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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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bestimmt. Das.Unglück wollte, daß ihm persönlich die weitere Durchführung
dieser Gesetzgebung entzogen und daß sie in die Hände des Staatskanzlers
Hardenberg gelegt wurde, eines Mannes, gegen den er eine sehr begreifliche
Abneigung hegte. Man'kann sich nicht leicht zwei Naturen denken, die ein¬
ander mehr widerstrebten, als der rücksichtslose, leidenschaftliche, durchgreifende
Charakter des Freiherrn von Stein und das schmiegsame, feine, diplomatische
Wesen des Staatskanzlers, der gern allen Umständen Rechnung trug. Ein
unbeschäftigter Staatsmann ist stets geneigt und sähig, die einzelnen Fehler
seines Nachfolgers scharf aufzufassen; dienstfertige Freunde (hier z. B. Niebuhr,
der leidenschaftlichste Feind des Staatskanzlers) thun das Uebrige und so sehen
wir denn am Abend seines Lebens zu unserm tiefen Leidwesen Stein unter
den Vvrfechtern gegen die liberale Richtung Hardenbergs, ja zum Theil im
Bunde mit Männern, die er früher bekämpft uno verachtet hatte.

Sehr bezeichnend ist ein Brief des Freiherrn von Gagern an Stein vom
13. Januar -182t. "Der Ernst, der in Ihnen ist, soll nie in erwas Herdes
übergehen, noch als ob alles Täuschung wäre, was früher Sie mächtig an¬
sprach. In großen Gefahren oder Krisen bedarf man so starker Charaktere.
Man sucht sie' auf, man läßt sie schalten, man erkennt und verdankt ihren
Werth. Denn sie helfen uno geben den Begebenheiten Ausgang oder Rich¬
tung. Mir kommt es ganz natürlich vor, daß sie po8l stuclium et laboism
lästig, herrisch, unnachgiebig erscheinen. Die Mittelmäßigkeit vel ciua8!, in
ihrer großen Majorität, thront wieder, und glaubt, daß zu alltäglichen Sachen
die Alltäglichkeit sich am besten schicke. Sie wähnt nicht oder will nicht wissen,
daß diese alltäglichen Sachen selbst allioris inclaxinis sind -- und neue Uebel,
so behandelt, herbeiführen werden, die abermals der Cur und herzhafter Aerzte
bedürfen. Warum sich also darüber grämen oder vielmehr entrüsten? In dem
Grad ist der Mensch nicht dankbar! Das Bewußtsein bewiesener Kraft -- er¬
zeugten Gutes, -- hergestellter Unabhängigkeiten wäre mir in Ihrer Lage stets
tröstend! Ja mich erhält der Ideengang aufrecht, auf den es doch nur in so
viel kleinerem Maßstab anwendbar ist."

DiesSr Brief gibt einen ziemlich scharfen Umriß von den Empfindungen
eines Mannes, der mit stolzem Selbstgefühl sich sagen kann, daß er einst der
wahre Führer der nationalen Bewegung war, der sich nun zu einer schmerz¬
haften Unthätigkeit verdammt sieht und nothwendig zur Opposition gegen das
herrschende System geneigt ist. Das herrschende System war aber trotz aller
liberalen Beimischungen derselbe Beamtenmechanismus, den Stein schon in
früherer Zeit als erschlaffend für den patriotischen Aufschwung, als verderblich
für den Kern des sittlichen Lebens bezeichnet hatte. Zu welcher Partei sollte
er sich nun halten? Die herrschende Stimmung, war zwar für ein auf der
Grundlage des Bürgerthums ruhendes Repräsentativsystem, aber die dana-


bestimmt. Das.Unglück wollte, daß ihm persönlich die weitere Durchführung
dieser Gesetzgebung entzogen und daß sie in die Hände des Staatskanzlers
Hardenberg gelegt wurde, eines Mannes, gegen den er eine sehr begreifliche
Abneigung hegte. Man'kann sich nicht leicht zwei Naturen denken, die ein¬
ander mehr widerstrebten, als der rücksichtslose, leidenschaftliche, durchgreifende
Charakter des Freiherrn von Stein und das schmiegsame, feine, diplomatische
Wesen des Staatskanzlers, der gern allen Umständen Rechnung trug. Ein
unbeschäftigter Staatsmann ist stets geneigt und sähig, die einzelnen Fehler
seines Nachfolgers scharf aufzufassen; dienstfertige Freunde (hier z. B. Niebuhr,
der leidenschaftlichste Feind des Staatskanzlers) thun das Uebrige und so sehen
wir denn am Abend seines Lebens zu unserm tiefen Leidwesen Stein unter
den Vvrfechtern gegen die liberale Richtung Hardenbergs, ja zum Theil im
Bunde mit Männern, die er früher bekämpft uno verachtet hatte.

Sehr bezeichnend ist ein Brief des Freiherrn von Gagern an Stein vom
13. Januar -182t. „Der Ernst, der in Ihnen ist, soll nie in erwas Herdes
übergehen, noch als ob alles Täuschung wäre, was früher Sie mächtig an¬
sprach. In großen Gefahren oder Krisen bedarf man so starker Charaktere.
Man sucht sie' auf, man läßt sie schalten, man erkennt und verdankt ihren
Werth. Denn sie helfen uno geben den Begebenheiten Ausgang oder Rich¬
tung. Mir kommt es ganz natürlich vor, daß sie po8l stuclium et laboism
lästig, herrisch, unnachgiebig erscheinen. Die Mittelmäßigkeit vel ciua8!, in
ihrer großen Majorität, thront wieder, und glaubt, daß zu alltäglichen Sachen
die Alltäglichkeit sich am besten schicke. Sie wähnt nicht oder will nicht wissen,
daß diese alltäglichen Sachen selbst allioris inclaxinis sind — und neue Uebel,
so behandelt, herbeiführen werden, die abermals der Cur und herzhafter Aerzte
bedürfen. Warum sich also darüber grämen oder vielmehr entrüsten? In dem
Grad ist der Mensch nicht dankbar! Das Bewußtsein bewiesener Kraft — er¬
zeugten Gutes, — hergestellter Unabhängigkeiten wäre mir in Ihrer Lage stets
tröstend! Ja mich erhält der Ideengang aufrecht, auf den es doch nur in so
viel kleinerem Maßstab anwendbar ist."

DiesSr Brief gibt einen ziemlich scharfen Umriß von den Empfindungen
eines Mannes, der mit stolzem Selbstgefühl sich sagen kann, daß er einst der
wahre Führer der nationalen Bewegung war, der sich nun zu einer schmerz¬
haften Unthätigkeit verdammt sieht und nothwendig zur Opposition gegen das
herrschende System geneigt ist. Das herrschende System war aber trotz aller
liberalen Beimischungen derselbe Beamtenmechanismus, den Stein schon in
früherer Zeit als erschlaffend für den patriotischen Aufschwung, als verderblich
für den Kern des sittlichen Lebens bezeichnet hatte. Zu welcher Partei sollte
er sich nun halten? Die herrschende Stimmung, war zwar für ein auf der
Grundlage des Bürgerthums ruhendes Repräsentativsystem, aber die dana-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/10>, abgerufen am 23.07.2024.