Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.dividuum, wird auch die Gesellschaft durch einen höhern Willen symbolisch er¬ Jean Paul gab die Vollendung der unsichtbaren Loge auf, und begann Unmittelbar nach Vollendung des Hesperus schrieb Jean Paul den dividuum, wird auch die Gesellschaft durch einen höhern Willen symbolisch er¬ Jean Paul gab die Vollendung der unsichtbaren Loge auf, und begann Unmittelbar nach Vollendung des Hesperus schrieb Jean Paul den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100013"/> <p xml:id="ID_252" prev="#ID_251"> dividuum, wird auch die Gesellschaft durch einen höhern Willen symbolisch er¬<lb/> zogen. Ein geheimer Orden leitet sie in die Pfade, die sie von selbst zu finden<lb/> zu schwach ist. Jean Paul stand an einem gefährlichen Wendepunkt. Er<lb/> hatte zum ersten Mal alle seine Kräfte aufgeboten, der Erfolg mußte dies Mal<lb/> entscheidend sein; und er war ein glänzender. Er hatte 1792 das Manuscript<lb/> an Moritz geschickt, dieser antwortete begeistert und besorgte ihm einen höchst<lb/> günstigen Verlag; für den, welcher Anton Reiser kennt, wird die Seelen¬<lb/> verwandtschaft begreiflich sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_253"> Jean Paul gab die Vollendung der unsichtbaren Loge auf, und begann<lb/> einen neuen Roman: Hesperus oder die Hu ndspvstta g e (1792—1794),<lb/> der seinen Ruhm in Deutschland feststellte. Er verdient ihn vorzugsweise durch<lb/> die kleinen idyllischen und humoristischen Züge, die in den spätern Werken nicht<lb/> mehr übertroffen, kaum erreicht werden. In der Tendenz hat der Roman eine<lb/> unverkennbare Aehnlichkeit mit Wilhelm Meister: es ist ein Herausstreben des<lb/> bildungsbedürftigen Bürgerstandes aus seiner Sphäre, nach dem Hos. Ein<lb/> magischer Zauber zog den Dichter in den Dunstkreis der kleinen Höfe, so schwül<lb/> er ihm schon aus der Ferne vorkam und so eifrig er dies Ideal bereits im<lb/> voraus satirisch behandelte: vor seiner Einbildungskrast schwebten jene träu¬<lb/> merischen, ätherischen Blumenseelen, die nicht anders als in einer Einfassung<lb/> von Sammet und Edelsteinen gedacht werden durften. Victor, sein Abbild im<lb/> Hesperus, tritt der vornehmen Welt nicht mit der gläubigen Unbefangenheit<lb/> Wilhelms entgegen: seine Reflexion ist fertig, sein Humor und seine Empfind¬<lb/> samkeit sind gleichmäßig entwickelt. Sonst ist in seinem Verhalten zur vorneh¬<lb/> men Welt, ja selbst in seinen Schicksalen die Aehnlichkeit augenscheinlich. Seine<lb/> weibliche, empfängliche Natur, sein hingebender Bildungstrieb und seine zu¬<lb/> dringliche Bescheidenheit eignet ihn ebensowenig zum Gemahl der Gräfin Clotilde,<lb/> als der verwandte Charakter Wilhelms eine Bürgschaft für die Baroneß Nathalie<lb/> sein kann. Die Verherrlichung des bloßen Bildungstriebes in den praktischen<lb/> Lebensbeziehungen ist keinem der beiden Dichter gelungen; denn er entwickelt<lb/> sich nur in dem Verhältniß zu fertigen Männern; diese aber zu schildern, war<lb/> dem einen Dichter so schwer wie dem andern. Am meisten vergriffen sind die<lb/> tragischen Charaktere: der Pythagoreer Emanuel, eine ätherische Natur, die<lb/> nur in verklärten Empfindungen, d. h. in Illusionen lebt und weder Fleisch<lb/> noch Blut hat, und der edle Menschenfeind und Atheist Lord Horion, mit seiner<lb/> Sehnsucht nach dem Erhabenen und seiner Verachtung alles Wirklichen, mit<lb/> seinem hoffnungslosen Tugendstreben, das auf die unzweckmäßige Beschäfti¬<lb/> gung ausläuft, sieben Bastarde eines liederlichen Fürsten zu edlen Menschen<lb/> und Regenten zu erziehen, mit seiner Todteninsel und seinem Selbstmord.</p><lb/> <p xml:id="ID_254" next="#ID_255"> Unmittelbar nach Vollendung des Hesperus schrieb Jean Paul den<lb/> S le denkns (1794—1796), ein Werk, in welchem er seine eigne Natur am</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
dividuum, wird auch die Gesellschaft durch einen höhern Willen symbolisch er¬
zogen. Ein geheimer Orden leitet sie in die Pfade, die sie von selbst zu finden
zu schwach ist. Jean Paul stand an einem gefährlichen Wendepunkt. Er
hatte zum ersten Mal alle seine Kräfte aufgeboten, der Erfolg mußte dies Mal
entscheidend sein; und er war ein glänzender. Er hatte 1792 das Manuscript
an Moritz geschickt, dieser antwortete begeistert und besorgte ihm einen höchst
günstigen Verlag; für den, welcher Anton Reiser kennt, wird die Seelen¬
verwandtschaft begreiflich sein.
