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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Stimmen im Bundesrathe führen. Aus diesem und dem flauesten preußischen
Entwürfe wurde Anfang Mai 1816 mit Hannover und Preußen ein dritter
Entwurf vereinbart und in elf übereilten Sitzungen vom 23. Mai bis 10. Juni
die deutsche Verfassung zu Ende gebracht. Der letzte Nest von Bestimmungen,
welche die Rechte der Unterthanen sicherten, schwand. Es hieß, "es werde
eine landständische Verfassung statthaben und in der französischen Uebersetzung
der Bundesacte mußte der Ausdruck "LousMnUon rspresöntaUve" dem Aus¬
druck ,,^Sö<zind1k"z ä'vlats" weichen. Ein Bundesgericht wurde nicht eingeführt,
ein Minimum ständischer Rechte nicht festgestellt. Das Princip der Unbeweg-
lichkeir, vor allem Oestreichs Ziel, wurde dadurch sanctionirt, daß über orga¬
nische Bnndeseinrichtungen und Abänderung der Bundesgesetze nur in dem
Plenum des Bundestages mit Sümmeneinhelligkeit entschieden werden konnte.
Selbst dann machten die Staatsregienmgen die Giltigkeit der Bundesgesetze
von ihrer Verständigung, von der Uebereinstimmung mit den Landesgesetzen
abhängig. Es blieben ferner unter den Bundesgliedern die Großmächte
Oestreich, Preußen und England-Hannover und zwei Mittelmächte Holland
und Dänemark, die einen Theil und meist den bei weitem größeren Theil
ihrer Staaten außerhalb des Bundes hatten. Die großen Machte konnten
nicht gehindert werden, ihre deutschen Kräfte in undeutschen Interessen,
Oestreich in Italien, England-Hannover in Portugal zu vergeuden. Selbst
den ganz deutschen Staaten wurden Bündnisse mit fremden Mächten gestattet,
nur daß sie nicht gegen Bund und Bundesglieder gerichtet sein sollten: mit
Fremden durften demnach Deutsche gegen andere Fremde und gegen andere mit
diesen letzteren verbundene Deutsche Krieg führen. Durch seine innere und äußere
Einrichtung war der Bund zu gänzlicher^politischer Unthätigkeit und Unbeweglich-
keit gezwungen. Es war ein monarchischer Bund ohne monarchisches Haupt,
ohne ständische Vertretung im Innern, ohne diplomatische Vertretung nach
außen. Er hinderte nicht, daß der Zusammenhang der deutschen Höfe inniger
war mit Se. Petersburg als mit Frankfurt. Er mußte seine Schicksale von
äußerer Politik oder von der Politik der Mächtigen in seiner Mitte leiten
lassen. Das aber war grade Metternichs Absicht gewesen. Er gab dem Bunde
den Beruf, "in dem Centrum Europas eine große defensive Vereinigung zur
Erhaltung der Ruhe des Welttheils zu bilden", er legte ihm die Rolle eines
regierungslosen neutralen Staates auf. Die Bundesacte, Deutschlands Ver-
fassungsurkunde, ließ er in die allgemeine wiener Congreßacte einrücken, er
stellte sie unter die Einsprache der fremden Mächte.

Stein und ähnlich gesinnte Vaterlandsfreunde erklärten den zwanzigjähri¬
gen Kampf der Deutschen mit einem "Possenspiele" beendigt, die Bundesacte,
welche einen Schritt zur Einheit thun sollte, schien ihnen vielmehr die Auf¬
lockerung des deutschen Verbandes zu fördern.




Stimmen im Bundesrathe führen. Aus diesem und dem flauesten preußischen
Entwürfe wurde Anfang Mai 1816 mit Hannover und Preußen ein dritter
Entwurf vereinbart und in elf übereilten Sitzungen vom 23. Mai bis 10. Juni
die deutsche Verfassung zu Ende gebracht. Der letzte Nest von Bestimmungen,
welche die Rechte der Unterthanen sicherten, schwand. Es hieß, „es werde
eine landständische Verfassung statthaben und in der französischen Uebersetzung
der Bundesacte mußte der Ausdruck „LousMnUon rspresöntaUve" dem Aus¬
druck ,,^Sö<zind1k«z ä'vlats" weichen. Ein Bundesgericht wurde nicht eingeführt,
ein Minimum ständischer Rechte nicht festgestellt. Das Princip der Unbeweg-
lichkeir, vor allem Oestreichs Ziel, wurde dadurch sanctionirt, daß über orga¬
nische Bnndeseinrichtungen und Abänderung der Bundesgesetze nur in dem
Plenum des Bundestages mit Sümmeneinhelligkeit entschieden werden konnte.
Selbst dann machten die Staatsregienmgen die Giltigkeit der Bundesgesetze
von ihrer Verständigung, von der Uebereinstimmung mit den Landesgesetzen
abhängig. Es blieben ferner unter den Bundesgliedern die Großmächte
Oestreich, Preußen und England-Hannover und zwei Mittelmächte Holland
und Dänemark, die einen Theil und meist den bei weitem größeren Theil
ihrer Staaten außerhalb des Bundes hatten. Die großen Machte konnten
nicht gehindert werden, ihre deutschen Kräfte in undeutschen Interessen,
Oestreich in Italien, England-Hannover in Portugal zu vergeuden. Selbst
den ganz deutschen Staaten wurden Bündnisse mit fremden Mächten gestattet,
nur daß sie nicht gegen Bund und Bundesglieder gerichtet sein sollten: mit
Fremden durften demnach Deutsche gegen andere Fremde und gegen andere mit
diesen letzteren verbundene Deutsche Krieg führen. Durch seine innere und äußere
Einrichtung war der Bund zu gänzlicher^politischer Unthätigkeit und Unbeweglich-
keit gezwungen. Es war ein monarchischer Bund ohne monarchisches Haupt,
ohne ständische Vertretung im Innern, ohne diplomatische Vertretung nach
außen. Er hinderte nicht, daß der Zusammenhang der deutschen Höfe inniger
war mit Se. Petersburg als mit Frankfurt. Er mußte seine Schicksale von
äußerer Politik oder von der Politik der Mächtigen in seiner Mitte leiten
lassen. Das aber war grade Metternichs Absicht gewesen. Er gab dem Bunde
den Beruf, „in dem Centrum Europas eine große defensive Vereinigung zur
Erhaltung der Ruhe des Welttheils zu bilden", er legte ihm die Rolle eines
regierungslosen neutralen Staates auf. Die Bundesacte, Deutschlands Ver-
fassungsurkunde, ließ er in die allgemeine wiener Congreßacte einrücken, er
stellte sie unter die Einsprache der fremden Mächte.

