Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren kleinlichen, erbärmlichen Neid gegen Deutschland aufgeben. Das scheint
aber keineswegs der Fall zu sein. Sie haben sich nicht einmal bewogen ge¬
funden, Oestreich durch Anerbietung starker Subsidien in seiner bisherigen
Stellung zu erhalten, viel weniger werden sie geneigt sein, in Beziehung auf
die dänische Frage, die einzige, aus der Deutschland reelle Vortheile ziehen
kann, Concessionen zu machen. Wir sind über die geheimen Verhandlungen
nicht unterrichtet, aber die Aeußerungen der englischen Presse sind deutlich ge¬
nug. Wenn Preußen sich dem Kriege gegen Rußland anschließt, so ist das
ein so ungeheures Unternehmen, daß es mit Recht auch große Anforderungen
stellen kann. Solange sich nun England nicht bereit erklärt, auf diese einzu¬
gehen, wird man auch kaum die preußische Regierung zum Kriege drängen
dürfen. Solange Oestreich in Waffen stand, war die Sache anders; aber an
eine neue Bewaffnung Oestreichs wird vor der Hand nicht geglaubt werden
können, und so wird auch Preußen eine günstigere Situation abwarten dürfen,
um für große Opfer auch Großes zu gewinnen.

Mit dieser Erklärung wollen wir keineswegs der bisher befolgten Politik
Recht geben. Hätte Preußen und mit ihm die deutschen Mächte sich im vori¬
gen Jahr dem Decemberbündniß angeschlossen, so hätten wir jetzt entweder den
Frieden, oder der Krieg erhielt eine europäische Ausdehnung und sein Object
wurde nothwendiger Weise die Modifikation des bisherigen Besitzstandes. Jetzt
aber ist die Situation vollkommen unklar, und aus unklare Voraussetzungen
kann keine Partei ihr politisches Programm begründen.

Zudem hat die Opposition in Bezug auf die Politik eine viel wichtigere
Aufgabe. Ihre Stellung muß hier eine durchaus conservative sein, konserva¬
tiv gegen den Drang der kleinen, aber mächtigen Partei, die bisher Schritt
für Schritt mehr Terrain gewonnen hat; und in dieser konservativen Oppo¬
sition, in der alle Nüancen verschwinden, kann sie auf die ungeheure Mehrzahl
des Volks zählen. Es gilt erstens, die Verfassung selbst aufrecht zu halten,
zweitens die strenge Beobachtung derselben zu controliren, endlich drittens die
bürgerliche Gesetzgebung, welche die altpreußischen Principien der Stcin-
Hardenbergschen Zeit gänzlich zu verlassen droht, wieder auf den richtigen
Weg zu lenken. Nach allen drei Richtungen hin wird die Kammer in der
nächstfolgenden Periode einen schweren Kampf zu bestehen haben; einen Kampf,
in dem sie nicht unbedingt dem Ministerium gegenübersteht. Man erinnere
sich, daß vor wenig Jahren Herr von Manteuffel öffentlich erklärte, das
demokratische Princip, das man mit seinen Verirrungen keineswegs identificiren
dürfe, habe in den Bedürfnissen und der Geschichte Preußens seine volle Be¬
rechtigung. In der That ist die preußische Gesetzgebung seit 40 Jahren eine
vorherrschend bürgerliche gewesen, und das feudalistische Princip, das man an
die Stelle derselben zu setzen sucht, ist eine Neuerung. Die Opposition gegen


öl '

ihren kleinlichen, erbärmlichen Neid gegen Deutschland aufgeben. Das scheint
aber keineswegs der Fall zu sein. Sie haben sich nicht einmal bewogen ge¬
funden, Oestreich durch Anerbietung starker Subsidien in seiner bisherigen
Stellung zu erhalten, viel weniger werden sie geneigt sein, in Beziehung auf
die dänische Frage, die einzige, aus der Deutschland reelle Vortheile ziehen
kann, Concessionen zu machen. Wir sind über die geheimen Verhandlungen
nicht unterrichtet, aber die Aeußerungen der englischen Presse sind deutlich ge¬
nug. Wenn Preußen sich dem Kriege gegen Rußland anschließt, so ist das
ein so ungeheures Unternehmen, daß es mit Recht auch große Anforderungen
stellen kann. Solange sich nun England nicht bereit erklärt, auf diese einzu¬
gehen, wird man auch kaum die preußische Regierung zum Kriege drängen
dürfen. Solange Oestreich in Waffen stand, war die Sache anders; aber an
eine neue Bewaffnung Oestreichs wird vor der Hand nicht geglaubt werden
können, und so wird auch Preußen eine günstigere Situation abwarten dürfen,
um für große Opfer auch Großes zu gewinnen.

