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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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solches Resultat läßt sich in Nußland in Jahrhunderten noch nicht erwarten.
Die primitive Dreifelderwirthschaft herrscht fast allgemein vor, außer wo deutsche
Colonisten bessere Bewirthschastungsmethoden eingeführt haben oder wo,,'wie
in dem Gouvernement Simbirsk, ein seltenes Zusammentreffen günstiger Um-^
stände einigen großen Grundbesitzern gestattet hat, ein Beispiel mit der An¬
wendung von Maschinen zu geben. Nach dem gewöhnlichen Verfahren
wechseln Wintergetreide, Sommergetreide und Bräche regelmäßig miteinander
ab; so, daß ein Drittel des Bodens stets unbebaut ist und das gänzliche
Wegfallen deS Anbaues von Futterkräutern das Halten eines großen Vieh¬
standes-- die erste Bedingung einer guten Bewirthschaftung -- verwehrt. Trotz
der vortrefflichen Bodenbeschaffenheit muß nach TengoborSki ein Viertel des
ganzen Ertrags zur Aussaat zurückbehalten werden, und noch im Jahre 1810
wurde im Gouvernement Cherson die Dessätine gutes Land mit einem Papier¬
rubel, der damals ungefähr 10 Silbergroschen galt, bezahlt. In Neurußland war
dagegen bei Beginn des gegenwärtigen Krieges der Preis wegen der Nähe des
Hauptgetreidehafens Rußlands, Odessas, und der infolge der vermehrten Nach¬
frage hohen Fruchtpreise der letzten Jahre auf zehn Silberrubel gestiegen. Natür¬
lich ist diese gute Zeit vorüber, bis der Friede wiederkehrt, und nach der
Raschheit, mit der die Preise der Grundstücke in den letzten Jahren gestiegen
sind, kann man abmessen, wie hartbedrängt jetzt bei dem ganz wegfallenden Ab¬
sätze nach dem Auslande die Grundbesitzer sein müssen.

Die große Schwierigkeit des Verkehrs in Rußand, sowie man einmal die
unmittelbare Nachbarschaft der schiffbaren Flüsse verläßt, zeigt sich am deutlichsten
in den ganz übermäßigen Preisunterschieden des Getreides in den verschiedenen
Gouvernements.

Da der eigentliche Reichthum des Grundbesitzers in seinem Rechte besteht,
die dreitägige Frohnarbeit von jedem Leibeignen für jede Woche zu fordern
und da er diese meistens nur im Ackerbau verwerthen kann, so sind die ge¬
wöhnlichen Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage, wie sie im westlichen
Europa bestehen, hier gar nicht vorhanden. Wenn die Leibeignen nicht mit
dem Getreidebau sich beschäftigen, so müssen sie faullenzen, mag nun der Markt
mit Getreide überfüllt sein oder nicht. Ist ersteres der Fall und es sind
Mittel vorhanden, den Ueberschuß nach einem Markte zu schicken, wo Mangel
ist, so ist natürlich eine reichliche Ernte eine Quelle des Reichthums für den
Grundbesitzer. Aber dies ist nur ausnahmsweise der Fall. Im Allgemeinen
ist das einzige Resultat einer ungewöhnlich guten Ernte ein übermäßiger
Ueberfluß sür dieses Jahr, in dieser besonderen Oertlichkeit, an dessen Stelle
vielleicht nächstes Jahr der äußerste Mangel tritt. Tengoborski gibt den
Durchschnittsatz der Landtransportkosten in Rußland für eine Entfernung von
zehn Wersten auf eine Kopeke das Pud (40 Pfund) an. Das macht


solches Resultat läßt sich in Nußland in Jahrhunderten noch nicht erwarten.
Die primitive Dreifelderwirthschaft herrscht fast allgemein vor, außer wo deutsche
Colonisten bessere Bewirthschastungsmethoden eingeführt haben oder wo,,'wie
in dem Gouvernement Simbirsk, ein seltenes Zusammentreffen günstiger Um-^
stände einigen großen Grundbesitzern gestattet hat, ein Beispiel mit der An¬
wendung von Maschinen zu geben. Nach dem gewöhnlichen Verfahren
wechseln Wintergetreide, Sommergetreide und Bräche regelmäßig miteinander
ab; so, daß ein Drittel des Bodens stets unbebaut ist und das gänzliche
Wegfallen deS Anbaues von Futterkräutern das Halten eines großen Vieh¬
standes— die erste Bedingung einer guten Bewirthschaftung — verwehrt. Trotz
der vortrefflichen Bodenbeschaffenheit muß nach TengoborSki ein Viertel des
ganzen Ertrags zur Aussaat zurückbehalten werden, und noch im Jahre 1810
wurde im Gouvernement Cherson die Dessätine gutes Land mit einem Papier¬
rubel, der damals ungefähr 10 Silbergroschen galt, bezahlt. In Neurußland war
dagegen bei Beginn des gegenwärtigen Krieges der Preis wegen der Nähe des
Hauptgetreidehafens Rußlands, Odessas, und der infolge der vermehrten Nach¬
frage hohen Fruchtpreise der letzten Jahre auf zehn Silberrubel gestiegen. Natür¬
lich ist diese gute Zeit vorüber, bis der Friede wiederkehrt, und nach der
Raschheit, mit der die Preise der Grundstücke in den letzten Jahren gestiegen
sind, kann man abmessen, wie hartbedrängt jetzt bei dem ganz wegfallenden Ab¬
sätze nach dem Auslande die Grundbesitzer sein müssen.

Die große Schwierigkeit des Verkehrs in Rußand, sowie man einmal die
unmittelbare Nachbarschaft der schiffbaren Flüsse verläßt, zeigt sich am deutlichsten
in den ganz übermäßigen Preisunterschieden des Getreides in den verschiedenen
Gouvernements.

Da der eigentliche Reichthum des Grundbesitzers in seinem Rechte besteht,
die dreitägige Frohnarbeit von jedem Leibeignen für jede Woche zu fordern
und da er diese meistens nur im Ackerbau verwerthen kann, so sind die ge¬
wöhnlichen Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage, wie sie im westlichen
Europa bestehen, hier gar nicht vorhanden. Wenn die Leibeignen nicht mit
dem Getreidebau sich beschäftigen, so müssen sie faullenzen, mag nun der Markt
mit Getreide überfüllt sein oder nicht. Ist ersteres der Fall und es sind
Mittel vorhanden, den Ueberschuß nach einem Markte zu schicken, wo Mangel
ist, so ist natürlich eine reichliche Ernte eine Quelle des Reichthums für den
Grundbesitzer. Aber dies ist nur ausnahmsweise der Fall. Im Allgemeinen
ist das einzige Resultat einer ungewöhnlich guten Ernte ein übermäßiger
Ueberfluß sür dieses Jahr, in dieser besonderen Oertlichkeit, an dessen Stelle
vielleicht nächstes Jahr der äußerste Mangel tritt. Tengoborski gibt den
Durchschnittsatz der Landtransportkosten in Rußland für eine Entfernung von
zehn Wersten auf eine Kopeke das Pud (40 Pfund) an. Das macht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/474>, abgerufen am 23.12.2024.