Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Reichsstände dem russischen Zaren sich zu Füßen. Bereits seit dem
Teschener Frieden hatte die russische Politik ihre Freundschaft für Deutschland
mit verdächtiger Zudringlichkeit geltend gemacht und sich im Süden und Westen
eine Clientel groß zu ziehen gesucht. An diese russische Intervention appel-
lirten jetzt der rheinische und schwäbische Kreis; ihre Wohlfahrt bestrebten sie
sich derselben "devotest anzuempfehlen." Das Reich und die Nation konnten
zu Grunde gehen, wenn nur die kleinen Fürsten, sei es auch durch Protection
des Auslandes, ihre Existenz erhielten. Die norddeutschen Fürsten dagegen
empfanden ein gewisses schadenfrohes Behagen, durch den Abfall von der ge¬
meinsamen Sache von den Plünderungen, die Süddeutschland heimsuchten,
befreit zu sein, der gemeinschaftlichen Gefahr auf jedem Wege zu entrinnen;
wenn Theilnahme nicht mehr abgelehnt werden konnte, sich auf die dürftigste
und unwirksamste beschränken und sobald nur ein Ausgang sich zeigte!, auf
jede Bedingung den Schauplatz verlassen: das war die Summe aller Staats¬
klugheit. Die Politik von Basel, die Demarcationslinie, die Sonderbündnisse
von 1796, das Streben nach französischer oder russischer Protection, alles dieses
Zeugte von dem Verfall und der Auflösung des deutschen Reichs. Oestreich und
Preußen, die mittleren und kleineren Reichsstcmde, alle theilten sich gleichmäßig
in die Schuld, keiner hatte Grund, dem andern Vorwürfe zu machen. Oestreich
freilich wollte der Welt glauben macheu, sein Kaiser sei bis zuletzt der Pflicht
gegen Deutschland unverbrüchlich nachgekommen, es ließ in den Vertrag von
Leoben die nichtssagende Frage von der "Integrität des Reichs" aufnehmen,
während es doch den Franzosen die Nheingrenze zugesagt hatte. Bonaparte
würdigte vollkommen die Misere der deutschen Reichszustände, indem er schrieb:
"Wenn der deutsche Reichskörper nicht eristirte, so müßte man ihn ausdrück¬
lich zu unserm Nutzen erschaffen."

Nach den Präliminarien von Leoben begannen zwischen Oestreich und
Frankreich die Friedensconferenzen auf dem lombardischen Schlosse Montebello.
Bonaparte verlangte die Rheingrenze für Frankreich; er bot Oestreich Venedig,
Salzburg und Passau. Preußen sollte eine Entschädigung, aber keine Ver¬
größerung erhalten. Die preußische Politik war damals so zerfahren, daß
selbst ein Mann wie Hardenberg Preußen glücklich pries, "gegenüber den
Schwankungen der Zeit in der festen Position des baseler Friedens dazustehen."
Preußen sollte seine militärische Macht uno seine finanzielle Ordnung erhalten,
um gleichsanr zuwartend und in eingebildeter Selbstständigkeit zwischen den strei¬
tenden Parteien zu stehen. Für einen Staat, dessen ganze Geschichte und
Ueberlieferung auf rascher, kühner Action beruhte, war dies die furchtsamste
und zugleich die gefahrvollste Taktik. Am wenigsten konnte eine solche Taktik
einem Mann gegenüber, wie Bonaparte war, verfangen. Er wußte es Preu¬
ßen wenig Dank, daß es auf sein Begehren dienstwillig den Grundsatz der


Grenzboten. III. 18so. 62

Reichsstände dem russischen Zaren sich zu Füßen. Bereits seit dem
Teschener Frieden hatte die russische Politik ihre Freundschaft für Deutschland
mit verdächtiger Zudringlichkeit geltend gemacht und sich im Süden und Westen
eine Clientel groß zu ziehen gesucht. An diese russische Intervention appel-
lirten jetzt der rheinische und schwäbische Kreis; ihre Wohlfahrt bestrebten sie
sich derselben „devotest anzuempfehlen." Das Reich und die Nation konnten
zu Grunde gehen, wenn nur die kleinen Fürsten, sei es auch durch Protection
des Auslandes, ihre Existenz erhielten. Die norddeutschen Fürsten dagegen
empfanden ein gewisses schadenfrohes Behagen, durch den Abfall von der ge¬
meinsamen Sache von den Plünderungen, die Süddeutschland heimsuchten,
befreit zu sein, der gemeinschaftlichen Gefahr auf jedem Wege zu entrinnen;
wenn Theilnahme nicht mehr abgelehnt werden konnte, sich auf die dürftigste
und unwirksamste beschränken und sobald nur ein Ausgang sich zeigte!, auf
jede Bedingung den Schauplatz verlassen: das war die Summe aller Staats¬
klugheit. Die Politik von Basel, die Demarcationslinie, die Sonderbündnisse
von 1796, das Streben nach französischer oder russischer Protection, alles dieses
Zeugte von dem Verfall und der Auflösung des deutschen Reichs. Oestreich und
Preußen, die mittleren und kleineren Reichsstcmde, alle theilten sich gleichmäßig
in die Schuld, keiner hatte Grund, dem andern Vorwürfe zu machen. Oestreich
freilich wollte der Welt glauben macheu, sein Kaiser sei bis zuletzt der Pflicht
gegen Deutschland unverbrüchlich nachgekommen, es ließ in den Vertrag von
Leoben die nichtssagende Frage von der „Integrität des Reichs" aufnehmen,
während es doch den Franzosen die Nheingrenze zugesagt hatte. Bonaparte
würdigte vollkommen die Misere der deutschen Reichszustände, indem er schrieb:
„Wenn der deutsche Reichskörper nicht eristirte, so müßte man ihn ausdrück¬
lich zu unserm Nutzen erschaffen."

