist, obgleich wir doch gewünscht hätten, daß Herr Lübke nicht blos Den
griechischen Tempel, sondern auch das griechische Theater dargestellt hätte Aber
schon bei den Römern wird der weltliche Ban wichtiger, als der heilige, und
wenn man sich von der Baukunst des Mittelalters einen klaren Begriff machen
will, so muß man die Schlösser, Burgen, Städte, Dörfer u. s. w. ebenso,
scharf ins Auge fassen, als die Kirchen. Mit der Renaissancezeit vollends tritt
der kirchliche Stil allmälig hinter den weltlichen zurück, und die neueste Zeit
scheint in Beziehung auf den Kirchenbau alle Productivität verloren zu haben,
so daß man ganz recht daran thut, wenn man einfach auf den alten Stil zu¬
rückgeht. Aber man mag die neue Geschmacksrichtung soviel beklagen, als
man will, man hat jedenfalls die Verpflichtung, darauf einzugehen, da es mit
der Baukunst nicht so ist, wie mit den übrigen Künsten, dir allenfalls eine
Weile ruhen können, weil es gar nicht nöthig ist, daß fortwährend neue
Statuen, Gemälde, Dramen u. s. w. angefertigt werden, gebaut dagegen muß
werden, und wenn nicht gut und schön gebaut wird, so baut man schlecht und
häßlich, was jeder Kunsttheoretiker, so viel in seinen Kräften steht, zu verhüten
hat. Die Technik unsrer Zeit ist gar nicht so unbedeutend, und an Kühnheit
und Unternehmungsgeist fehlt eS uns auch gar nicht, wie unsre Eisenbahn¬
bauten u. s. w. zeigen. Es kommt darauf an, daß diese Kraft sich mit An¬
muth eine, denn alles, was zweckmäßig und nützlich ist, kann auch in schöner
Form dargestellt werden, ohne den Zweck zu beeinträchtigen. -- Nun ist das Buch
so vortrefflich und entspricht einem so allgemeinen Bedürfniß, daß wir überzeugt
sind, es wird noch mehre Auflagen erleben, und für, diesen Fall möchten wir
den Verfasser dringend auffordern, der weltlichen Baukunst überhaupt und na¬
mentlich der neuern Baukunst einen größern Raum zu geben, gleichviel ob
dadurch überhaupt das Werk an Ausdehnung gewinnt. Die Kritik ist ebenso
wichtig, als die Apologie; es genügt aber keineswegs, daß man den modernen
Stil im Allgemeinen tadelt, man muß auch angeben, warum man ihn tadelt,
um den Geschmack des Publicums wie der Künstler zu fördern. Daß der
moderne Kasernenbau in seiner rohesten Form häßlich ist, weiß jedermann;


man den Architekten entgegenzubringen hat, auch diejenige gehört, daß sein
Werk den Zweck nicht blos erfüllen, sondern ihn auch deutlich aussprechen
muß. In den Zeiten des polizeilichen Vandalismus ging man rein vom Be- '
griffe des Zweckmäßiger aus und schlug das Schöne mit roher Faust zu Bo¬
den. Aber die Reaction trat ebenso einseitig aus, indem sie das Schöne vom
Zweckmäßiger zu emancipiren strebte, was, wenn es überhaupt bei einer Kunst
möglich ist, bei der Baukunst gewiß nicht gestattet werden darf. Wenn bei t>er
Geschichte der griechischen Baukunst die Privatwohnungen zurücktreten, so liegt
das theils darin, weil man in der That in Griechenland auf den Privatbau
wenig Gewicht legte, theils darin, daß unsre Kenntniß von diesem Fach zu
dürftig ist, obgleich wir doch gewünscht hätten, daß Herr Lübke nicht blos Den
griechischen Tempel, sondern auch das griechische Theater dargestellt hätte Aber
schon bei den Römern wird der weltliche Ban wichtiger, als der heilige, und
wenn man sich von der Baukunst des Mittelalters einen klaren Begriff machen
will, so muß man die Schlösser, Burgen, Städte, Dörfer u. s. w. ebenso,
scharf ins Auge fassen, als die Kirchen. Mit der Renaissancezeit vollends tritt
der kirchliche Stil allmälig hinter den weltlichen zurück, und die neueste Zeit
scheint in Beziehung auf den Kirchenbau alle Productivität verloren zu haben,
so daß man ganz recht daran thut, wenn man einfach auf den alten Stil zu¬
rückgeht. Aber man mag die neue Geschmacksrichtung soviel beklagen, als
man will, man hat jedenfalls die Verpflichtung, darauf einzugehen, da es mit
der Baukunst nicht so ist, wie mit den übrigen Künsten, dir allenfalls eine
Weile ruhen können, weil es gar nicht nöthig ist, daß fortwährend neue
Statuen, Gemälde, Dramen u. s. w. angefertigt werden, gebaut dagegen muß
werden, und wenn nicht gut und schön gebaut wird, so baut man schlecht und
häßlich, was jeder Kunsttheoretiker, so viel in seinen Kräften steht, zu verhüten
