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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Unterschied ausmacht, wer führt, und auch unter den Offizieren das einzelne Indivi¬
duum weit zurücktritt, die Masse selbst aber sich nur vom abstracten Befehl be¬
wegen laßt, dagegen kein Befehlshaber vorzugsweise Gewalt über sie ausübt." Das
etwa war der Eindruck, den das Vorbrechen der russischen Truppen über die Brücke
von Traktir, beim mehrmaligen Hin- und Herwogen auf den erwähnten diesseitigen
Zuschauer machte.' In zweiter Linie war eine Wasserleitung zu überschreiten. Die
geschlossene Masse warf sich, ohne einen Moment zu wanken, in die Flut, die bis
unter die Arme reichte; darnach ging es den ziemlich steilen Hang des nächsten
Hügels hinan und hier wäre eine wichtige Position für die Franzosen vielleicht
dauernd verloren gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick die Zuaven, wie sie
aus ihren Zelten hervortraten, zum Theil nicht vollständig bekleidet, sich der stür¬
menden Masse entgegengeworfen hätten. Der undichten Formation ungeachtet war
der Stoß dieses Gegenangriffs dermaßen heftig, daß die Russen zuerst zum Stehen
und sodann zum Weichen gebracht wurden. Die Flut, welche sich zunächst gestaut
hatte, wogte nach rückwärts. Vergebens suchten Offiziere und Unteroffiziere aw
Fuße des Abhangs einen Halt zu gewinnen; das Gefüge, die krystallinische For¬
mation war gebrochen und ein für alle Mal jedes Widerstehen unmöglich; denn der
russische Soldat vermag nichts, wenn er nicht Schulter an Schulter und Mann
hinter Mann steht. Aber schon sind neue, frische Bataillone aus der Reserve vom
andern Ufer her in Anmarsch. Ihr Trommelwirbel erschallt; sie schreiten über die
Brücke; an der Töte derselben erfolgt der Zusammenstoß mit dem Rückstau der
Flüchtigen des ersten Treffens. Man glaubt diesseits einen Augenblick, hoffen zu
dürfen, daß die frischen und die geschlagenen Truppen sich untereinander vermischen
werden; aber nur eben diesen Augenblick lang erscheint die Fronte der Re¬
serve bedeckt und wie in Verwirrung; gleich darnach aber schreitet sie frei und
scharf gerichtet aus der formlosen, wogenden Masse heraus, als wenn sie sich zu
Se. Petersburg vor dem Winterpalais zu bewegen gehabt hätte. Sie drängt
langsam, aber unwiderstehlich vorwärts; die Zuaven in ihrer gelichteten, aUfgelocker"
ten Formation haben nicht die Kraft, diesem massiven Keil zu widerstehen, der
letztlich denselben Weg verfolgt, welchen die ersten Bataillone genommen und ziem¬
lich bis zu derselben Stelle gelangt, wo diese Umkehr gemacht. Da wird das
französische Feuer überwältigend. Es ist keine Metapher mehr in heutiger Zeit,
bei Schilderung derartiger Schlachtmomente von Kugelhagel zu reden; die Geschosse
regnen thatsächlich und brechen jede, auch mit russischem Stumpfsinn und russische
Opfcrfähigkeit aufrecht erhaltene Formation! Neues Stocken nun und sodalin der
feurige Anprall des funfzigsten und siebenundnennzigsten französischen Linienregi'
neues auf die wankende Schar. Das Gewehr wird von da ab nur noch gebraucht,
insofern es ein Bajonett hat. Es gab eine Zeit, wo man ein derartiges Ringen,
Mann gegen Mann für einen ausnahmsweisen Fall in den neuern Kriegen erachtete;
hier kehrt es bei jedem Zusammenstoß wieder und die Actionett werden nicht ohne
diesen Einfluß erstaunlich blutig.

