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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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einem sichern, drei Fuß tiefen, mit Baumstämmen und großen Steinen be¬
deckten und mit vier bis fünf Schießlöchern versehenem Loch schießen die Araber
die Löwen, wobei ein frisch getödtetes Wildschwein als Lockung dient. Offen
dem Löwen entgegenzutreten wagen die Araber nur selten und am ehesten thun
dies noch die Stämme Alet-Meint und Alet-Cessi in der Provinz Konstantine,
die dann gewöhnlich eine Art Kesseltreiben anstellen. In ihrem Gebiete be¬
findet sich der Berg Zerazer, der wenig bewaldet, aber an den Seiten und
auf den Gipfeln mit ungeheuern Felsblöcken bedeckt ist, die Schutz vor allen
Winden gewähren. Deshalb dient er meistens einem Löwen oder einer ganzen
Familie als Winterquartier. Hat sich der unbequeme Gast durch einige glück¬
liche Raubanfälle den Herden bemerklich gemacht, so tritt der ganze Stamm
zu einer Berathung zusammen, um eine Jagd zu verabreden, zu der alle
Waffenfähigen aufgeboten werden. Nachdem das Lager des Löwen ausgekund¬
schaftet ist, macht sich die Schar aus den Weg und nähert sich dem Dickicht,
das dem Thiere zum Versteck dient, in eine Tirailleurlinie aufgelöst, mit ge¬
waltigem Geschrei und vielen Schimpfworten, die ihrer Meinung nach das
stolze Naubthier zum Hervorbrechen reizen. Der Löwe schlief vielleicht vor der
Ankunft der Jäger unter einem dunkeln, dichten Dach von wilden Oliven und
hundertjährigen engverwachsenen Mastirbäumen. "Bei dem ersten Geräusch, das
zu ihm dringt, schlägt er die Augen auf, ohne den Kopf emporzurichten; wenn
das Geräusch vernehmlicher wird, legt er sich auf den Bauch, um zu horchen.
Bei dem ersten Hurrah der Jäger springt er auf, schüttelt die Mähne und ant¬
wortet mit furchtbarem Gebrüll auf das' Geschrei der Unvorsichtigen, die seinen
Schlaf zu stören wagen. Nach dem ersten Schusse, der in dem Walde knallt
nach dem Pfeifen der ersten Kugeln in den Zweigen springt er wüthend aus
seinem Lager heraus, um die Umgegend zu mustern.

Das Schreien, das Schimpfen, das Drohen der Araber dringt bis zu
ihm, er bleibt stehen, um zu horchen und zittert vor Zorn und Ungeduld. Aber
er kriecht nicht hervor, denn er ist ein alter erfahrener Löwe: er weiß sich zu
erinnern, von welchem Kugelregen er früher einmal, als er seinen Zorn nicht
länger bemeistern konnte, empfangen worden. Er geht unruhig um sein Lager
herum und bleibt bald stehen, um zu horchen, bald richtet er sich auf den
Hinterfüßen an einem Baumstamme auf, den er mit den gewaltigen Vorder¬
tatzen umfaßt und mit den Zähnen und Klauen zerreißt als habe er einen
lebendigen Feind vor sich."

Da der Löwe nicht hervorkommt, treten die Jäger zur neuen Berathung
Zusammen, was nun zu thun sei; die muthigeren wollen in das Dickicht dringen,
die vorsichtigeren rathen, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Man ent¬
scheidet sich zuletzt für das erstere und theilt sich, da die Fährten nach zwei
Richtungen gehen, in zwei Haufen. Jeder wirft den Burnus ab, den er an


einem sichern, drei Fuß tiefen, mit Baumstämmen und großen Steinen be¬
deckten und mit vier bis fünf Schießlöchern versehenem Loch schießen die Araber
die Löwen, wobei ein frisch getödtetes Wildschwein als Lockung dient. Offen
dem Löwen entgegenzutreten wagen die Araber nur selten und am ehesten thun
dies noch die Stämme Alet-Meint und Alet-Cessi in der Provinz Konstantine,
die dann gewöhnlich eine Art Kesseltreiben anstellen. In ihrem Gebiete be¬
findet sich der Berg Zerazer, der wenig bewaldet, aber an den Seiten und
auf den Gipfeln mit ungeheuern Felsblöcken bedeckt ist, die Schutz vor allen
Winden gewähren. Deshalb dient er meistens einem Löwen oder einer ganzen
Familie als Winterquartier. Hat sich der unbequeme Gast durch einige glück¬
liche Raubanfälle den Herden bemerklich gemacht, so tritt der ganze Stamm
zu einer Berathung zusammen, um eine Jagd zu verabreden, zu der alle
Waffenfähigen aufgeboten werden. Nachdem das Lager des Löwen ausgekund¬
schaftet ist, macht sich die Schar aus den Weg und nähert sich dem Dickicht,
das dem Thiere zum Versteck dient, in eine Tirailleurlinie aufgelöst, mit ge¬
waltigem Geschrei und vielen Schimpfworten, die ihrer Meinung nach das
stolze Naubthier zum Hervorbrechen reizen. Der Löwe schlief vielleicht vor der
Ankunft der Jäger unter einem dunkeln, dichten Dach von wilden Oliven und
hundertjährigen engverwachsenen Mastirbäumen. „Bei dem ersten Geräusch, das
zu ihm dringt, schlägt er die Augen auf, ohne den Kopf emporzurichten; wenn
das Geräusch vernehmlicher wird, legt er sich auf den Bauch, um zu horchen.
Bei dem ersten Hurrah der Jäger springt er auf, schüttelt die Mähne und ant¬
wortet mit furchtbarem Gebrüll auf das' Geschrei der Unvorsichtigen, die seinen
Schlaf zu stören wagen. Nach dem ersten Schusse, der in dem Walde knallt
nach dem Pfeifen der ersten Kugeln in den Zweigen springt er wüthend aus
seinem Lager heraus, um die Umgegend zu mustern.

