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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Gefallenen zu holen. Dann zieht man unter lautem Geschrei dem Löwen
das Fell ab und kehrt, nachdem die Maulthiere angekommen sind, nach Hause
zurück. Voran geht derjenige, welcher aus den Löwen den entscheidenden
Schuß abgefeuert hat, mit der blutigen Löwenhaut. Dann folgen die Maul¬
thiere nebeneinander mit den Verwundeten, von denen die leicht Verletzten die
Todten vor sich auf dem Sattel halten, und der zertheilte Löwe wird an
Stangen in der Mitte des Zugs getragen, der im heimathlichen Duar mit
lautem Jubel, aber auch mit Weinen und Jammern von denen empfangen
wird, die aus der Jagd ihre Väter oder Brüder verloren haben.

So ist die Löwenjagd, die Lieutenant Gerard vom dritten Spahiregiment
zu seinem Beruf erwählt hat, nicht weil er Feind des Königs der Thiere ist,
im Gegentheil liebt und bewundert er ihn. "Todten kann man ihn, besiegen
niemals," sagt er selbst. "Jedes Mal wenn ich einen Löwen erlegt habe, zu
dem Todten trete und die Elfenbeinzühne, die ebenhvlzschwarzen Klauen und
die so wohlgebauten Glieder besehe, die es ihm möglich machen in einem
Sprunge einen Raum von 45 Fuß zurückzulegen, schlage ich die Hände über¬
einander, fühle fast Reue und Gewissenspein und frage mich: Hattest du
Zwerg denn auch das Recht dem Riesen das Leben zu nehmen?" Wenn
Gerard die Nqchricht bekam, daß ein Löwe zu schießen sei, so befiel ihn stets
eine Art Fieber und sein sonst so ruhiger Puls fing dann mit doppelter
Schnelligkeit zu schlagen an. Sich zu setzen war ihm unmöglich und alle
Augenblicke fuhr er aus dem Schlafe empor und diese Aufregung dauerte fort,
bis er dem Löwen selbst gegenüberstand, wo die Nothwendigkeit gefaßt zu sein,
das Gefühl der Selbsterhaltung und die Größe der Gefahr seinem Herzen
Ruhe gebot.

"Ich habe dann einen Augenblick des höchsten Genusses," erzählt er.
"Dieser Genuß, so kurze Zeit er auch währt, ist ein goldener Nahmen, der das
Bild meines ganzen Lebens umschließt. Diesen Genuß habe ich, während ich
auf den Löwen ziele, und ich ziele auf ihn, sobald ich ihn sehe. Kommt er
bis auf 15 Schritt heran, so ist er verloren. Seit ich vertrauter mit ihm
geworden bin, lasse ich wol auch ein paar Mal eine gute Gelegenheit zum
Schießen vorübergehen, um den Genuß zu verlängern. Endlich drücke ich
ab und ich bin gerettet, sobald ich mein Fleisch von den Klauen nicht zer¬
rissen, meine Knochen unter den gewaltigen Zähnen nicht knacken fühle."
Das ist die Alternative bei der Löwenjagd: tödtlich treffen oder zerrissen werden
und wen der Reiz solcher Gesahr lockt, wer es müde ist, in langweiliger
Sicherheit auf Hasen, Rehe und Hirsche und höchstens auf ein Wildschwein
zu schießen, der kann nach Algerien gehen und Gerard als Löwenjäger ab¬
lösen, denn er sucht einen Nachfolger. Er klagt, daß seine Beine nicht viel
mehr taugen, die Büchse der Hand schwer werde und das Bergsteigen seiner


Grenzbomi. III. ->8so. Ü3

Gefallenen zu holen. Dann zieht man unter lautem Geschrei dem Löwen
das Fell ab und kehrt, nachdem die Maulthiere angekommen sind, nach Hause
zurück. Voran geht derjenige, welcher aus den Löwen den entscheidenden
Schuß abgefeuert hat, mit der blutigen Löwenhaut. Dann folgen die Maul¬
thiere nebeneinander mit den Verwundeten, von denen die leicht Verletzten die
Todten vor sich auf dem Sattel halten, und der zertheilte Löwe wird an
Stangen in der Mitte des Zugs getragen, der im heimathlichen Duar mit
lautem Jubel, aber auch mit Weinen und Jammern von denen empfangen
wird, die aus der Jagd ihre Väter oder Brüder verloren haben.

So ist die Löwenjagd, die Lieutenant Gerard vom dritten Spahiregiment
zu seinem Beruf erwählt hat, nicht weil er Feind des Königs der Thiere ist,
im Gegentheil liebt und bewundert er ihn. „Todten kann man ihn, besiegen
niemals," sagt er selbst. „Jedes Mal wenn ich einen Löwen erlegt habe, zu
dem Todten trete und die Elfenbeinzühne, die ebenhvlzschwarzen Klauen und
die so wohlgebauten Glieder besehe, die es ihm möglich machen in einem
Sprunge einen Raum von 45 Fuß zurückzulegen, schlage ich die Hände über¬
einander, fühle fast Reue und Gewissenspein und frage mich: Hattest du
Zwerg denn auch das Recht dem Riesen das Leben zu nehmen?" Wenn
Gerard die Nqchricht bekam, daß ein Löwe zu schießen sei, so befiel ihn stets
eine Art Fieber und sein sonst so ruhiger Puls fing dann mit doppelter
Schnelligkeit zu schlagen an. Sich zu setzen war ihm unmöglich und alle
Augenblicke fuhr er aus dem Schlafe empor und diese Aufregung dauerte fort,
bis er dem Löwen selbst gegenüberstand, wo die Nothwendigkeit gefaßt zu sein,
das Gefühl der Selbsterhaltung und die Größe der Gefahr seinem Herzen
Ruhe gebot.

