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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Stehenden unerwartet an. Einmal ging es fast Gerard so. Eine Löwin hatte
ihn bemerkt, als ihr Junges grade über ein als Köder hingeworfenes todtes
Pferd herfallen wollte, und war mit ihm scheinbar verschwunden. Aber
unser Löwenjäger ließ sich dadurch nicht irre machen, denn er wußte, welche
Gefahr ihm noch drohte. Er lauschte gespannt und sah sich mit der größten
Aufmerksamkeit nach allen Seiten um. Plötzlich hört er zu seiner Linken und
fast hinter sich ein leises Rascheln, etwa als ob eine Maus durch den Busch
liefe. Als er nach dieser Richtung hin sah, erblickte er zuerst ein Paar dicke
Tatzen, dann einen langen Schnurrbart und endlich eine ungeheure Nase.
Gerard hatte das Gewehr am Backen und den Finger am Drücker und in dem
Augenblicke, wo sich auch das stiere Auge zeigte, schoß er und streckte die Löwin
todt nieder.

Oft steht übrigens der Jäger vergebens auf dem Anstand, denn ein arabisches
Sprichwort sagt: sür einen Löwen gibt es 100 Duars, 100 Wege und
100 Furten; und Gerard selbst hat 600 Nächte unter freiem Himmel in den
besuchtesten Schluchten, an den besten Furten gelauert und doch nur 23 Löwen
erlegt. Begleiten wir ihn wenigstens auf einer dieser Jagden.

Einige Tage nach der Rückkunft der Erpedirionscolonne aus Kabylien,
im Juli 1833, verließ Gerard Konstantine um nach den Auresbergen zu
gehen, wo sicheren Nachrichten zufolge ein alter Löwe hauste. Die benachbarten
Araber hatten 2 bis 300 Mann stark bereits einen Streifzug gegen das
Raubthier unternommen. Er begann mit Sonnenaufgang; Mittags hatten
die Araber bereits 300 Kugeln verschossen und mit Einbruch der Nacht zogen
sie sich mit einem Verlust von einem Todten und sechs Verwundeten zurück,
ohne gegen den Löwen das Mindeste ausgerichtet zu haben. Auf die Nach¬
richt von Gerards Ankunft erschien bei ihm eine Deputation, die ihn um Hilfe
bat, zu welcher er sich sofort bereit erklärte. Er schickte seine Kundschafter aus,
und erfuhr alsbald, daß der Löwe einen großen Ausflug gemacht, die Löwin
sich aber noch in einem benachbarten Walde aufhielt. Er lauerte ihr Abends
auf, und erschoß sie mit der dritten Kugel. Der Löwe streifte nun, seine Ge¬
fährtin suchend weit umher und tödtete dabei in einem Duar ein Maulthier
und zwei Rinder, worauf er sich nach Süden zu auf die höchsten Spitzen des
Gebirgs begab. Die letzte Spur fand man drei Stunden von dem Orte, wo
Gerard sein Lager aufgeschlagen hatte. Mehre Tage lang hörte man nichts
von dem Löwen, am vierten aber brachten Araber aus einem drei bis vier
Stunden weiter südlich gelegenen Duar die Kunde, daß der Löwe sein Lager
in einem Walde in dortiger Gegend, Tafrent mit Namen, aufgeschlagen, und
ihnen bereits acht Rinder geraubt habe. Dorthin begab sich nun Gerard am
23. Juli Abends in Begleitung eines Herrn von Rotenburg, eines holländi¬
schen Offiziers. Gegen zehn Uhr Abends gab der Löwe das erste Lebenszeichen


Stehenden unerwartet an. Einmal ging es fast Gerard so. Eine Löwin hatte
ihn bemerkt, als ihr Junges grade über ein als Köder hingeworfenes todtes
Pferd herfallen wollte, und war mit ihm scheinbar verschwunden. Aber
unser Löwenjäger ließ sich dadurch nicht irre machen, denn er wußte, welche
Gefahr ihm noch drohte. Er lauschte gespannt und sah sich mit der größten
Aufmerksamkeit nach allen Seiten um. Plötzlich hört er zu seiner Linken und
fast hinter sich ein leises Rascheln, etwa als ob eine Maus durch den Busch
liefe. Als er nach dieser Richtung hin sah, erblickte er zuerst ein Paar dicke
Tatzen, dann einen langen Schnurrbart und endlich eine ungeheure Nase.
Gerard hatte das Gewehr am Backen und den Finger am Drücker und in dem
Augenblicke, wo sich auch das stiere Auge zeigte, schoß er und streckte die Löwin
todt nieder.

Oft steht übrigens der Jäger vergebens auf dem Anstand, denn ein arabisches
Sprichwort sagt: sür einen Löwen gibt es 100 Duars, 100 Wege und
100 Furten; und Gerard selbst hat 600 Nächte unter freiem Himmel in den
besuchtesten Schluchten, an den besten Furten gelauert und doch nur 23 Löwen
erlegt. Begleiten wir ihn wenigstens auf einer dieser Jagden.

Einige Tage nach der Rückkunft der Erpedirionscolonne aus Kabylien,
im Juli 1833, verließ Gerard Konstantine um nach den Auresbergen zu
gehen, wo sicheren Nachrichten zufolge ein alter Löwe hauste. Die benachbarten
Araber hatten 2 bis 300 Mann stark bereits einen Streifzug gegen das
Raubthier unternommen. Er begann mit Sonnenaufgang; Mittags hatten
die Araber bereits 300 Kugeln verschossen und mit Einbruch der Nacht zogen
sie sich mit einem Verlust von einem Todten und sechs Verwundeten zurück,
ohne gegen den Löwen das Mindeste ausgerichtet zu haben. Auf die Nach¬
richt von Gerards Ankunft erschien bei ihm eine Deputation, die ihn um Hilfe
bat, zu welcher er sich sofort bereit erklärte. Er schickte seine Kundschafter aus,
und erfuhr alsbald, daß der Löwe einen großen Ausflug gemacht, die Löwin
sich aber noch in einem benachbarten Walde aufhielt. Er lauerte ihr Abends
auf, und erschoß sie mit der dritten Kugel. Der Löwe streifte nun, seine Ge¬
fährtin suchend weit umher und tödtete dabei in einem Duar ein Maulthier
und zwei Rinder, worauf er sich nach Süden zu auf die höchsten Spitzen des
Gebirgs begab. Die letzte Spur fand man drei Stunden von dem Orte, wo
Gerard sein Lager aufgeschlagen hatte. Mehre Tage lang hörte man nichts
von dem Löwen, am vierten aber brachten Araber aus einem drei bis vier
Stunden weiter südlich gelegenen Duar die Kunde, daß der Löwe sein Lager
in einem Walde in dortiger Gegend, Tafrent mit Namen, aufgeschlagen, und
ihnen bereits acht Rinder geraubt habe. Dorthin begab sich nun Gerard am
23. Juli Abends in Begleitung eines Herrn von Rotenburg, eines holländi¬
schen Offiziers. Gegen zehn Uhr Abends gab der Löwe das erste Lebenszeichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/428>, abgerufen am 23.12.2024.