Das Schreien, das Schimpfen, das Drohen der Araber dringt bis zu
ihm, er bleibt stehen, um zu horchen und zittert vor Zorn und Ungeduld. Aber
er kriecht nicht hervor, denn er ist ein alter erfahrener Löwe: er weiß sich zu
erinnern, von welchem Kugelregen er früher einmal, als er seinen Zorn nicht
länger bemeistern konnte, empfangen worden. Er geht unruhig um sein Lager
herum und bleibt bald stehen, um zu horchen, bald richtet er sich auf den
Hinterfüßen an einem Baumstamme auf, den er mit den gewaltigen Vorder¬
tatzen umfaßt und mit den Zähnen und Klauen zerreißt als habe er einen
lebendigen Feind vor sich."

Da der Löwe nicht hervorkommt, treten die Jäger zur neuen Berathung
Zusammen, was nun zu thun sei; die muthigeren wollen in das Dickicht dringen,
die vorsichtigeren rathen, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Man ent¬
scheidet sich zuletzt für das erstere und theilt sich, da die Fährten nach zwei
Richtungen gehen, in zwei Haufen. Jeder wirft den Burnus ab, den er an


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[0423] einem sichern, drei Fuß tiefen, mit Baumstämmen und großen Steinen be¬ deckten und mit vier bis fünf Schießlöchern versehenem Loch schießen die Araber die Löwen, wobei ein frisch getödtetes Wildschwein als Lockung dient. Offen dem Löwen entgegenzutreten wagen die Araber nur selten und am ehesten thun dies noch die Stämme Alet-Meint und Alet-Cessi in der Provinz Konstantine, die dann gewöhnlich eine Art Kesseltreiben anstellen. In ihrem Gebiete be¬ findet sich der Berg Zerazer, der wenig bewaldet, aber an den Seiten und auf den Gipfeln mit ungeheuern Felsblöcken bedeckt ist, die Schutz vor allen Winden gewähren. Deshalb dient er meistens einem Löwen oder einer ganzen Familie als Winterquartier. Hat sich der unbequeme Gast durch einige glück¬ liche Raubanfälle den Herden bemerklich gemacht, so tritt der ganze Stamm zu einer Berathung zusammen, um eine Jagd zu verabreden, zu der alle Waffenfähigen aufgeboten werden. Nachdem das Lager des Löwen ausgekund¬ schaftet ist, macht sich die Schar aus den Weg und nähert sich dem Dickicht, das dem Thiere zum Versteck dient, in eine Tirailleurlinie aufgelöst, mit ge¬ waltigem Geschrei und vielen Schimpfworten, die ihrer Meinung nach das stolze Naubthier zum Hervorbrechen reizen. Der Löwe schlief vielleicht vor der Ankunft der Jäger unter einem dunkeln, dichten Dach von wilden Oliven und hundertjährigen engverwachsenen Mastirbäumen. „Bei dem ersten Geräusch, das zu ihm dringt, schlägt er die Augen auf, ohne den Kopf emporzurichten; wenn das Geräusch vernehmlicher wird, legt er sich auf den Bauch, um zu horchen. Bei dem ersten Hurrah der Jäger springt er auf, schüttelt die Mähne und ant¬ wortet mit furchtbarem Gebrüll auf das' Geschrei der Unvorsichtigen, die seinen Schlaf zu stören wagen. Nach dem ersten Schusse, der in dem Walde knallt nach dem Pfeifen der ersten Kugeln in den Zweigen springt er wüthend aus seinem Lager heraus, um die Umgegend zu mustern. Das Schreien, das Schimpfen, das Drohen der Araber dringt bis zu ihm, er bleibt stehen, um zu horchen und zittert vor Zorn und Ungeduld. Aber er kriecht nicht hervor, denn er ist ein alter erfahrener Löwe: er weiß sich zu erinnern, von welchem Kugelregen er früher einmal, als er seinen Zorn nicht länger bemeistern konnte, empfangen worden. Er geht unruhig um sein Lager herum und bleibt bald stehen, um zu horchen, bald richtet er sich auf den Hinterfüßen an einem Baumstamme auf, den er mit den gewaltigen Vorder¬ tatzen umfaßt und mit den Zähnen und Klauen zerreißt als habe er einen lebendigen Feind vor sich." Da der Löwe nicht hervorkommt, treten die Jäger zur neuen Berathung Zusammen, was nun zu thun sei; die muthigeren wollen in das Dickicht dringen, die vorsichtigeren rathen, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Man ent¬ scheidet sich zuletzt für das erstere und theilt sich, da die Fährten nach zwei Richtungen gehen, in zwei Haufen. Jeder wirft den Burnus ab, den er an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/423>, abgerufen am 22.07.2024.