Nach den Präliminarien von Leoben begannen zwischen Oestreich und
Frankreich die Friedensconferenzen auf dem lombardischen Schlosse Montebello.
Bonaparte verlangte die Rheingrenze für Frankreich; er bot Oestreich Venedig,
Salzburg und Passau. Preußen sollte eine Entschädigung, aber keine Ver¬
größerung erhalten. Die preußische Politik war damals so zerfahren, daß
selbst ein Mann wie Hardenberg Preußen glücklich pries, „gegenüber den
Schwankungen der Zeit in der festen Position des baseler Friedens dazustehen."
Preußen sollte seine militärische Macht uno seine finanzielle Ordnung erhalten,
um gleichsanr zuwartend und in eingebildeter Selbstständigkeit zwischen den strei¬
tenden Parteien zu stehen. Für einen Staat, dessen ganze Geschichte und
Ueberlieferung auf rascher, kühner Action beruhte, war dies die furchtsamste
und zugleich die gefahrvollste Taktik. Am wenigsten konnte eine solche Taktik
einem Mann gegenüber, wie Bonaparte war, verfangen. Er wußte es Preu¬
ßen wenig Dank, daß es auf sein Begehren dienstwillig den Grundsatz der


Grenzboten. III. 18so. 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100337"/>
            <p xml:id="ID_1199" prev="#ID_1198"> Reichsstände dem russischen Zaren sich zu Füßen.  Bereits seit dem<lb/>
Teschener Frieden hatte die russische Politik ihre Freundschaft für Deutschland<lb/>
mit verdächtiger Zudringlichkeit geltend gemacht und sich im Süden und Westen<lb/>
eine Clientel groß zu ziehen gesucht.  An diese russische Intervention appel-<lb/>
lirten jetzt der rheinische und schwäbische Kreis; ihre Wohlfahrt bestrebten sie<lb/>
sich derselben &#x201E;devotest anzuempfehlen."  Das Reich und die Nation konnten<lb/>
zu Grunde gehen, wenn nur die kleinen Fürsten, sei es auch durch Protection<lb/>
des Auslandes, ihre Existenz erhielten.  Die norddeutschen Fürsten dagegen<lb/>
empfanden ein gewisses schadenfrohes Behagen, durch den Abfall von der ge¬<lb/>
meinsamen Sache von den Plünderungen, die Süddeutschland heimsuchten,<lb/>
befreit zu sein, der gemeinschaftlichen Gefahr auf jedem Wege zu entrinnen;<lb/>
wenn Theilnahme nicht mehr abgelehnt werden konnte, sich auf die dürftigste<lb/>
und unwirksamste beschränken und sobald nur ein Ausgang sich zeigte!, auf<lb/>
jede Bedingung den Schauplatz verlassen: das war die Summe aller Staats¬<lb/>
klugheit.  Die Politik von Basel, die Demarcationslinie, die Sonderbündnisse<lb/>
von 1796, das Streben nach französischer oder russischer Protection, alles dieses<lb/>
Zeugte von dem Verfall und der Auflösung des deutschen Reichs. Oestreich und<lb/>
Preußen, die mittleren und kleineren Reichsstcmde, alle theilten sich gleichmäßig<lb/>
in die Schuld, keiner hatte Grund, dem andern Vorwürfe zu machen. Oestreich<lb/>
freilich wollte der Welt glauben macheu, sein Kaiser sei bis zuletzt der Pflicht<lb/>
gegen Deutschland unverbrüchlich nachgekommen, es ließ in den Vertrag von<lb/>
Leoben die nichtssagende Frage von der &#x201E;Integrität des Reichs" aufnehmen,<lb/>
während es doch den Franzosen die Nheingrenze zugesagt hatte. Bonaparte<lb/>
würdigte vollkommen die Misere der deutschen Reichszustände, indem er schrieb:<lb/>
&#x201E;Wenn der deutsche Reichskörper nicht eristirte, so müßte man ihn ausdrück¬<lb/>
lich zu unserm Nutzen erschaffen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1200" next="#ID_1201"> Nach den Präliminarien von Leoben begannen zwischen Oestreich und<lb/>
Frankreich die Friedensconferenzen auf dem lombardischen Schlosse Montebello.<lb/>
Bonaparte verlangte die Rheingrenze für Frankreich; er bot Oestreich Venedig,<lb/>
Salzburg und Passau. Preußen sollte eine Entschädigung, aber keine Ver¬<lb/>
größerung erhalten. Die preußische Politik war damals so zerfahren, daß<lb/>
selbst ein Mann wie Hardenberg Preußen glücklich pries, &#x201E;gegenüber den<lb/>
