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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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eher je besser zu erhalten." Im August wurde eine Friedensdeputation er¬
nannt. Aber der Gang der Ereignisse trug das bedächtige Friedenswerk im
regensburger NeichstagSsacile bald zu Grabe.

Frankreich blieb bei dem baselcr Frieden nicht stehen, es verlangte mit
zudringlicher Hast ein engeres Bündnis) mit Preußen. Es verlangte die
Rheingrenze, welche Oestreich unter keiner Bedingung zugestehen wollte. Den
deutschen Reichsständen aber erschien als die natürliche Politik: nette sich wer
kann! Das sprach der Herzog von Braunschweig unverholen aus. Die
östreichische Diplomatie dagegen schlug den Ton eines wahrhaft revolutionären
Patriotismus an. Einer ihrer Publicisten schrieb: "Auf, Deutsche, zu unsrem
Kaiser! Laßt uns ihn beschwören, daß er uns ein Unterhaus gibt, wo der
Eigenthümer und Stadtbürger sich selbst repräsentiren kann, und dann wollen
wir sehen, wo Deutschlands Ehre und Ansehen besser verfochten werden, im
Unterhause deutscher Bürger oder im Oberhause deutscher Reichs-
fürsten?" Das landesfürstliche Lager verglich diesen kaiserlichen Publicisten
mit den japanischen Rednern des Palais Royal und rechnete Oestreich das
ganze Sündenregister seiner Hauspolitik vor, die Deutschland in der Stunde
der Gefahr Preis gab. In der That hatte kein Theil dem andern viel vorzu¬
werfen. Oestreich trachtete nur darnach, sich durch den Erwerb von Baiern zu
arrondiren. Die Entzweiung Oestreichs und Preußens nahm darüber immer
mehr zu: Oestreich suchte eine Stütze an Rußland, Preußen bemühte sich an
Frankreich und an den einzelnen Reichsfürsten ein" Gegengewicht zu gewinnen.
Das Reich ging nach allen Richtungen auseinander: Oestreich, durch britische
Subsidien gewonnen und von Frankreich in seinen Absichten auf Baiern nicht
unterstützt, wirkte dem Reichsfrieden entgegen: Preußen stand im Separat¬
frieden mit Frankreich; die kleineren Reichsstände hatten entweder schon ihren
Frieden mit Frankreich gemacht oder standen im Begriff, dem Beispiel der
Mächtigeren zu folgen.

Dieser Zerrüttung und Zwietracht gegenüber verfolgte Frankreich sein
System der "natürlichen Grenzen". Die französische Armee überschritt den
Rhein, besetzte mit Verletzung der Demarcationslinie den Ort Eikelskamp bei
Duisburg, und nöthigte Düsseldorf zu capituliren. Der östreichische General
Clcrfait eroberte wieder die Linien, welche vor dem Mißgeschick von -1793
von den Preußen besetzt waren. Kraft des am -I. Januar 1796 geschlossenen
Waffenstillstandes hielten die Oestreicher das rechte Rheinufer von Basel bis
zur Sieg besetzt; links' vom Rhein ging ihre Grenze von Speier bis zum
Hundsrück und der Nahe hin und berührte bei Oberdiebach den Rhein. Aber
trotz dieses glücklichen Feldzuges mußte Clerfait seinen Abschied nehmen, weil
er eine eigne Meinung und einen eignen Willen zeigte, weil er die Bedürfnisse


eher je besser zu erhalten." Im August wurde eine Friedensdeputation er¬
nannt. Aber der Gang der Ereignisse trug das bedächtige Friedenswerk im
regensburger NeichstagSsacile bald zu Grabe.

Frankreich blieb bei dem baselcr Frieden nicht stehen, es verlangte mit
zudringlicher Hast ein engeres Bündnis) mit Preußen. Es verlangte die
Rheingrenze, welche Oestreich unter keiner Bedingung zugestehen wollte. Den
deutschen Reichsständen aber erschien als die natürliche Politik: nette sich wer
kann! Das sprach der Herzog von Braunschweig unverholen aus. Die
östreichische Diplomatie dagegen schlug den Ton eines wahrhaft revolutionären
Patriotismus an. Einer ihrer Publicisten schrieb: „Auf, Deutsche, zu unsrem
Kaiser! Laßt uns ihn beschwören, daß er uns ein Unterhaus gibt, wo der
Eigenthümer und Stadtbürger sich selbst repräsentiren kann, und dann wollen
wir sehen, wo Deutschlands Ehre und Ansehen besser verfochten werden, im
Unterhause deutscher Bürger oder im Oberhause deutscher Reichs-
fürsten?" Das landesfürstliche Lager verglich diesen kaiserlichen Publicisten
mit den japanischen Rednern des Palais Royal und rechnete Oestreich das
ganze Sündenregister seiner Hauspolitik vor, die Deutschland in der Stunde
der Gefahr Preis gab. In der That hatte kein Theil dem andern viel vorzu¬
werfen. Oestreich trachtete nur darnach, sich durch den Erwerb von Baiern zu
arrondiren. Die Entzweiung Oestreichs und Preußens nahm darüber immer
mehr zu: Oestreich suchte eine Stütze an Rußland, Preußen bemühte sich an
Frankreich und an den einzelnen Reichsfürsten ein" Gegengewicht zu gewinnen.
Das Reich ging nach allen Richtungen auseinander: Oestreich, durch britische
Subsidien gewonnen und von Frankreich in seinen Absichten auf Baiern nicht
unterstützt, wirkte dem Reichsfrieden entgegen: Preußen stand im Separat¬
frieden mit Frankreich; die kleineren Reichsstände hatten entweder schon ihren
Frieden mit Frankreich gemacht oder standen im Begriff, dem Beispiel der
Mächtigeren zu folgen.

Dieser Zerrüttung und Zwietracht gegenüber verfolgte Frankreich sein
System der „natürlichen Grenzen". Die französische Armee überschritt den
Rhein, besetzte mit Verletzung der Demarcationslinie den Ort Eikelskamp bei
Duisburg, und nöthigte Düsseldorf zu capituliren. Der östreichische General
Clcrfait eroberte wieder die Linien, welche vor dem Mißgeschick von -1793
von den Preußen besetzt waren. Kraft des am -I. Januar 1796 geschlossenen
Waffenstillstandes hielten die Oestreicher das rechte Rheinufer von Basel bis
zur Sieg besetzt; links' vom Rhein ging ihre Grenze von Speier bis zum
Hundsrück und der Nahe hin und berührte bei Oberdiebach den Rhein. Aber
trotz dieses glücklichen Feldzuges mußte Clerfait seinen Abschied nehmen, weil
er eine eigne Meinung und einen eignen Willen zeigte, weil er die Bedürfnisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/414>, abgerufen am 22.07.2024.