„Ich habe dann einen Augenblick des höchsten Genusses," erzählt er.
„Dieser Genuß, so kurze Zeit er auch währt, ist ein goldener Nahmen, der das
Bild meines ganzen Lebens umschließt. Diesen Genuß habe ich, während ich
auf den Löwen ziele, und ich ziele auf ihn, sobald ich ihn sehe. Kommt er
bis auf 15 Schritt heran, so ist er verloren. Seit ich vertrauter mit ihm
geworden bin, lasse ich wol auch ein paar Mal eine gute Gelegenheit zum
Schießen vorübergehen, um den Genuß zu verlängern. Endlich drücke ich
ab und ich bin gerettet, sobald ich mein Fleisch von den Klauen nicht zer¬
rissen, meine Knochen unter den gewaltigen Zähnen nicht knacken fühle."
Das ist die Alternative bei der Löwenjagd: tödtlich treffen oder zerrissen werden
und wen der Reiz solcher Gesahr lockt, wer es müde ist, in langweiliger
Sicherheit auf Hasen, Rehe und Hirsche und höchstens auf ein Wildschwein
zu schießen, der kann nach Algerien gehen und Gerard als Löwenjäger ab¬
lösen, denn er sucht einen Nachfolger. Er klagt, daß seine Beine nicht viel
mehr taugen, die Büchse der Hand schwer werde und das Bergsteigen seiner


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[0425] Gefallenen zu holen. Dann zieht man unter lautem Geschrei dem Löwen das Fell ab und kehrt, nachdem die Maulthiere angekommen sind, nach Hause zurück. Voran geht derjenige, welcher aus den Löwen den entscheidenden Schuß abgefeuert hat, mit der blutigen Löwenhaut. Dann folgen die Maul¬ thiere nebeneinander mit den Verwundeten, von denen die leicht Verletzten die Todten vor sich auf dem Sattel halten, und der zertheilte Löwe wird an Stangen in der Mitte des Zugs getragen, der im heimathlichen Duar mit lautem Jubel, aber auch mit Weinen und Jammern von denen empfangen wird, die aus der Jagd ihre Väter oder Brüder verloren haben. So ist die Löwenjagd, die Lieutenant Gerard vom dritten Spahiregiment zu seinem Beruf erwählt hat, nicht weil er Feind des Königs der Thiere ist, im Gegentheil liebt und bewundert er ihn. „Todten kann man ihn, besiegen niemals," sagt er selbst. „Jedes Mal wenn ich einen Löwen erlegt habe, zu dem Todten trete und die Elfenbeinzühne, die ebenhvlzschwarzen Klauen und die so wohlgebauten Glieder besehe, die es ihm möglich machen in einem Sprunge einen Raum von 45 Fuß zurückzulegen, schlage ich die Hände über¬ einander, fühle fast Reue und Gewissenspein und frage mich: Hattest du Zwerg denn auch das Recht dem Riesen das Leben zu nehmen?" Wenn Gerard die Nqchricht bekam, daß ein Löwe zu schießen sei, so befiel ihn stets eine Art Fieber und sein sonst so ruhiger Puls fing dann mit doppelter Schnelligkeit zu schlagen an. Sich zu setzen war ihm unmöglich und alle Augenblicke fuhr er aus dem Schlafe empor und diese Aufregung dauerte fort, bis er dem Löwen selbst gegenüberstand, wo die Nothwendigkeit gefaßt zu sein, das Gefühl der Selbsterhaltung und die Größe der Gefahr seinem Herzen Ruhe gebot. „Ich habe dann einen Augenblick des höchsten Genusses," erzählt er. „Dieser Genuß, so kurze Zeit er auch währt, ist ein goldener Nahmen, der das Bild meines ganzen Lebens umschließt. Diesen Genuß habe ich, während ich auf den Löwen ziele, und ich ziele auf ihn, sobald ich ihn sehe. Kommt er bis auf 15 Schritt heran, so ist er verloren. Seit ich vertrauter mit ihm geworden bin, lasse ich wol auch ein paar Mal eine gute Gelegenheit zum Schießen vorübergehen, um den Genuß zu verlängern. Endlich drücke ich ab und ich bin gerettet, sobald ich mein Fleisch von den Klauen nicht zer¬ rissen, meine Knochen unter den gewaltigen Zähnen nicht knacken fühle." Das ist die Alternative bei der Löwenjagd: tödtlich treffen oder zerrissen werden und wen der Reiz solcher Gesahr lockt, wer es müde ist, in langweiliger Sicherheit auf Hasen, Rehe und Hirsche und höchstens auf ein Wildschwein zu schießen, der kann nach Algerien gehen und Gerard als Löwenjäger ab¬ lösen, denn er sucht einen Nachfolger. Er klagt, daß seine Beine nicht viel mehr taugen, die Büchse der Hand schwer werde und das Bergsteigen seiner Grenzbomi. III. ->8so. Ü3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/425>, abgerufen am 22.07.2024.