Mit dieser Erklärung wollen wir keineswegs der bisher befolgten Politik
Recht geben. Hätte Preußen und mit ihm die deutschen Mächte sich im vori¬
gen Jahr dem Decemberbündniß angeschlossen, so hätten wir jetzt entweder den
Frieden, oder der Krieg erhielt eine europäische Ausdehnung und sein Object
wurde nothwendiger Weise die Modifikation des bisherigen Besitzstandes. Jetzt
aber ist die Situation vollkommen unklar, und aus unklare Voraussetzungen
kann keine Partei ihr politisches Programm begründen.

Zudem hat die Opposition in Bezug auf die Politik eine viel wichtigere
Aufgabe. Ihre Stellung muß hier eine durchaus conservative sein, konserva¬
tiv gegen den Drang der kleinen, aber mächtigen Partei, die bisher Schritt
für Schritt mehr Terrain gewonnen hat; und in dieser konservativen Oppo¬
sition, in der alle Nüancen verschwinden, kann sie auf die ungeheure Mehrzahl
des Volks zählen. Es gilt erstens, die Verfassung selbst aufrecht zu halten,
zweitens die strenge Beobachtung derselben zu controliren, endlich drittens die
bürgerliche Gesetzgebung, welche die altpreußischen Principien der Stcin-
Hardenbergschen Zeit gänzlich zu verlassen droht, wieder auf den richtigen
Weg zu lenken. Nach allen drei Richtungen hin wird die Kammer in der
nächstfolgenden Periode einen schweren Kampf zu bestehen haben; einen Kampf,
in dem sie nicht unbedingt dem Ministerium gegenübersteht. Man erinnere
sich, daß vor wenig Jahren Herr von Manteuffel öffentlich erklärte, das
demokratische Princip, das man mit seinen Verirrungen keineswegs identificiren
dürfe, habe in den Bedürfnissen und der Geschichte Preußens seine volle Be¬
rechtigung. In der That ist die preußische Gesetzgebung seit 40 Jahren eine
vorherrschend bürgerliche gewesen, und das feudalistische Princip, das man an
die Stelle derselben zu setzen sucht, ist eine Neuerung. Die Opposition gegen


