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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Großen liegt, sieht wie eine dürre Steppe aus, in der aller Zusammenhang
der Cultur unterbrochen wird. Wenn man sich also aus der Literaturgeschichte
ein Bild von dem Fortgang der geistigen Cultur im Allgemeinen entwerfen
will, so wird diese Methode der Darstellung einer Ergänzung bedürfen und
dazu dient am bequemsten die Geschichte der Universitäten, der einzigen
Träger der Wissenschaft, bei denen keine dauernde Unterbrechung stattfindet.

Die Universität Göttingen ging nicht, wie die ältern unsres Vaterlandes,
aus einer Mischung von kirchlichen und andern nationalen Einrichtungen natur¬
wüchsig hervor, sie war von vornherein eine Lehranstalt des Staats, nach einem
bestimmten Plan entworfen und mit Ausdauer und Consequenz geleitet. Für
das methodische wissenschaftliche Leben des 18. Jahrhunderts ist sie unter allen
Universitäten Deutschlands die fruchtbarste und einflußreichste. In der
Zeit des Genialitätsschwindels sah man auf die "Zöpfe" Mit Geringschätzung
herab und es ist nicht zu leugnen, daß grade die Universität Göttingen gegen
alle Neuerungen in der Welt des Denkens und des Dichtens ein ängstliches
Absperrungssystem eingeführt hat; allein in neuerer Zeit ist man dahinter ge¬
kommen, daß jene leidenschaftlichen Sprünge der Genialität allein noch nicht
ausreichen, das nationale Leben zu einer gedeihlichen Entwicklung zu bringen,
daß jener conservative Geist der Ordnung und Methode auch da in der
Wissenschaft seine Berechtigung hat, wo er den Anschein der Pedanterie nicht
verleugnet.

Wenn es also schon wegen der Bedeutung der Universität höchst instructiv
ist, den Plan und die Ordnung, die man bei Begründung derselben im Auge
hielt, genau zu entwickeln, so hat der Verfasser bei der Auswahl von wichtigen
Documenten, die er uns mittheilt, noch einen andern Zweck. Da nämlich die
bedeutendsten literarischen Persönlichkeiten jener Zeit bei diesem Plan betheiligt
wurden, so erhalten wir dadurch zugleich ein lebendiges Gemälde von dem
literarischen Gesammtleben der Zeit. Die Methode, nach welcher der Verfasser
verfahren ist, verdient unbedingte Billigung. Ein abgeschlossenes historisches
Gemälde ließ sich aus seinem Stoff nicht machen; er begnügte sich also damit,
das Thatsächliche in einer gedrängten Einleitung abzumachen, und ließ dann
die Papiere für sich selbst reden. Bei der Auswahl walteten verschiedene Rück¬
sichten ob. Zunächst kam es darauf an, die Umstände, welche auf die innere
Einrichtung der Universität Bezug hatten, so vollständig als möglich darzu¬
stellen; dann aber durften auch diejenigen Züge nicht verschmäht werden, die
zur Charakteristik der betheiligten Persönlichkeiten dienten. Der Eindruck des
Gesammtgemäldes, wenn wir uns über die Sprache jener Zeit hinwegsetzen,
ist im Ganzen ein erfreulicher. Es gruppirt sich alles um eine höchst bedeu¬
tende Persönlichkeit, den Freiherrn von Münchhausen, und man steht mit Be¬
friedigung, wie durch sein unermüdliches, folgerichtiges und rühriges Wirken


Großen liegt, sieht wie eine dürre Steppe aus, in der aller Zusammenhang
der Cultur unterbrochen wird. Wenn man sich also aus der Literaturgeschichte
ein Bild von dem Fortgang der geistigen Cultur im Allgemeinen entwerfen
will, so wird diese Methode der Darstellung einer Ergänzung bedürfen und
dazu dient am bequemsten die Geschichte der Universitäten, der einzigen
Träger der Wissenschaft, bei denen keine dauernde Unterbrechung stattfindet.

Die Universität Göttingen ging nicht, wie die ältern unsres Vaterlandes,
aus einer Mischung von kirchlichen und andern nationalen Einrichtungen natur¬
wüchsig hervor, sie war von vornherein eine Lehranstalt des Staats, nach einem
bestimmten Plan entworfen und mit Ausdauer und Consequenz geleitet. Für
das methodische wissenschaftliche Leben des 18. Jahrhunderts ist sie unter allen
Universitäten Deutschlands die fruchtbarste und einflußreichste. In der
Zeit des Genialitätsschwindels sah man auf die „Zöpfe" Mit Geringschätzung
herab und es ist nicht zu leugnen, daß grade die Universität Göttingen gegen
alle Neuerungen in der Welt des Denkens und des Dichtens ein ängstliches
Absperrungssystem eingeführt hat; allein in neuerer Zeit ist man dahinter ge¬
kommen, daß jene leidenschaftlichen Sprünge der Genialität allein noch nicht
ausreichen, das nationale Leben zu einer gedeihlichen Entwicklung zu bringen,
daß jener conservative Geist der Ordnung und Methode auch da in der
Wissenschaft seine Berechtigung hat, wo er den Anschein der Pedanterie nicht
verleugnet.

