Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ging allerdings aus jener absoluten Subjectivität der sittlichen Empfindung
hervor, welche eher danach strebte, fein zu empfinden als recht, groß zu den¬
ken als wahr, genial zu handeln als pflichtmäßig. Der Cultus des Genius,
an den Jean Paul in seinen Romanen sovielen Weihrauch verschwendet hat,
war nicht die Religion, die unser Zeitalter erlösen konnte.

Wir wenden uns nun zu seinem äußeren Leben. Seine Lehrerstelle gab
er 1794 auf und siedelte sich in Hof an, noch immer in dürftigen Verhält¬
nissen. Die Reihe seiner Liebesversuche zu novellistischen Zwecken wurde, zu¬
nächst an Bürgermädchen, unermüdlich sortgesetzt: dazu kamen jetzt Briefe von
vornehmen Frauen, Gräfinnen und Fürstinnen, die ihn als großen Mann
anschwärmten: neue sehr interessante Modelle für Nomanfiguren. Die Hoff¬
nung, für den Titan geeignetes Material zu sammeln, wurde um so größer,
als aus Weimar ein Brief von Charlotte von Kalb ankam, in deren
leidenschaftlicher Glut er das Urbild seiner gesuchten Titanide zu finden hoffte.
Frau von Kalb war zwei Jahre älter als der Dichter, ihr erster Liebesversuch
mit Schiller war verunglückt, aber noch immer war sie eine schöne Frau, noch
immer voll von hohen Empfindungen, noch immer bereit, wenn sich ein
passender Ersatz fände, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. So kam der
Dichter, Juni 1796, in der Residenz der deutschen Literatur an. Er wurde auf,
Hänoen getragen, Frau von Kalb betete ihn mit Zorn an, die andern Damen
wetteiferten mit ihr, und die Herren folgten. Herder und Wieland erstarben
vor Enizückung. "Alle meine männlichen Bekanntschaften hier (ich wollte,
nicht diese allein!) singen sich mit ven wärmsten Umarmungen an." Nur zwei
Männer hielten sich fern, Goethe und Schiller; sie empfingen ihn höflich, aber
kühl; sie betrachteten ihn mit Interesse, aber auch mit Verwunderung,
"wie einen Mann, der aus dem Monde gefallen sei." Der Taumel, in den
Weimar über diese neue Art von Dichtung gerieth, konnte ihnen zeigen, daß
es mit der einheitlichen Bildung Weimars doch nicht so sicher sei, und ste
darauf vorbereiten, Kotzebue kurze Zeit darauf mit gleichem Enthusiasmus
empfangen zu sehen. -- Seit dieser Zeit war das Bündnis) Jean Pauls mit
den Gefühlsdichtern, mit Herder, Jacobi, Wieland, Sophie Laroche, Tiedge,
Elise v. d. Recke, Kosegarten u. s. w., entschieden, und ebenso die stillschwei¬
gende Opposition gegen die Göthe-Schiller-Kantsche Schule, deren eifrigste
Vertreter damals die Schlegel waren.

Nach seiner Rückreise im August 1796 besuchte ihn Frau von Krü¬
de ner. "Während sie in dem Selbstgefühl, daß sie den Berg erklommen, den
kleinere Geister nicht die Kraft hätten zu ersteigen, und wo sogar der Schall
ihrer Stimme ihrem Ohre nicht mehr Disharmonie sei, Jean Paul eine trun¬
kene Freude und Rührung gab, wie er noch bei keiner Frau gehabt, weil sie
sei wie keine, schien er ihr unvergeßlich, mehr noch aus dem, was sie sah, aus


ging allerdings aus jener absoluten Subjectivität der sittlichen Empfindung
hervor, welche eher danach strebte, fein zu empfinden als recht, groß zu den¬
ken als wahr, genial zu handeln als pflichtmäßig. Der Cultus des Genius,
an den Jean Paul in seinen Romanen sovielen Weihrauch verschwendet hat,
war nicht die Religion, die unser Zeitalter erlösen konnte.