Jean Paul gab die Vollendung der unsichtbaren Loge auf, und begann
einen neuen Roman: Hesperus oder die Hu ndspvstta g e (1792—1794),
der seinen Ruhm in Deutschland feststellte. Er verdient ihn vorzugsweise durch
die kleinen idyllischen und humoristischen Züge, die in den spätern Werken nicht
mehr übertroffen, kaum erreicht werden. In der Tendenz hat der Roman eine
unverkennbare Aehnlichkeit mit Wilhelm Meister: es ist ein Herausstreben des
bildungsbedürftigen Bürgerstandes aus seiner Sphäre, nach dem Hos. Ein
magischer Zauber zog den Dichter in den Dunstkreis der kleinen Höfe, so schwül
er ihm schon aus der Ferne vorkam und so eifrig er dies Ideal bereits im
voraus satirisch behandelte: vor seiner Einbildungskrast schwebten jene träu¬
merischen, ätherischen Blumenseelen, die nicht anders als in einer Einfassung
von Sammet und Edelsteinen gedacht werden durften. Victor, sein Abbild im
Hesperus, tritt der vornehmen Welt nicht mit der gläubigen Unbefangenheit
Wilhelms entgegen: seine Reflexion ist fertig, sein Humor und seine Empfind¬
samkeit sind gleichmäßig entwickelt. Sonst ist in seinem Verhalten zur vorneh¬
men Welt, ja selbst in seinen Schicksalen die Aehnlichkeit augenscheinlich. Seine
weibliche, empfängliche Natur, sein hingebender Bildungstrieb und seine zu¬
dringliche Bescheidenheit eignet ihn ebensowenig zum Gemahl der Gräfin Clotilde,
als der verwandte Charakter Wilhelms eine Bürgschaft für die Baroneß Nathalie
sein kann. Die Verherrlichung des bloßen Bildungstriebes in den praktischen
Lebensbeziehungen ist keinem der beiden Dichter gelungen; denn er entwickelt
sich nur in dem Verhältniß zu fertigen Männern; diese aber zu schildern, war
dem einen Dichter so schwer wie dem andern. Am meisten vergriffen sind die
tragischen Charaktere: der Pythagoreer Emanuel, eine ätherische Natur, die
nur in verklärten Empfindungen, d. h. in Illusionen lebt und weder Fleisch
noch Blut hat, und der edle Menschenfeind und Atheist Lord Horion, mit seiner
Sehnsucht nach dem Erhabenen und seiner Verachtung alles Wirklichen, mit
seinem hoffnungslosen Tugendstreben, das auf die unzweckmäßige Beschäfti¬
gung ausläuft, sieben Bastarde eines liederlichen Fürsten zu edlen Menschen
und Regenten zu erziehen, mit seiner Todteninsel und seinem Selbstmord.
Unmittelbar nach Vollendung des Hesperus schrieb Jean Paul den
S le denkns (1794—1796), ein Werk, in welchem er seine eigne Natur am
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