Ihren Lesern wird nicht entgangen sein, daß die eben hiermit gegebene
Schilderung der Fechtart, Haltung und Leistungsfähigkeit der russische" Infanterie
nicht in jeder Hinsicht mit dem Bilde übereinstimmt, welches ich Ihnen bei einer
früheren Gelegenheit (man wird sich vielleicht des Aufsatzes "die vier Armeen in


Unterschied ausmacht, wer führt, und auch unter den Offizieren das einzelne Indivi¬
duum weit zurücktritt, die Masse selbst aber sich nur vom abstracten Befehl be¬
wegen laßt, dagegen kein Befehlshaber vorzugsweise Gewalt über sie ausübt." Das
etwa war der Eindruck, den das Vorbrechen der russischen Truppen über die Brücke
von Traktir, beim mehrmaligen Hin- und Herwogen auf den erwähnten diesseitigen
Zuschauer machte.' In zweiter Linie war eine Wasserleitung zu überschreiten. Die
geschlossene Masse warf sich, ohne einen Moment zu wanken, in die Flut, die bis
unter die Arme reichte; darnach ging es den ziemlich steilen Hang des nächsten
Hügels hinan und hier wäre eine wichtige Position für die Franzosen vielleicht
dauernd verloren gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick die Zuaven, wie sie
aus ihren Zelten hervortraten, zum Theil nicht vollständig bekleidet, sich der stür¬
menden Masse entgegengeworfen hätten. Der undichten Formation ungeachtet war
der Stoß dieses Gegenangriffs dermaßen heftig, daß die Russen zuerst zum Stehen
und sodann zum Weichen gebracht wurden. Die Flut, welche sich zunächst gestaut
hatte, wogte nach rückwärts. Vergebens suchten Offiziere und Unteroffiziere aw
Fuße des Abhangs einen Halt zu gewinnen; das Gefüge, die krystallinische For¬
mation war gebrochen und ein für alle Mal jedes Widerstehen unmöglich; denn der
russische Soldat vermag nichts, wenn er nicht Schulter an Schulter und Mann
hinter Mann steht. Aber schon sind neue, frische Bataillone aus der Reserve vom
andern Ufer her in Anmarsch. Ihr Trommelwirbel erschallt; sie schreiten über die
Brücke; an der Töte derselben erfolgt der Zusammenstoß mit dem Rückstau der
Flüchtigen des ersten Treffens. Man glaubt diesseits einen Augenblick, hoffen zu
dürfen, daß die frischen und die geschlagenen Truppen sich untereinander vermischen
werden; aber nur eben diesen Augenblick lang erscheint die Fronte der Re¬
serve bedeckt und wie in Verwirrung; gleich darnach aber schreitet sie frei und
scharf gerichtet aus der formlosen, wogenden Masse heraus, als wenn sie sich zu
Se. Petersburg vor dem Winterpalais zu bewegen gehabt hätte. Sie drängt
langsam, aber unwiderstehlich vorwärts; die Zuaven in ihrer gelichteten, aUfgelocker«
ten Formation haben nicht die Kraft, diesem massiven Keil zu widerstehen, der
letztlich denselben Weg verfolgt, welchen die ersten Bataillone genommen und ziem¬
lich bis zu derselben Stelle gelangt, wo diese Umkehr gemacht. Da wird das
französische Feuer überwältigend. Es ist keine Metapher mehr in heutiger Zeit,
bei Schilderung derartiger Schlachtmomente von Kugelhagel zu reden; die Geschosse
regnen thatsächlich und brechen jede, auch mit russischem Stumpfsinn und russische
Opfcrfähigkeit aufrecht erhaltene Formation! Neues Stocken nun und sodalin der
feurige Anprall des funfzigsten und siebenundnennzigsten französischen Linienregi'
neues auf die wankende Schar. Das Gewehr wird von da ab nur noch gebraucht,
insofern es ein Bajonett hat. Es gab eine Zeit, wo man ein derartiges Ringen,
Mann gegen Mann für einen ausnahmsweisen Fall in den neuern Kriegen erachtete;
hier kehrt es bei jedem Zusammenstoß wieder und die Actionett werden nicht ohne
diesen Einfluß erstaunlich blutig.

