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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Der Krieg kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden,
wenn man gleichzeitig von drei Punkten mit ungeheuern Heeresmassen in
Nußland eindringt, im Kaukasus, in Bessarabien und in den Ostseeprovinzen,
nicht, wie es Napoleon that, um voreilig bis in das Herz des ungeheuern
Reichs sich zu wagen, sondern um eine Grenzprovinz nach der audern stückweis
abzulösen.

Die Franzosen und Engländer sind aber auch in der Verbindung mit den
Türken und Sardiniern nicht im Stande, den Krieg in so großartigem Ma߬
stabe fortzuführen; sie bedürfen im Osten der Mitwirkung der Tscherkessen, denen
sie also die Freiheit verheißen müssen.

Der Feldzug in Bessarabien wäre mit den höchsten Gefahren verknüpft,
wenn man im östreichischen Staat einen zweideutigen Verbündeten hinter sich
läßt. Oestreich ,muß also kategorisch aufgefordert werden, sich an dem Kriege
zu betheiligen. Es ist immer anerkennenswert!), daß Klapka diese Eventualität
wenigstens in Rechnung stellt, obgleich er, wie wir nachher sehen werden, seinen
Wünschen gemäß sie sofort wieder aufhebt.

In den Ostseeprovinzen muß zunächst durch Znsurrectionirung Polens
vorgeschritten werden. Die Wiederherstellung des polnischen Reichs in seinem
ganzen alten Umfange ist die erste Pflicht der Verbündeten. Ferner ist die
Mitwirkung Schwedens nöthig. Diese wird aber nicht erlangt werden, wenn
man ihm nicht den Erwerb von Liefland in Aussicht stellt. Von Preußen ist
Klapka überzeugt, daß es bei dem Liberalismus seiner Bewohner, selbst seiner
Offiziere, sich dem Anschluß an die Alliirten auf keine Weise würde ent¬
ziehen können. Wie nun aber die Wiederherstellung des polnischen Reichs
damit in Zusammenhang gebracht werden soll, diese Frage legt er sich nickt
vor. Wir fürchten, daß eine solche Aussicht hinreichen würde, Preußen zum
engsten Anschluß an Rußland zu treiben, denn bei der Wiederherstellung ihrer
alten Grenzen würden die Polen gewiß auch die Weichselmündung im
Auge haben, ja diese würde ihnen ungleich wichtiger sein, als Volhynien und
Podolien.

Schon aus dem Bisherigen ergibt sich, daß die Alliirten ihrem Krieg ein
ganz andres Ziel setzen müssen, als die Integrität der Türkei mit den bekann¬
ten vier Garantiepunkten. Sie müssen offen aussprechen, daß ihr Zweck die
Territorialverkleinerung Rußlands ist, denn nur unter dieser Bedingung können
sie auf Bundesgenossen rechnen.

Es folgt nun weiter die Untersuchung, was zu thun sei, wenn Oestreich
seine Mitwirkung versagte. Klapka hält diese Mitwirkung nicht nur für un¬
wahrscheinlich, sondern für unmöglich. Nach seiner Ueberzeugung ist Oestreich
ein verfallender Staat, der sein Leben nur künstlich, nur durch die Hilfe Ru߬
lands fristen kann. Es wird Oestreich freilich sehr erwünscht sein, wenn Nuß-


Der Krieg kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden,
wenn man gleichzeitig von drei Punkten mit ungeheuern Heeresmassen in
Nußland eindringt, im Kaukasus, in Bessarabien und in den Ostseeprovinzen,
nicht, wie es Napoleon that, um voreilig bis in das Herz des ungeheuern
Reichs sich zu wagen, sondern um eine Grenzprovinz nach der audern stückweis
abzulösen.

Die Franzosen und Engländer sind aber auch in der Verbindung mit den
Türken und Sardiniern nicht im Stande, den Krieg in so großartigem Ma߬
stabe fortzuführen; sie bedürfen im Osten der Mitwirkung der Tscherkessen, denen
sie also die Freiheit verheißen müssen.

Der Feldzug in Bessarabien wäre mit den höchsten Gefahren verknüpft,
wenn man im östreichischen Staat einen zweideutigen Verbündeten hinter sich
läßt. Oestreich ,muß also kategorisch aufgefordert werden, sich an dem Kriege
zu betheiligen. Es ist immer anerkennenswert!), daß Klapka diese Eventualität
wenigstens in Rechnung stellt, obgleich er, wie wir nachher sehen werden, seinen
Wünschen gemäß sie sofort wieder aufhebt.

