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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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tans aus der Moschee (im Türkischen Dschami) zu erwarten, sondern trat sofort den
Rückweg an.

nachträgliches zur Geschichte der Schlacht vom
16. August an der Tscheruaja. Durch die übereinstimmenden Erzählungen
von Augenzeugen, die dem Treffen vom -16. März beiwohnten oder mindestens aus
nicht allzu weiter Entfernung seinen Verlauf und einzelne Züge desselben im Be¬
sondern beobachten konnten, ist man nunmehr hier in den Stand gesetzt, über den
wichtigen Tag mit einer gewissen Bestimmtheit urtheilen und die gegenseitigen
Leistungen richtiger abschätzen zu können, wie dies bis dahin der Fall gewesen war.
Der Besitz solcher zuverlässiger Angaben war um so wünsch-nswerther, als officielle
Berichte, und zwar die russischen wie die französischen, ihrer Natur, Bestimmung
und den Verhältnissen nach von einer mehr oder weniger den wahren Zusammen¬
hang der Thatsachen verdunkelnden Parteilichkeit selten frei sind, ja nicht frei
sein können und auch die Darstellungen der hier erscheinenden halbofficiellen
Blätter aus auf der Hand liegenden Gründen durchaus in diese Kategorie hinein¬
fallen.

Lassen Sie mich hier zunächst ein Factum feststellen, welches auf Grund der
besagten Berichte und Darstellungen möglicherweise bezweifelt werden könnte: die
russische Infanterie und Artillerie hat in dieser Affaire durchaus ihre Schuldigkeit
gethan. "Man kann," äußerte neulich ein höherer, aus der Krim vor vier
Tage" zurückgekommener Offizier, "möglicherweise hier und da ein Fußvolk finden,
welches ebenso tapfer wie das russische sein wird, jedenfalls können Sardinier und
Franzosen dieses Verdienst für sich ansprechen ..... aber tapferer kann man
"icht sein. Außerdem find die Russen in der Kunst, ihre taktische Formation im
Gefecht, mitten unter den Schlägen der Artillerie und unter dem Spitzkugclhagel
ihrer Gegner zu bewahren/ unter allen Umständen den letztgenannten Truppe"
überlegen, wenn nicht überhaupt unerreicht von jedwedem Heere. Man denke sich
ihre Bataillone im Anrücken -- schon der Anblick ist imponirend! es ist dies eine
ruhige, gleichmäßige, in keinem Augenblick stockende, scheinbar von nichts aufzuhal¬
tende Bewegung, die nicht minder den Ausdruck überwältigender Kraft in sich trägt,
wenn auch der französische <:>-in, das romanische Ungestüm und das ritterliche Feuer
ihr fehlen. Was man vor sich sieht, ist nur Masse -- ein Collectivwescn -- aus dessen
zauberischer Einheit heraus keine That des Individuums vorbricht, weil das untrenn¬
bare Band, welches alle einigt, solche Loslösung nicht gestattet. Unter Trommelschlag
rückt die russische Colonne heran; die breiten Gassen, welche der Kartätschcnhagel
reißt und die engern, aber bis in die letzten Glieder spaltend eingreifenden der
Paßkugeln füllen sich sogleich wieder; kein Stutzen wird sichtbar! In diesem dicht¬
gedrängten Haufen regt sich das unverwüstliche Leben der Hyder mit hundert und
aberhundert Häuptern. Alle Offiziere, vom Hauptmann aufwärts, bemerkt man
anfangs zu Pferde. Sie find allerdings ein jeder in die weiten Soldatenmäntel
eingehüllt und ähneln durchaus ihren Truppen . . . aber das Berittensein macht
sie kenntlich genug für die Schützen; diese zielen zuerst nur auf ste, mau sieht
Roß und Mann stürzen -- die vordersten Führer find gefallen und über sie hin
schreitet der Marsch vor, weil kein Interregnum im Commando existirt, es keinen