Ihren Lesern wird nicht entgangen sein, daß die eben hiermit gegebene
Schilderung der Fechtart, Haltung und Leistungsfähigkeit der russische» Infanterie
nicht in jeder Hinsicht mit dem Bilde übereinstimmt, welches ich Ihnen bei einer
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[0484] Unterschied ausmacht, wer führt, und auch unter den Offizieren das einzelne Indivi¬ duum weit zurücktritt, die Masse selbst aber sich nur vom abstracten Befehl be¬ wegen laßt, dagegen kein Befehlshaber vorzugsweise Gewalt über sie ausübt." Das etwa war der Eindruck, den das Vorbrechen der russischen Truppen über die Brücke von Traktir, beim mehrmaligen Hin- und Herwogen auf den erwähnten diesseitigen Zuschauer machte.' In zweiter Linie war eine Wasserleitung zu überschreiten. Die geschlossene Masse warf sich, ohne einen Moment zu wanken, in die Flut, die bis unter die Arme reichte; darnach ging es den ziemlich steilen Hang des nächsten Hügels hinan und hier wäre eine wichtige Position für die Franzosen vielleicht dauernd verloren gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick die Zuaven, wie sie aus ihren Zelten hervortraten, zum Theil nicht vollständig bekleidet, sich der stür¬ menden Masse entgegengeworfen hätten. Der undichten Formation ungeachtet war der Stoß dieses Gegenangriffs dermaßen heftig, daß die Russen zuerst zum Stehen und sodann zum Weichen gebracht wurden. Die Flut, welche sich zunächst gestaut hatte, wogte nach rückwärts. Vergebens suchten Offiziere und Unteroffiziere aw Fuße des Abhangs einen Halt zu gewinnen; das Gefüge, die krystallinische For¬ mation war gebrochen und ein für alle Mal jedes Widerstehen unmöglich; denn der russische Soldat vermag nichts, wenn er nicht Schulter an Schulter und Mann hinter Mann steht. Aber schon sind neue, frische Bataillone aus der Reserve vom andern Ufer her in Anmarsch. Ihr Trommelwirbel erschallt; sie schreiten über die Brücke; an der Töte derselben erfolgt der Zusammenstoß mit dem Rückstau der Flüchtigen des ersten Treffens. Man glaubt diesseits einen Augenblick, hoffen zu dürfen, daß die frischen und die geschlagenen Truppen sich untereinander vermischen werden; aber nur eben diesen Augenblick lang erscheint die Fronte der Re¬ serve bedeckt und wie in Verwirrung; gleich darnach aber schreitet sie frei und scharf gerichtet aus der formlosen, wogenden Masse heraus, als wenn sie sich zu Se. Petersburg vor dem Winterpalais zu bewegen gehabt hätte. Sie drängt langsam, aber unwiderstehlich vorwärts; die Zuaven in ihrer gelichteten, aUfgelocker« ten Formation haben nicht die Kraft, diesem massiven Keil zu widerstehen, der letztlich denselben Weg verfolgt, welchen die ersten Bataillone genommen und ziem¬ lich bis zu derselben Stelle gelangt, wo diese Umkehr gemacht. Da wird das französische Feuer überwältigend. Es ist keine Metapher mehr in heutiger Zeit, bei Schilderung derartiger Schlachtmomente von Kugelhagel zu reden; die Geschosse regnen thatsächlich und brechen jede, auch mit russischem Stumpfsinn und russische Opfcrfähigkeit aufrecht erhaltene Formation! Neues Stocken nun und sodalin der feurige Anprall des funfzigsten und siebenundnennzigsten französischen Linienregi' neues auf die wankende Schar. Das Gewehr wird von da ab nur noch gebraucht, insofern es ein Bajonett hat. Es gab eine Zeit, wo man ein derartiges Ringen, Mann gegen Mann für einen ausnahmsweisen Fall in den neuern Kriegen erachtete; hier kehrt es bei jedem Zusammenstoß wieder und die Actionett werden nicht ohne diesen Einfluß erstaunlich blutig. Ihren Lesern wird nicht entgangen sein, daß die eben hiermit gegebene Schilderung der Fechtart, Haltung und Leistungsfähigkeit der russische» Infanterie nicht in jeder Hinsicht mit dem Bilde übereinstimmt, welches ich Ihnen bei einer früheren Gelegenheit (man wird sich vielleicht des Aufsatzes „die vier Armeen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/484>, abgerufen am 23.12.2024.