hat. Die Technik unsrer Zeit ist gar nicht so unbedeutend, und an Kühnheit
und Unternehmungsgeist fehlt eS uns auch gar nicht, wie unsre Eisenbahn¬
bauten u. s. w. zeigen. Es kommt darauf an, daß diese Kraft sich mit An¬
muth eine, denn alles, was zweckmäßig und nützlich ist, kann auch in schöner
Form dargestellt werden, ohne den Zweck zu beeinträchtigen. — Nun ist das Buch
so vortrefflich und entspricht einem so allgemeinen Bedürfniß, daß wir überzeugt
sind, es wird noch mehre Auflagen erleben, und für, diesen Fall möchten wir
den Verfasser dringend auffordern, der weltlichen Baukunst überhaupt und na¬
mentlich der neuern Baukunst einen größern Raum zu geben, gleichviel ob
dadurch überhaupt das Werk an Ausdehnung gewinnt. Die Kritik ist ebenso
wichtig, als die Apologie; es genügt aber keineswegs, daß man den modernen
Stil im Allgemeinen tadelt, man muß auch angeben, warum man ihn tadelt,
um den Geschmack des Publicums wie der Künstler zu fördern. Daß der
moderne Kasernenbau in seiner rohesten Form häßlich ist, weiß jedermann;


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[0102] man den Architekten entgegenzubringen hat, auch diejenige gehört, daß sein Werk den Zweck nicht blos erfüllen, sondern ihn auch deutlich aussprechen muß. In den Zeiten des polizeilichen Vandalismus ging man rein vom Be- ' griffe des Zweckmäßiger aus und schlug das Schöne mit roher Faust zu Bo¬ den. Aber die Reaction trat ebenso einseitig aus, indem sie das Schöne vom Zweckmäßiger zu emancipiren strebte, was, wenn es überhaupt bei einer Kunst möglich ist, bei der Baukunst gewiß nicht gestattet werden darf. Wenn bei t>er Geschichte der griechischen Baukunst die Privatwohnungen zurücktreten, so liegt das theils darin, weil man in der That in Griechenland auf den Privatbau wenig Gewicht legte, theils darin, daß unsre Kenntniß von diesem Fach zu dürftig ist, obgleich wir doch gewünscht hätten, daß Herr Lübke nicht blos Den griechischen Tempel, sondern auch das griechische Theater dargestellt hätte Aber schon bei den Römern wird der weltliche Ban wichtiger, als der heilige, und wenn man sich von der Baukunst des Mittelalters einen klaren Begriff machen will, so muß man die Schlösser, Burgen, Städte, Dörfer u. s. w. ebenso, scharf ins Auge fassen, als die Kirchen. Mit der Renaissancezeit vollends tritt der kirchliche Stil allmälig hinter den weltlichen zurück, und die neueste Zeit scheint in Beziehung auf den Kirchenbau alle Productivität verloren zu haben, so daß man ganz recht daran thut, wenn man einfach auf den alten Stil zu¬ rückgeht. Aber man mag die neue Geschmacksrichtung soviel beklagen, als man will, man hat jedenfalls die Verpflichtung, darauf einzugehen, da es mit der Baukunst nicht so ist, wie mit den übrigen Künsten, dir allenfalls eine Weile ruhen können, weil es gar nicht nöthig ist, daß fortwährend neue Statuen, Gemälde, Dramen u. s. w. angefertigt werden, gebaut dagegen muß werden, und wenn nicht gut und schön gebaut wird, so baut man schlecht und häßlich, was jeder Kunsttheoretiker, so viel in seinen Kräften steht, zu verhüten hat. Die Technik unsrer Zeit ist gar nicht so unbedeutend, und an Kühnheit und Unternehmungsgeist fehlt eS uns auch gar nicht, wie unsre Eisenbahn¬ bauten u. s. w. zeigen. Es kommt darauf an, daß diese Kraft sich mit An¬ muth eine, denn alles, was zweckmäßig und nützlich ist, kann auch in schöner Form dargestellt werden, ohne den Zweck zu beeinträchtigen. — Nun ist das Buch so vortrefflich und entspricht einem so allgemeinen Bedürfniß, daß wir überzeugt sind, es wird noch mehre Auflagen erleben, und für, diesen Fall möchten wir den Verfasser dringend auffordern, der weltlichen Baukunst überhaupt und na¬ mentlich der neuern Baukunst einen größern Raum zu geben, gleichviel ob dadurch überhaupt das Werk an Ausdehnung gewinnt. Die Kritik ist ebenso wichtig, als die Apologie; es genügt aber keineswegs, daß man den modernen Stil im Allgemeinen tadelt, man muß auch angeben, warum man ihn tadelt, um den Geschmack des Publicums wie der Künstler zu fördern. Daß der moderne Kasernenbau in seiner rohesten Form häßlich ist, weiß jedermann;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/102>, abgerufen am 23.07.2024.