Stein und ähnlich gesinnte Vaterlandsfreunde erklärten den zwanzigjähri¬
gen Kampf der Deutschen mit einem „Possenspiele" beendigt, die Bundesacte,
welche einen Schritt zur Einheit thun sollte, schien ihnen vielmehr die Auf¬
lockerung des deutschen Verbandes zu fördern.




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[0082] Stimmen im Bundesrathe führen. Aus diesem und dem flauesten preußischen Entwürfe wurde Anfang Mai 1816 mit Hannover und Preußen ein dritter Entwurf vereinbart und in elf übereilten Sitzungen vom 23. Mai bis 10. Juni die deutsche Verfassung zu Ende gebracht. Der letzte Nest von Bestimmungen, welche die Rechte der Unterthanen sicherten, schwand. Es hieß, „es werde eine landständische Verfassung statthaben und in der französischen Uebersetzung der Bundesacte mußte der Ausdruck „LousMnUon rspresöntaUve" dem Aus¬ druck ,,^Sö<zind1k«z ä'vlats" weichen. Ein Bundesgericht wurde nicht eingeführt, ein Minimum ständischer Rechte nicht festgestellt. Das Princip der Unbeweg- lichkeir, vor allem Oestreichs Ziel, wurde dadurch sanctionirt, daß über orga¬ nische Bnndeseinrichtungen und Abänderung der Bundesgesetze nur in dem Plenum des Bundestages mit Sümmeneinhelligkeit entschieden werden konnte. Selbst dann machten die Staatsregienmgen die Giltigkeit der Bundesgesetze von ihrer Verständigung, von der Uebereinstimmung mit den Landesgesetzen abhängig. Es blieben ferner unter den Bundesgliedern die Großmächte Oestreich, Preußen und England-Hannover und zwei Mittelmächte Holland und Dänemark, die einen Theil und meist den bei weitem größeren Theil ihrer Staaten außerhalb des Bundes hatten. Die großen Machte konnten nicht gehindert werden, ihre deutschen Kräfte in undeutschen Interessen, Oestreich in Italien, England-Hannover in Portugal zu vergeuden. Selbst den ganz deutschen Staaten wurden Bündnisse mit fremden Mächten gestattet, nur daß sie nicht gegen Bund und Bundesglieder gerichtet sein sollten: mit Fremden durften demnach Deutsche gegen andere Fremde und gegen andere mit diesen letzteren verbundene Deutsche Krieg führen. Durch seine innere und äußere Einrichtung war der Bund zu gänzlicher^politischer Unthätigkeit und Unbeweglich- keit gezwungen. Es war ein monarchischer Bund ohne monarchisches Haupt, ohne ständische Vertretung im Innern, ohne diplomatische Vertretung nach außen. Er hinderte nicht, daß der Zusammenhang der deutschen Höfe inniger war mit Se. Petersburg als mit Frankfurt. Er mußte seine Schicksale von äußerer Politik oder von der Politik der Mächtigen in seiner Mitte leiten lassen. Das aber war grade Metternichs Absicht gewesen. Er gab dem Bunde den Beruf, „in dem Centrum Europas eine große defensive Vereinigung zur Erhaltung der Ruhe des Welttheils zu bilden", er legte ihm die Rolle eines regierungslosen neutralen Staates auf. Die Bundesacte, Deutschlands Ver- fassungsurkunde, ließ er in die allgemeine wiener Congreßacte einrücken, er stellte sie unter die Einsprache der fremden Mächte. Stein und ähnlich gesinnte Vaterlandsfreunde erklärten den zwanzigjähri¬ gen Kampf der Deutschen mit einem „Possenspiele" beendigt, die Bundesacte, welche einen Schritt zur Einheit thun sollte, schien ihnen vielmehr die Auf¬ lockerung des deutschen Verbandes zu fördern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/82>, abgerufen am 22.07.2024.