In den Ostseeprovinzen muß zunächst durch Znsurrectionirung Polens
vorgeschritten werden. Die Wiederherstellung des polnischen Reichs in seinem
ganzen alten Umfange ist die erste Pflicht der Verbündeten. Ferner ist die
Mitwirkung Schwedens nöthig. Diese wird aber nicht erlangt werden, wenn
man ihm nicht den Erwerb von Liefland in Aussicht stellt. Von Preußen ist
Klapka überzeugt, daß es bei dem Liberalismus seiner Bewohner, selbst seiner
Offiziere, sich dem Anschluß an die Alliirten auf keine Weise würde ent¬
ziehen können. Wie nun aber die Wiederherstellung des polnischen Reichs
damit in Zusammenhang gebracht werden soll, diese Frage legt er sich nickt
vor. Wir fürchten, daß eine solche Aussicht hinreichen würde, Preußen zum
engsten Anschluß an Rußland zu treiben, denn bei der Wiederherstellung ihrer
alten Grenzen würden die Polen gewiß auch die Weichselmündung im
Auge haben, ja diese würde ihnen ungleich wichtiger sein, als Volhynien und
Podolien.

Schon aus dem Bisherigen ergibt sich, daß die Alliirten ihrem Krieg ein
ganz andres Ziel setzen müssen, als die Integrität der Türkei mit den bekann¬
ten vier Garantiepunkten. Sie müssen offen aussprechen, daß ihr Zweck die
Territorialverkleinerung Rußlands ist, denn nur unter dieser Bedingung können
sie auf Bundesgenossen rechnen.

Es folgt nun weiter die Untersuchung, was zu thun sei, wenn Oestreich
seine Mitwirkung versagte. Klapka hält diese Mitwirkung nicht nur für un¬
wahrscheinlich, sondern für unmöglich. Nach seiner Ueberzeugung ist Oestreich
ein verfallender Staat, der sein Leben nur künstlich, nur durch die Hilfe Ru߬
lands fristen kann. Es wird Oestreich freilich sehr erwünscht sein, wenn Nuß-


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[0492] Der Krieg kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden, wenn man gleichzeitig von drei Punkten mit ungeheuern Heeresmassen in Nußland eindringt, im Kaukasus, in Bessarabien und in den Ostseeprovinzen, nicht, wie es Napoleon that, um voreilig bis in das Herz des ungeheuern Reichs sich zu wagen, sondern um eine Grenzprovinz nach der audern stückweis abzulösen. Die Franzosen und Engländer sind aber auch in der Verbindung mit den Türken und Sardiniern nicht im Stande, den Krieg in so großartigem Ma߬ stabe fortzuführen; sie bedürfen im Osten der Mitwirkung der Tscherkessen, denen sie also die Freiheit verheißen müssen. Der Feldzug in Bessarabien wäre mit den höchsten Gefahren verknüpft, wenn man im östreichischen Staat einen zweideutigen Verbündeten hinter sich läßt. Oestreich ,muß also kategorisch aufgefordert werden, sich an dem Kriege zu betheiligen. Es ist immer anerkennenswert!), daß Klapka diese Eventualität wenigstens in Rechnung stellt, obgleich er, wie wir nachher sehen werden, seinen Wünschen gemäß sie sofort wieder aufhebt. In den Ostseeprovinzen muß zunächst durch Znsurrectionirung Polens vorgeschritten werden. Die Wiederherstellung des polnischen Reichs in seinem ganzen alten Umfange ist die erste Pflicht der Verbündeten. Ferner ist die Mitwirkung Schwedens nöthig. Diese wird aber nicht erlangt werden, wenn man ihm nicht den Erwerb von Liefland in Aussicht stellt. Von Preußen ist Klapka überzeugt, daß es bei dem Liberalismus seiner Bewohner, selbst seiner Offiziere, sich dem Anschluß an die Alliirten auf keine Weise würde ent¬ ziehen können. Wie nun aber die Wiederherstellung des polnischen Reichs damit in Zusammenhang gebracht werden soll, diese Frage legt er sich nickt vor. Wir fürchten, daß eine solche Aussicht hinreichen würde, Preußen zum engsten Anschluß an Rußland zu treiben, denn bei der Wiederherstellung ihrer alten Grenzen würden die Polen gewiß auch die Weichselmündung im Auge haben, ja diese würde ihnen ungleich wichtiger sein, als Volhynien und Podolien. Schon aus dem Bisherigen ergibt sich, daß die Alliirten ihrem Krieg ein ganz andres Ziel setzen müssen, als die Integrität der Türkei mit den bekann¬ ten vier Garantiepunkten. Sie müssen offen aussprechen, daß ihr Zweck die Territorialverkleinerung Rußlands ist, denn nur unter dieser Bedingung können sie auf Bundesgenossen rechnen. Es folgt nun weiter die Untersuchung, was zu thun sei, wenn Oestreich seine Mitwirkung versagte. Klapka hält diese Mitwirkung nicht nur für un¬ wahrscheinlich, sondern für unmöglich. Nach seiner Ueberzeugung ist Oestreich ein verfallender Staat, der sein Leben nur künstlich, nur durch die Hilfe Ru߬ lands fristen kann. Es wird Oestreich freilich sehr erwünscht sein, wenn Nuß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/492>, abgerufen am 23.12.2024.