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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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vortrefflich. Wir kommen bei der Vollendung des Werks noch einmal darauf
zurück.

Rußland hat einen sehr ernsten Schlag erhalten und die Negierung könnte
dadurch wol zu ernsthaftern Nachdenken über ihre Lage geleitet werden. Der
dritte Punkt, an welchem angeblich die wiener Friedensunterhandlungen schei¬
terten, würde jetzt keine so großen Schwierigkeiten mehr machen! Allein noch
hat Rußland immer Kraft genug, seine Leiden zu ertragen und solange es
nur mit den beiden Seemächten zu thun hat, zweifeln wir doch noch immer
an seiner Versöhnlichkeit. Der günstigste Erfolg der Erstürmung des Malakow-
thurmes wäre also, wenn dadurch die deutschen Staaten veranlaßt würden,
sich den Westmächten wieder zu nähern. Freilich werden die letztern bei den be¬
kannten vier Punkten kaum mehr stehen bleiben und die Entschädigungsfrage,
die bei den wiener Conferenzen gar nicht erwähnt wurde, dürfte sich bei
neuen Unterhandlungen in den Vordergrund drängen.--

Wir haben die Schrift des ungarischen Generals mit der ganzen Auf¬
merksamkeit gelesen, die ein bedeutenderer Gegner verdient. Wir nennen Klapka
nicht blos deshalb unsern Gegner, weil seine Wünsche auf eine allgemeine
Revolutionirung Europas ausgehen d. h. auf ein kolossales Hazardspiel, bei
dem jede Berechnung aufhört, sondern auch weil wir mit dem Zustande, den
er als Ziel der Revolution herstellen will, nicht im mindesten einverstanden
sind. Er wünscht unter andern die Herstellung eines großen Polenreichs und
eines ebenso großen Föderativstaats, der aus den außerdeutschen Provinzen
Oestreichs, aus Bessarabien, der Moldau und Walachei und einigen türkischen
Grenzprovinzen bestehen soll. Wir trauen namentlich dem letztern Staat nicht
die geringste Lebensfähigkeit zu, denn da in diesen Gegenden die Nationalitäten
bunt durcheinandergewürfelt sind, so würde doch sehr bald eine derselben die
Oberherrschaft in Anspruch nehmen, es würde sich die eine Hand wider die
andre erheben und man würde die Wiederholung jener Schlächtereien mit an¬
sehen, von denen wir noch aus dem Jahre 18i>9 eine so schauderhafte Er¬
innerung haben. Es gibt in jenen Gegenden keine Macht, welche die bunten
Völkerschaften beherrschen könnte, als Oestreich, und wie im Jahre 1848, so
halten wir auch jetzt das Fortbestehen Oestreichs für eine europäische Noth¬
wendigkeit. Oestreich ist bis jetzt der hohen Aufgabe, jene Länder der europäi¬
schen Cultur zuzuführen, nicht so nachgekommen, wie man es hätte wünschen
sollen, aber es bleibt doch immer der einzige Staat, auf den man dabei rech¬
nen kann, und selbst in den Uebertreibungen der gegenwärtigen Centralisation lebt
im Ganzen doch ein richtiger Jnstinct. -- Klapkas Gedankengang ist folgender.

Durch den Feldzug in der Krim kann der Krieg gegen Rußland nie zu
einem glücklichen Ende geführt werden, selbst wenn man dort günstigere Erfolge
erzielen sollte, als es bisher den Anschein hat.


6-1*

vortrefflich. Wir kommen bei der Vollendung des Werks noch einmal darauf
zurück.

Rußland hat einen sehr ernsten Schlag erhalten und die Negierung könnte
dadurch wol zu ernsthaftern Nachdenken über ihre Lage geleitet werden. Der
dritte Punkt, an welchem angeblich die wiener Friedensunterhandlungen schei¬
terten, würde jetzt keine so großen Schwierigkeiten mehr machen! Allein noch
hat Rußland immer Kraft genug, seine Leiden zu ertragen und solange es
nur mit den beiden Seemächten zu thun hat, zweifeln wir doch noch immer
an seiner Versöhnlichkeit. Der günstigste Erfolg der Erstürmung des Malakow-
thurmes wäre also, wenn dadurch die deutschen Staaten veranlaßt würden,
sich den Westmächten wieder zu nähern. Freilich werden die letztern bei den be¬
kannten vier Punkten kaum mehr stehen bleiben und die Entschädigungsfrage,
die bei den wiener Conferenzen gar nicht erwähnt wurde, dürfte sich bei
neuen Unterhandlungen in den Vordergrund drängen.--

Wir haben die Schrift des ungarischen Generals mit der ganzen Auf¬
merksamkeit gelesen, die ein bedeutenderer Gegner verdient. Wir nennen Klapka
nicht blos deshalb unsern Gegner, weil seine Wünsche auf eine allgemeine
Revolutionirung Europas ausgehen d. h. auf ein kolossales Hazardspiel, bei
dem jede Berechnung aufhört, sondern auch weil wir mit dem Zustande, den
er als Ziel der Revolution herstellen will, nicht im mindesten einverstanden
sind. Er wünscht unter andern die Herstellung eines großen Polenreichs und
eines ebenso großen Föderativstaats, der aus den außerdeutschen Provinzen
Oestreichs, aus Bessarabien, der Moldau und Walachei und einigen türkischen
Grenzprovinzen bestehen soll. Wir trauen namentlich dem letztern Staat nicht
die geringste Lebensfähigkeit zu, denn da in diesen Gegenden die Nationalitäten
bunt durcheinandergewürfelt sind, so würde doch sehr bald eine derselben die
Oberherrschaft in Anspruch nehmen, es würde sich die eine Hand wider die
andre erheben und man würde die Wiederholung jener Schlächtereien mit an¬
sehen, von denen wir noch aus dem Jahre 18i>9 eine so schauderhafte Er¬
innerung haben. Es gibt in jenen Gegenden keine Macht, welche die bunten
Völkerschaften beherrschen könnte, als Oestreich, und wie im Jahre 1848, so
halten wir auch jetzt das Fortbestehen Oestreichs für eine europäische Noth¬
wendigkeit. Oestreich ist bis jetzt der hohen Aufgabe, jene Länder der europäi¬
schen Cultur zuzuführen, nicht so nachgekommen, wie man es hätte wünschen
sollen, aber es bleibt doch immer der einzige Staat, auf den man dabei rech¬
nen kann, und selbst in den Uebertreibungen der gegenwärtigen Centralisation lebt
im Ganzen doch ein richtiger Jnstinct. — Klapkas Gedankengang ist folgender.

Durch den Feldzug in der Krim kann der Krieg gegen Rußland nie zu
einem glücklichen Ende geführt werden, selbst wenn man dort günstigere Erfolge
erzielen sollte, als es bisher den Anschein hat.


6-1*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/491>, abgerufen am 22.07.2024.