Wir wenden uns nun zu seinem äußeren Leben. Seine Lehrerstelle gab
er 1794 auf und siedelte sich in Hof an, noch immer in dürftigen Verhält¬
nissen. Die Reihe seiner Liebesversuche zu novellistischen Zwecken wurde, zu¬
nächst an Bürgermädchen, unermüdlich sortgesetzt: dazu kamen jetzt Briefe von
vornehmen Frauen, Gräfinnen und Fürstinnen, die ihn als großen Mann
anschwärmten: neue sehr interessante Modelle für Nomanfiguren. Die Hoff¬
nung, für den Titan geeignetes Material zu sammeln, wurde um so größer,
als aus Weimar ein Brief von Charlotte von Kalb ankam, in deren
leidenschaftlicher Glut er das Urbild seiner gesuchten Titanide zu finden hoffte.
Frau von Kalb war zwei Jahre älter als der Dichter, ihr erster Liebesversuch
mit Schiller war verunglückt, aber noch immer war sie eine schöne Frau, noch
immer voll von hohen Empfindungen, noch immer bereit, wenn sich ein
passender Ersatz fände, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. So kam der
Dichter, Juni 1796, in der Residenz der deutschen Literatur an. Er wurde auf,
Hänoen getragen, Frau von Kalb betete ihn mit Zorn an, die andern Damen
wetteiferten mit ihr, und die Herren folgten. Herder und Wieland erstarben
vor Enizückung. „Alle meine männlichen Bekanntschaften hier (ich wollte,
nicht diese allein!) singen sich mit ven wärmsten Umarmungen an." Nur zwei
Männer hielten sich fern, Goethe und Schiller; sie empfingen ihn höflich, aber
kühl; sie betrachteten ihn mit Interesse, aber auch mit Verwunderung,
„wie einen Mann, der aus dem Monde gefallen sei." Der Taumel, in den
Weimar über diese neue Art von Dichtung gerieth, konnte ihnen zeigen, daß
es mit der einheitlichen Bildung Weimars doch nicht so sicher sei, und ste
darauf vorbereiten, Kotzebue kurze Zeit darauf mit gleichem Enthusiasmus
empfangen zu sehen. — Seit dieser Zeit war das Bündnis) Jean Pauls mit
den Gefühlsdichtern, mit Herder, Jacobi, Wieland, Sophie Laroche, Tiedge,
Elise v. d. Recke, Kosegarten u. s. w., entschieden, und ebenso die stillschwei¬
gende Opposition gegen die Göthe-Schiller-Kantsche Schule, deren eifrigste
Vertreter damals die Schlegel waren.