Wenn es also schon wegen der Bedeutung der Universität höchst instructiv
ist, den Plan und die Ordnung, die man bei Begründung derselben im Auge
hielt, genau zu entwickeln, so hat der Verfasser bei der Auswahl von wichtigen
Documenten, die er uns mittheilt, noch einen andern Zweck. Da nämlich die
bedeutendsten literarischen Persönlichkeiten jener Zeit bei diesem Plan betheiligt
wurden, so erhalten wir dadurch zugleich ein lebendiges Gemälde von dem
literarischen Gesammtleben der Zeit. Die Methode, nach welcher der Verfasser
verfahren ist, verdient unbedingte Billigung. Ein abgeschlossenes historisches
Gemälde ließ sich aus seinem Stoff nicht machen; er begnügte sich also damit,
das Thatsächliche in einer gedrängten Einleitung abzumachen, und ließ dann
die Papiere für sich selbst reden. Bei der Auswahl walteten verschiedene Rück¬
sichten ob. Zunächst kam es darauf an, die Umstände, welche auf die innere
Einrichtung der Universität Bezug hatten, so vollständig als möglich darzu¬
stellen; dann aber durften auch diejenigen Züge nicht verschmäht werden, die
zur Charakteristik der betheiligten Persönlichkeiten dienten. Der Eindruck des
Gesammtgemäldes, wenn wir uns über die Sprache jener Zeit hinwegsetzen,
ist im Ganzen ein erfreulicher. Es gruppirt sich alles um eine höchst bedeu¬
tende Persönlichkeit, den Freiherrn von Münchhausen, und man steht mit Be¬
friedigung, wie durch sein unermüdliches, folgerichtiges und rühriges Wirken


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[0464] Großen liegt, sieht wie eine dürre Steppe aus, in der aller Zusammenhang der Cultur unterbrochen wird. Wenn man sich also aus der Literaturgeschichte ein Bild von dem Fortgang der geistigen Cultur im Allgemeinen entwerfen will, so wird diese Methode der Darstellung einer Ergänzung bedürfen und dazu dient am bequemsten die Geschichte der Universitäten, der einzigen Träger der Wissenschaft, bei denen keine dauernde Unterbrechung stattfindet. Die Universität Göttingen ging nicht, wie die ältern unsres Vaterlandes, aus einer Mischung von kirchlichen und andern nationalen Einrichtungen natur¬ wüchsig hervor, sie war von vornherein eine Lehranstalt des Staats, nach einem bestimmten Plan entworfen und mit Ausdauer und Consequenz geleitet. Für das methodische wissenschaftliche Leben des 18. Jahrhunderts ist sie unter allen Universitäten Deutschlands die fruchtbarste und einflußreichste. In der Zeit des Genialitätsschwindels sah man auf die „Zöpfe" Mit Geringschätzung herab und es ist nicht zu leugnen, daß grade die Universität Göttingen gegen alle Neuerungen in der Welt des Denkens und des Dichtens ein ängstliches Absperrungssystem eingeführt hat; allein in neuerer Zeit ist man dahinter ge¬ kommen, daß jene leidenschaftlichen Sprünge der Genialität allein noch nicht ausreichen, das nationale Leben zu einer gedeihlichen Entwicklung zu bringen, daß jener conservative Geist der Ordnung und Methode auch da in der Wissenschaft seine Berechtigung hat, wo er den Anschein der Pedanterie nicht verleugnet. Wenn es also schon wegen der Bedeutung der Universität höchst instructiv ist, den Plan und die Ordnung, die man bei Begründung derselben im Auge hielt, genau zu entwickeln, so hat der Verfasser bei der Auswahl von wichtigen Documenten, die er uns mittheilt, noch einen andern Zweck. Da nämlich die bedeutendsten literarischen Persönlichkeiten jener Zeit bei diesem Plan betheiligt wurden, so erhalten wir dadurch zugleich ein lebendiges Gemälde von dem literarischen Gesammtleben der Zeit. Die Methode, nach welcher der Verfasser verfahren ist, verdient unbedingte Billigung. Ein abgeschlossenes historisches Gemälde ließ sich aus seinem Stoff nicht machen; er begnügte sich also damit, das Thatsächliche in einer gedrängten Einleitung abzumachen, und ließ dann die Papiere für sich selbst reden. Bei der Auswahl walteten verschiedene Rück¬ sichten ob. Zunächst kam es darauf an, die Umstände, welche auf die innere Einrichtung der Universität Bezug hatten, so vollständig als möglich darzu¬ stellen; dann aber durften auch diejenigen Züge nicht verschmäht werden, die zur Charakteristik der betheiligten Persönlichkeiten dienten. Der Eindruck des Gesammtgemäldes, wenn wir uns über die Sprache jener Zeit hinwegsetzen, ist im Ganzen ein erfreulicher. Es gruppirt sich alles um eine höchst bedeu¬ tende Persönlichkeit, den Freiherrn von Münchhausen, und man steht mit Be¬ friedigung, wie durch sein unermüdliches, folgerichtiges und rühriges Wirken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/464>, abgerufen am 22.07.2024.