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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Spiel setzen." Metternich bot nun nur noch ein Fünftel von Sachsen mit
posenschen und rheinischen Entschädigungen. Hierauf schlössen Preußen und Ru߬
land sich enger zusammen: Großfürst Konstantin forderte die Polen auf, sich
"für ihre Existenz" zu waffnen. Metternich seinerseits schloß am 3. Januar 1813
mit England und Frankreich ein Kriegsbündniß gegen Nußland und Preußen.

Als so zwischen den verbündeten Mächten der Bruch drohte, war Talley-
rands Zeit gekommen. Schon im Anfang des Congresses hatte er die ge¬
heimen Artikel des pariser Friedens unwirksam zu machen gesucht, welche
Frankreich von den Berathungen über die Ländervertheilung ausschlossen. Jetzt
drängte er sich in den Spalt, den die sächsisch-polnische Frage unter den Mächten
verursacht hatte. Im December 1814 erhielt er mit Castlereaghs Hilfe Zu¬
tritt zu den Berathungen. Am 3. Januar 18-Is schloß er mit Oestreich und
England das Bündniß, das später durch den Zutritt Baierns, Hannovers, der
Niederlande und Sardiniens erweitert wurde.

Indessen war dieses Bündniß nur ein Vertheidigungsbündniß, während
es doch galt, die Gegner in einem thatsächlichen Besitz anzugreifen. Jeder
fürchtete den ersten Schlag: jeder fühlte seine Schwäche und scheute die mög¬
lichen Folgen. Man beeiferte sich, zu unterhandeln und Zugeständnisse zu
machen. Lord Castlereagh vermittelte. Alexander ließ Krakau als freie Stadt
fahren: er überließ den Tarnopoler Kreis an Oestreich und Thorn an Preußen,
um es sür Leipzig zu entschädigen. Hannover und Holland steuerten eine
Anzahl Seelen zu, um Preußen volle Bevölkerungsentschädigung im Westen
zu verschaffen, da es sich mit nur zwei Fünftheilen von Sachsen begnügen
mußte.

Preußen büßte seine unsichere Politik. Gegen jede der europäischen Gro߬
mächte kam es in eine nachtheilige Lage. Gegen Rußland lag es mit offenen
Grenzen, Russisch-Polen drängte sich wie ein Keil bis an die Prosna zwischen
Oestreich und Preußen. Im Süden war Sachsen ganz auf Seiten Oestreichs,
nicht minder Baiern. Im Westen konnte Preußen mit dem kleineren Theile
seines Grundgebiets eine Schranke gegen Frankreich nicht bilden. Seine end¬
lose, nicht zu behauptende Grenzlinie von Memel bis Saarbrücken war durch¬
schnitten dnrch das eifersüchtige Hannover, den Verbündeten Englands. Zu
Gunsten dieses Hannovers war die Verbindung mit der Nordsee aufgegeben,
Ostfries land aufgegeben. Die fränkischen Stammfürstenihümer waren an
Baiern überlassen. Dafür war am Rhein und in Westphalen eine Bevölke¬
rung eingetauscht, die durch religiöses Bekenntniß und französische Einrichtungen
sür den preußischen Staat schwer versöhnbare Elemente bot.

Bei dem Abschluß des zweiten pariser Friedens ging die Meinung aller
Verständigen dahin, die Nachbarstaaten Frankreichs durch eine neue Grenzlinie
dieses Staates sicher zu stellen und die Haupteroberungen Ludwigs XIV. zu-


Spiel setzen." Metternich bot nun nur noch ein Fünftel von Sachsen mit
posenschen und rheinischen Entschädigungen. Hierauf schlössen Preußen und Ru߬
land sich enger zusammen: Großfürst Konstantin forderte die Polen auf, sich
„für ihre Existenz" zu waffnen. Metternich seinerseits schloß am 3. Januar 1813
mit England und Frankreich ein Kriegsbündniß gegen Nußland und Preußen.

Als so zwischen den verbündeten Mächten der Bruch drohte, war Talley-
rands Zeit gekommen. Schon im Anfang des Congresses hatte er die ge¬
heimen Artikel des pariser Friedens unwirksam zu machen gesucht, welche
Frankreich von den Berathungen über die Ländervertheilung ausschlossen. Jetzt
drängte er sich in den Spalt, den die sächsisch-polnische Frage unter den Mächten
verursacht hatte. Im December 1814 erhielt er mit Castlereaghs Hilfe Zu¬
tritt zu den Berathungen. Am 3. Januar 18-Is schloß er mit Oestreich und
England das Bündniß, das später durch den Zutritt Baierns, Hannovers, der
Niederlande und Sardiniens erweitert wurde.

Indessen war dieses Bündniß nur ein Vertheidigungsbündniß, während
es doch galt, die Gegner in einem thatsächlichen Besitz anzugreifen. Jeder
fürchtete den ersten Schlag: jeder fühlte seine Schwäche und scheute die mög¬
lichen Folgen. Man beeiferte sich, zu unterhandeln und Zugeständnisse zu
machen. Lord Castlereagh vermittelte. Alexander ließ Krakau als freie Stadt
fahren: er überließ den Tarnopoler Kreis an Oestreich und Thorn an Preußen,
um es sür Leipzig zu entschädigen. Hannover und Holland steuerten eine
Anzahl Seelen zu, um Preußen volle Bevölkerungsentschädigung im Westen
zu verschaffen, da es sich mit nur zwei Fünftheilen von Sachsen begnügen
mußte.

Preußen büßte seine unsichere Politik. Gegen jede der europäischen Gro߬
mächte kam es in eine nachtheilige Lage. Gegen Rußland lag es mit offenen
Grenzen, Russisch-Polen drängte sich wie ein Keil bis an die Prosna zwischen
Oestreich und Preußen. Im Süden war Sachsen ganz auf Seiten Oestreichs,
nicht minder Baiern. Im Westen konnte Preußen mit dem kleineren Theile
seines Grundgebiets eine Schranke gegen Frankreich nicht bilden. Seine end¬
lose, nicht zu behauptende Grenzlinie von Memel bis Saarbrücken war durch¬
schnitten dnrch das eifersüchtige Hannover, den Verbündeten Englands. Zu
Gunsten dieses Hannovers war die Verbindung mit der Nordsee aufgegeben,
Ostfries land aufgegeben. Die fränkischen Stammfürstenihümer waren an
Baiern überlassen. Dafür war am Rhein und in Westphalen eine Bevölke¬
rung eingetauscht, die durch religiöses Bekenntniß und französische Einrichtungen
sür den preußischen Staat schwer versöhnbare Elemente bot.

Bei dem Abschluß des zweiten pariser Friedens ging die Meinung aller
Verständigen dahin, die Nachbarstaaten Frankreichs durch eine neue Grenzlinie
dieses Staates sicher zu stellen und die Haupteroberungen Ludwigs XIV. zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/76>, abgerufen am 22.07.2024.