Schwankungen der Zeit in der festen Position des baseler Friedens dazustehen."<lb/>
Preußen sollte seine militärische Macht uno seine finanzielle Ordnung erhalten,<lb/>
um gleichsanr zuwartend und in eingebildeter Selbstständigkeit zwischen den strei¬<lb/>
tenden Parteien zu stehen. Für einen Staat, dessen ganze Geschichte und<lb/>
Ueberlieferung auf rascher, kühner Action beruhte, war dies die furchtsamste<lb/>
und zugleich die gefahrvollste Taktik. Am wenigsten konnte eine solche Taktik<lb/>
einem Mann gegenüber, wie Bonaparte war, verfangen. Er wußte es Preu¬<lb/>
ßen wenig Dank, daß es auf sein Begehren dienstwillig den Grundsatz der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18so. 62</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] Reichsstände dem russischen Zaren sich zu Füßen. Bereits seit dem Teschener Frieden hatte die russische Politik ihre Freundschaft für Deutschland mit verdächtiger Zudringlichkeit geltend gemacht und sich im Süden und Westen eine Clientel groß zu ziehen gesucht. An diese russische Intervention appel- lirten jetzt der rheinische und schwäbische Kreis; ihre Wohlfahrt bestrebten sie sich derselben „devotest anzuempfehlen." Das Reich und die Nation konnten zu Grunde gehen, wenn nur die kleinen Fürsten, sei es auch durch Protection des Auslandes, ihre Existenz erhielten. Die norddeutschen Fürsten dagegen empfanden ein gewisses schadenfrohes Behagen, durch den Abfall von der ge¬ meinsamen Sache von den Plünderungen, die Süddeutschland heimsuchten, befreit zu sein, der gemeinschaftlichen Gefahr auf jedem Wege zu entrinnen; wenn Theilnahme nicht mehr abgelehnt werden konnte, sich auf die dürftigste und unwirksamste beschränken und sobald nur ein Ausgang sich zeigte!, auf jede Bedingung den Schauplatz verlassen: das war die Summe aller Staats¬ klugheit. Die Politik von Basel, die Demarcationslinie, die Sonderbündnisse von 1796, das Streben nach französischer oder russischer Protection, alles dieses Zeugte von dem Verfall und der Auflösung des deutschen Reichs. Oestreich und Preußen, die mittleren und kleineren Reichsstcmde, alle theilten sich gleichmäßig in die Schuld, keiner hatte Grund, dem andern Vorwürfe zu machen. Oestreich freilich wollte der Welt glauben macheu, sein Kaiser sei bis zuletzt der Pflicht gegen Deutschland unverbrüchlich nachgekommen, es ließ in den Vertrag von Leoben die nichtssagende Frage von der „Integrität des Reichs" aufnehmen, während es doch den Franzosen die Nheingrenze zugesagt hatte. Bonaparte würdigte vollkommen die Misere der deutschen Reichszustände, indem er schrieb: „Wenn der deutsche Reichskörper nicht eristirte, so müßte man ihn ausdrück¬ lich zu unserm Nutzen erschaffen." Nach den Präliminarien von Leoben begannen zwischen Oestreich und Frankreich die Friedensconferenzen auf dem lombardischen Schlosse Montebello. Bonaparte verlangte die Rheingrenze für Frankreich; er bot Oestreich Venedig, Salzburg und Passau. Preußen sollte eine Entschädigung, aber keine Ver¬ größerung erhalten. Die preußische Politik war damals so zerfahren, daß selbst ein Mann wie Hardenberg Preußen glücklich pries, „gegenüber den Schwankungen der Zeit in der festen Position des baseler Friedens dazustehen." Preußen sollte seine militärische Macht uno seine finanzielle Ordnung erhalten, um gleichsanr zuwartend und in eingebildeter Selbstständigkeit zwischen den strei¬ tenden Parteien zu stehen. Für einen Staat, dessen ganze Geschichte und Ueberlieferung auf rascher, kühner Action beruhte, war dies die furchtsamste und zugleich die gefahrvollste Taktik. Am wenigsten konnte eine solche Taktik einem Mann gegenüber, wie Bonaparte war, verfangen. Er wußte es Preu¬ ßen wenig Dank, daß es auf sein Begehren dienstwillig den Grundsatz der Grenzboten. III. 18so. 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/417>, abgerufen am 23.12.2024.