Nach seiner Rückreise im August 1796 besuchte ihn Frau von Krü¬
de ner. „Während sie in dem Selbstgefühl, daß sie den Berg erklommen, den
kleinere Geister nicht die Kraft hätten zu ersteigen, und wo sogar der Schall
ihrer Stimme ihrem Ohre nicht mehr Disharmonie sei, Jean Paul eine trun¬
kene Freude und Rührung gab, wie er noch bei keiner Frau gehabt, weil sie
sei wie keine, schien er ihr unvergeßlich, mehr noch aus dem, was sie sah, aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100018"/>
          <p xml:id="ID_266" prev="#ID_265"> ging allerdings aus jener absoluten Subjectivität der sittlichen Empfindung<lb/>
hervor, welche eher danach strebte, fein zu empfinden als recht, groß zu den¬<lb/>
ken als wahr, genial zu handeln als pflichtmäßig. Der Cultus des Genius,<lb/>
an den Jean Paul in seinen Romanen sovielen Weihrauch verschwendet hat,<lb/>
war nicht die Religion, die unser Zeitalter erlösen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267"> Wir wenden uns nun zu seinem äußeren Leben.  Seine Lehrerstelle gab<lb/>
er 1794 auf und siedelte sich in Hof an, noch immer in dürftigen Verhält¬<lb/>
nissen.  Die Reihe seiner Liebesversuche zu novellistischen Zwecken wurde, zu¬<lb/>
nächst an Bürgermädchen, unermüdlich sortgesetzt: dazu kamen jetzt Briefe von<lb/>
vornehmen Frauen, Gräfinnen und Fürstinnen, die ihn als großen Mann<lb/>
anschwärmten: neue sehr interessante Modelle für Nomanfiguren.  Die Hoff¬<lb/>
nung, für den Titan geeignetes Material zu sammeln, wurde um so größer,<lb/>
als aus Weimar ein Brief von Charlotte von Kalb ankam, in deren<lb/>
leidenschaftlicher Glut er das Urbild seiner gesuchten Titanide zu finden hoffte.<lb/>
Frau von Kalb war zwei Jahre älter als der Dichter, ihr erster Liebesversuch<lb/>
mit Schiller war verunglückt, aber noch immer war sie eine schöne Frau, noch<lb/>
immer voll von hohen Empfindungen, noch immer bereit, wenn sich ein<lb/>
passender Ersatz fände, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen.  So kam der<lb/>
Dichter, Juni 1796, in der Residenz der deutschen Literatur an. Er wurde auf,<lb/>
Hänoen getragen, Frau von Kalb betete ihn mit Zorn an, die andern Damen<lb/>
wetteiferten mit ihr, und die Herren folgten.  Herder und Wieland erstarben<lb/>
vor Enizückung.  &#x201E;Alle meine männlichen Bekanntschaften hier (ich wollte,<lb/>
nicht diese allein!) singen sich mit ven wärmsten Umarmungen an." Nur zwei<lb/>
Männer hielten sich fern, Goethe und Schiller; sie empfingen ihn höflich, aber<lb/>
kühl; sie betrachteten ihn mit Interesse, aber auch  mit Verwunderung,<lb/>
&#x201E;wie einen Mann, der aus dem Monde gefallen sei."  Der Taumel, in den<lb/>
Weimar über diese neue Art von Dichtung gerieth, konnte ihnen zeigen, daß<lb/>
es mit der einheitlichen Bildung Weimars doch nicht so sicher sei, und ste<lb/>
darauf vorbereiten, Kotzebue kurze Zeit darauf mit gleichem Enthusiasmus<lb/>
empfangen zu sehen. &#x2014; Seit dieser Zeit war das Bündnis) Jean Pauls mit<lb/>
den Gefühlsdichtern, mit Herder, Jacobi, Wieland, Sophie Laroche, Tiedge,<lb/>
Elise v. d. Recke, Kosegarten u. s. w., entschieden, und ebenso die stillschwei¬<lb/>
gende Opposition gegen die Göthe-Schiller-Kantsche Schule, deren eifrigste<lb/>
Vertreter damals die Schlegel waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Nach seiner Rückreise im August 1796 besuchte ihn Frau von Krü¬<lb/>
de ner. &#x201E;Während sie in dem Selbstgefühl, daß sie den Berg erklommen, den<lb/>
kleinere Geister nicht die Kraft hätten zu ersteigen, und wo sogar der Schall<lb/>
ihrer Stimme ihrem Ohre nicht mehr Disharmonie sei, Jean Paul eine trun¬<lb/>
kene Freude und Rührung gab, wie er noch bei keiner Frau gehabt, weil sie<lb/>
sei wie keine, schien er ihr unvergeßlich, mehr noch aus dem, was sie sah, aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] ging allerdings aus jener absoluten Subjectivität der sittlichen Empfindung hervor, welche eher danach strebte, fein zu empfinden als recht, groß zu den¬ ken als wahr, genial zu handeln als pflichtmäßig. Der Cultus des Genius, an den Jean Paul in seinen Romanen sovielen Weihrauch verschwendet hat, war nicht die Religion, die unser Zeitalter erlösen konnte. Wir wenden uns nun zu seinem äußeren Leben. Seine Lehrerstelle gab er 1794 auf und siedelte sich in Hof an, noch immer in dürftigen Verhält¬ nissen. Die Reihe seiner Liebesversuche zu novellistischen Zwecken wurde, zu¬ nächst an Bürgermädchen, unermüdlich sortgesetzt: dazu kamen jetzt Briefe von vornehmen Frauen, Gräfinnen und Fürstinnen, die ihn als großen Mann anschwärmten: neue sehr interessante Modelle für Nomanfiguren. Die Hoff¬ nung, für den Titan geeignetes Material zu sammeln, wurde um so größer, als aus Weimar ein Brief von Charlotte von Kalb ankam, in deren leidenschaftlicher Glut er das Urbild seiner gesuchten Titanide zu finden hoffte. Frau von Kalb war zwei Jahre älter als der Dichter, ihr erster Liebesversuch mit Schiller war verunglückt, aber noch immer war sie eine schöne Frau, noch immer voll von hohen Empfindungen, noch immer bereit, wenn sich ein passender Ersatz fände, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. So kam der Dichter, Juni 1796, in der Residenz der deutschen Literatur an. Er wurde auf, Hänoen getragen, Frau von Kalb betete ihn mit Zorn an, die andern Damen wetteiferten mit ihr, und die Herren folgten. Herder und Wieland erstarben vor Enizückung. „Alle meine männlichen Bekanntschaften hier (ich wollte, nicht diese allein!) singen sich mit ven wärmsten Umarmungen an." Nur zwei Männer hielten sich fern, Goethe und Schiller; sie empfingen ihn höflich, aber kühl; sie betrachteten ihn mit Interesse, aber auch mit Verwunderung, „wie einen Mann, der aus dem Monde gefallen sei." Der Taumel, in den Weimar über diese neue Art von Dichtung gerieth, konnte ihnen zeigen, daß es mit der einheitlichen Bildung Weimars doch nicht so sicher sei, und ste darauf vorbereiten, Kotzebue kurze Zeit darauf mit gleichem Enthusiasmus empfangen zu sehen. — Seit dieser Zeit war das Bündnis) Jean Pauls mit den Gefühlsdichtern, mit Herder, Jacobi, Wieland, Sophie Laroche, Tiedge, Elise v. d. Recke, Kosegarten u. s. w., entschieden, und ebenso die stillschwei¬ gende Opposition gegen die Göthe-Schiller-Kantsche Schule, deren eifrigste Vertreter damals die Schlegel waren. Nach seiner Rückreise im August 1796 besuchte ihn Frau von Krü¬ de ner. „Während sie in dem Selbstgefühl, daß sie den Berg erklommen, den kleinere Geister nicht die Kraft hätten zu ersteigen, und wo sogar der Schall ihrer Stimme ihrem Ohre nicht mehr Disharmonie sei, Jean Paul eine trun¬ kene Freude und Rührung gab, wie er noch bei keiner Frau gehabt, weil sie sei wie keine, schien er ihr unvergeßlich, mehr noch aus dem, was sie sah, aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/98>, abgerufen am 01.10.2024.