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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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durch die Singakademie (letzterer außerdem noch in einer Privataufführung,
die der Gesanglehrer Kotzolt mit einem aus seinen Schülern und Schülerinnen
bestehenden Gesangverein veranstaltete und theilweise in einem Concert des
Gustav-Adolph-Vereins, in dem Joh. Wagner die Altsoli sang), Israel in
Aegypten durch den Sternsehen und Judas Maccabäus durch den Wendelschen
Verein zur Aufführung; die Schöpfung von Haydn wurde mehrmals durch
den Schneiderschen Verein und die Singakademie, die Jahreszeiten einmal
durch den Sternsehen Verein aufgeführt. Die Singakademie brachte außerdem
den in Berlin sehr beliebten Nadziwillschen Faust, das Requiem von Cherubini,
den Tod Jesu von Graun, die Matthäus-Passion von Bach, den David von
Reissiger, einen Psalm von Blumner, (zweitem Dirigenten der Akademie) und
den Tod Adels von Rungenhagen zur Aufführung. Vom Sternsehen Verein
hörten wir den 114. Psalm von Mendelssohn, die Fragmente aus dessen
Christus und die beiden ersten Sätze der großen Beethovenschen Messe (Kyrie und
Gloria); der Schneidersche Verein führte ein neues Oratorium seines Dirigen¬
ten, Luther, auf; der Hennigsche Gesangverein übernahm die undankbare Auf¬
gabe, Beethovens Christus am Oelberge vorzusühren; die Singakademie ver¬
einigte sich mit dem Sternsehen und Jähnsschen Verein zur Walpurgisnacht
von Mendelssohn unter der Leitung Dorns; in einem Concert des Gustav-
Adolph-Vereins hörten wir eine etwas oratorienhaste Oper von Bernhard
Klein, Dido; fügen wir noch hinzu, daß in Privataufführungen ein Vater¬
unser von Taubert und ein sehr kunstvoll für zwölf Frauenstimmen gesetztes
Magnificat von Grell zu Gehör gebracht wurden, so möchte die Uebersicht
dieses Theils der Concerte wol geschlossen sein.

Auffallend erscheint, daß der Elias und der Paulus fehlen, ein Beweis,
daß in Bezug auf Mendelssohn eine Uebersättigung einzutreten beginnt. Wir
glauben nicht, daß dieselbe dauern wird, denn Mendelssohn vertritt eine zu
wichtige Seite des gebildeten Bewußtseins; wenn auch das Fließende und
Weiche seiner Chöre und Arien oft dem Großen, Ernster, Gewaltigen Eintrag
thut, so bleiben sie doch immer auf der Höhe des Edeln und Maßvollen.
Auch wüßten wir nicht, wie unsere Gesangvereine ihn ersetzen sollten; der
Sänger wird warm dabei, die weichen, runden Formen thun ihm wohl, und der
Schwung, den Mendelssohn oft in seinen Chören nimmt oder wenigstens zu nehmen
beginnt -- denn oft erlahmt er auch auf dem Wege -- reißt die Sänger fort.
Aber er eignet sich nicht, die bleibende Grundlage eines Vereins abzugeben,
wie manche eine Zeitlang glaubten; dazu bedarf es festerer, nahrhafterer Kost;
wenn die Reize seines Stils frisch bleiben sollen, so muß man sparsam davon
genießen. -- Ueber die Aufführung Händelscher Oratorien ist nur zu bemerken,
daß der Israel in Aegypten mit seinen gewaltigen achtstimmigen Chören, den
Mendelssohn vor etwa zwölf Jahren zuerst wieder in Berlin aufführte, durch


durch die Singakademie (letzterer außerdem noch in einer Privataufführung,
die der Gesanglehrer Kotzolt mit einem aus seinen Schülern und Schülerinnen
bestehenden Gesangverein veranstaltete und theilweise in einem Concert des
Gustav-Adolph-Vereins, in dem Joh. Wagner die Altsoli sang), Israel in
Aegypten durch den Sternsehen und Judas Maccabäus durch den Wendelschen
Verein zur Aufführung; die Schöpfung von Haydn wurde mehrmals durch
den Schneiderschen Verein und die Singakademie, die Jahreszeiten einmal
durch den Sternsehen Verein aufgeführt. Die Singakademie brachte außerdem
den in Berlin sehr beliebten Nadziwillschen Faust, das Requiem von Cherubini,
den Tod Jesu von Graun, die Matthäus-Passion von Bach, den David von
Reissiger, einen Psalm von Blumner, (zweitem Dirigenten der Akademie) und
den Tod Adels von Rungenhagen zur Aufführung. Vom Sternsehen Verein
hörten wir den 114. Psalm von Mendelssohn, die Fragmente aus dessen
Christus und die beiden ersten Sätze der großen Beethovenschen Messe (Kyrie und
Gloria); der Schneidersche Verein führte ein neues Oratorium seines Dirigen¬
ten, Luther, auf; der Hennigsche Gesangverein übernahm die undankbare Auf¬
gabe, Beethovens Christus am Oelberge vorzusühren; die Singakademie ver¬
einigte sich mit dem Sternsehen und Jähnsschen Verein zur Walpurgisnacht
von Mendelssohn unter der Leitung Dorns; in einem Concert des Gustav-
Adolph-Vereins hörten wir eine etwas oratorienhaste Oper von Bernhard
Klein, Dido; fügen wir noch hinzu, daß in Privataufführungen ein Vater¬
unser von Taubert und ein sehr kunstvoll für zwölf Frauenstimmen gesetztes
Magnificat von Grell zu Gehör gebracht wurden, so möchte die Uebersicht
dieses Theils der Concerte wol geschlossen sein.

Auffallend erscheint, daß der Elias und der Paulus fehlen, ein Beweis,
daß in Bezug auf Mendelssohn eine Uebersättigung einzutreten beginnt. Wir
glauben nicht, daß dieselbe dauern wird, denn Mendelssohn vertritt eine zu
wichtige Seite des gebildeten Bewußtseins; wenn auch das Fließende und
Weiche seiner Chöre und Arien oft dem Großen, Ernster, Gewaltigen Eintrag
thut, so bleiben sie doch immer auf der Höhe des Edeln und Maßvollen.
Auch wüßten wir nicht, wie unsere Gesangvereine ihn ersetzen sollten; der
Sänger wird warm dabei, die weichen, runden Formen thun ihm wohl, und der
Schwung, den Mendelssohn oft in seinen Chören nimmt oder wenigstens zu nehmen
beginnt — denn oft erlahmt er auch auf dem Wege — reißt die Sänger fort.
Aber er eignet sich nicht, die bleibende Grundlage eines Vereins abzugeben,
wie manche eine Zeitlang glaubten; dazu bedarf es festerer, nahrhafterer Kost;
wenn die Reize seines Stils frisch bleiben sollen, so muß man sparsam davon
genießen. — Ueber die Aufführung Händelscher Oratorien ist nur zu bemerken,
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Mendelssohn vor etwa zwölf Jahren zuerst wieder in Berlin aufführte, durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/501>, abgerufen am 22.07.2024.