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tans aus der Moschee (im Türkischen Dschami) zu erwarten, sondern trat sofort den
Rückweg an.

nachträgliches zur Geschichte der Schlacht vom
16. August an der Tscheruaja. Durch die übereinstimmenden Erzählungen
von Augenzeugen, die dem Treffen vom -16. März beiwohnten oder mindestens aus
nicht allzu weiter Entfernung seinen Verlauf und einzelne Züge desselben im Be¬
sondern beobachten konnten, ist man nunmehr hier in den Stand gesetzt, über den
wichtigen Tag mit einer gewissen Bestimmtheit urtheilen und die gegenseitigen
Leistungen richtiger abschätzen zu können, wie dies bis dahin der Fall gewesen war.
Der Besitz solcher zuverlässiger Angaben war um so wünsch-nswerther, als officielle
Berichte, und zwar die russischen wie die französischen, ihrer Natur, Bestimmung
und den Verhältnissen nach von einer mehr oder weniger den wahren Zusammen¬
hang der Thatsachen verdunkelnden Parteilichkeit selten frei sind, ja nicht frei
sein können und auch die Darstellungen der hier erscheinenden halbofficiellen
Blätter aus auf der Hand liegenden Gründen durchaus in diese Kategorie hinein¬
fallen.

Lassen Sie mich hier zunächst ein Factum feststellen, welches auf Grund der
besagten Berichte und Darstellungen möglicherweise bezweifelt werden könnte: die
russische Infanterie und Artillerie hat in dieser Affaire durchaus ihre Schuldigkeit
gethan. „Man kann," äußerte neulich ein höherer, aus der Krim vor vier
Tage» zurückgekommener Offizier, „möglicherweise hier und da ein Fußvolk finden,
welches ebenso tapfer wie das russische sein wird, jedenfalls können Sardinier und
Franzosen dieses Verdienst für sich ansprechen ..... aber tapferer kann man
»icht sein. Außerdem find die Russen in der Kunst, ihre taktische Formation im
Gefecht, mitten unter den Schlägen der Artillerie und unter dem Spitzkugclhagel
ihrer Gegner zu bewahren/ unter allen Umständen den letztgenannten Truppe»
überlegen, wenn nicht überhaupt unerreicht von jedwedem Heere. Man denke sich
ihre Bataillone im Anrücken — schon der Anblick ist imponirend! es ist dies eine
ruhige, gleichmäßige, in keinem Augenblick stockende, scheinbar von nichts aufzuhal¬
tende Bewegung, die nicht minder den Ausdruck überwältigender Kraft in sich trägt,
wenn auch der französische <:>-in, das romanische Ungestüm und das ritterliche Feuer
ihr fehlen. Was man vor sich sieht, ist nur Masse — ein Collectivwescn — aus dessen
zauberischer Einheit heraus keine That des Individuums vorbricht, weil das untrenn¬
bare Band, welches alle einigt, solche Loslösung nicht gestattet. Unter Trommelschlag
rückt die russische Colonne heran; die breiten Gassen, welche der Kartätschcnhagel
reißt und die engern, aber bis in die letzten Glieder spaltend eingreifenden der
Paßkugeln füllen sich sogleich wieder; kein Stutzen wird sichtbar! In diesem dicht¬
gedrängten Haufen regt sich das unverwüstliche Leben der Hyder mit hundert und
aberhundert Häuptern. Alle Offiziere, vom Hauptmann aufwärts, bemerkt man
anfangs zu Pferde. Sie find allerdings ein jeder in die weiten Soldatenmäntel
eingehüllt und ähneln durchaus ihren Truppen . . . aber das Berittensein macht
sie kenntlich genug für die Schützen; diese zielen zuerst nur auf ste, mau sieht
Roß und Mann stürzen — die vordersten Führer find gefallen und über sie hin
schreitet der Marsch vor, weil kein Interregnum im Commando existirt, es keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/483>, abgerufen am 23.12.2024.