öl '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100331"/>
          <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178"> ihren kleinlichen, erbärmlichen Neid gegen Deutschland aufgeben. Das scheint<lb/>
aber keineswegs der Fall zu sein. Sie haben sich nicht einmal bewogen ge¬<lb/>
funden, Oestreich durch Anerbietung starker Subsidien in seiner bisherigen<lb/>
Stellung zu erhalten, viel weniger werden sie geneigt sein, in Beziehung auf<lb/>
die dänische Frage, die einzige, aus der Deutschland reelle Vortheile ziehen<lb/>
kann, Concessionen zu machen. Wir sind über die geheimen Verhandlungen<lb/>
nicht unterrichtet, aber die Aeußerungen der englischen Presse sind deutlich ge¬<lb/>
nug. Wenn Preußen sich dem Kriege gegen Rußland anschließt, so ist das<lb/>
ein so ungeheures Unternehmen, daß es mit Recht auch große Anforderungen<lb/>
stellen kann. Solange sich nun England nicht bereit erklärt, auf diese einzu¬<lb/>
gehen, wird man auch kaum die preußische Regierung zum Kriege drängen<lb/>
dürfen. Solange Oestreich in Waffen stand, war die Sache anders; aber an<lb/>
eine neue Bewaffnung Oestreichs wird vor der Hand nicht geglaubt werden<lb/>
können, und so wird auch Preußen eine günstigere Situation abwarten dürfen,<lb/>
um für große Opfer auch Großes zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180"> Mit dieser Erklärung wollen wir keineswegs der bisher befolgten Politik<lb/>
Recht geben. Hätte Preußen und mit ihm die deutschen Mächte sich im vori¬<lb/>
gen Jahr dem Decemberbündniß angeschlossen, so hätten wir jetzt entweder den<lb/>
Frieden, oder der Krieg erhielt eine europäische Ausdehnung und sein Object<lb/>
wurde nothwendiger Weise die Modifikation des bisherigen Besitzstandes. Jetzt<lb/>
aber ist die Situation vollkommen unklar, und aus unklare Voraussetzungen<lb/>
kann keine Partei ihr politisches Programm begründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181" next="#ID_1182"> Zudem hat die Opposition in Bezug auf die Politik eine viel wichtigere<lb/>
Aufgabe. Ihre Stellung muß hier eine durchaus conservative sein, konserva¬<lb/>
tiv gegen den Drang der kleinen, aber mächtigen Partei, die bisher Schritt<lb/>
für Schritt mehr Terrain gewonnen hat; und in dieser konservativen Oppo¬<lb/>
sition, in der alle Nüancen verschwinden, kann sie auf die ungeheure Mehrzahl<lb/>
des Volks zählen. Es gilt erstens, die Verfassung selbst aufrecht zu halten,<lb/>
zweitens die strenge Beobachtung derselben zu controliren, endlich drittens die<lb/>
bürgerliche Gesetzgebung, welche die altpreußischen Principien der Stcin-<lb/>
Hardenbergschen Zeit gänzlich zu verlassen droht, wieder auf den richtigen<lb/>
Weg zu lenken. Nach allen drei Richtungen hin wird die Kammer in der<lb/>
nächstfolgenden Periode einen schweren Kampf zu bestehen haben; einen Kampf,<lb/>
in dem sie nicht unbedingt dem Ministerium gegenübersteht. Man erinnere<lb/>
sich, daß vor wenig Jahren Herr von Manteuffel öffentlich erklärte, das<lb/>
demokratische Princip, das man mit seinen Verirrungen keineswegs identificiren<lb/>
dürfe, habe in den Bedürfnissen und der Geschichte Preußens seine volle Be¬<lb/>
rechtigung. In der That ist die preußische Gesetzgebung seit 40 Jahren eine<lb/>
vorherrschend bürgerliche gewesen, und das feudalistische Princip, das man an<lb/>
die Stelle derselben zu setzen sucht, ist eine Neuerung.  Die Opposition gegen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> öl '</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] ihren kleinlichen, erbärmlichen Neid gegen Deutschland aufgeben. Das scheint aber keineswegs der Fall zu sein. Sie haben sich nicht einmal bewogen ge¬ funden, Oestreich durch Anerbietung starker Subsidien in seiner bisherigen Stellung zu erhalten, viel weniger werden sie geneigt sein, in Beziehung auf die dänische Frage, die einzige, aus der Deutschland reelle Vortheile ziehen kann, Concessionen zu machen. Wir sind über die geheimen Verhandlungen nicht unterrichtet, aber die Aeußerungen der englischen Presse sind deutlich ge¬ nug. Wenn Preußen sich dem Kriege gegen Rußland anschließt, so ist das ein so ungeheures Unternehmen, daß es mit Recht auch große Anforderungen stellen kann. Solange sich nun England nicht bereit erklärt, auf diese einzu¬ gehen, wird man auch kaum die preußische Regierung zum Kriege drängen dürfen. Solange Oestreich in Waffen stand, war die Sache anders; aber an eine neue Bewaffnung Oestreichs wird vor der Hand nicht geglaubt werden können, und so wird auch Preußen eine günstigere Situation abwarten dürfen, um für große Opfer auch Großes zu gewinnen. Mit dieser Erklärung wollen wir keineswegs der bisher befolgten Politik Recht geben. Hätte Preußen und mit ihm die deutschen Mächte sich im vori¬ gen Jahr dem Decemberbündniß angeschlossen, so hätten wir jetzt entweder den Frieden, oder der Krieg erhielt eine europäische Ausdehnung und sein Object wurde nothwendiger Weise die Modifikation des bisherigen Besitzstandes. Jetzt aber ist die Situation vollkommen unklar, und aus unklare Voraussetzungen kann keine Partei ihr politisches Programm begründen. Zudem hat die Opposition in Bezug auf die Politik eine viel wichtigere Aufgabe. Ihre Stellung muß hier eine durchaus conservative sein, konserva¬ tiv gegen den Drang der kleinen, aber mächtigen Partei, die bisher Schritt für Schritt mehr Terrain gewonnen hat; und in dieser konservativen Oppo¬ sition, in der alle Nüancen verschwinden, kann sie auf die ungeheure Mehrzahl des Volks zählen. Es gilt erstens, die Verfassung selbst aufrecht zu halten, zweitens die strenge Beobachtung derselben zu controliren, endlich drittens die bürgerliche Gesetzgebung, welche die altpreußischen Principien der Stcin- Hardenbergschen Zeit gänzlich zu verlassen droht, wieder auf den richtigen Weg zu lenken. Nach allen drei Richtungen hin wird die Kammer in der nächstfolgenden Periode einen schweren Kampf zu bestehen haben; einen Kampf, in dem sie nicht unbedingt dem Ministerium gegenübersteht. Man erinnere sich, daß vor wenig Jahren Herr von Manteuffel öffentlich erklärte, das demokratische Princip, das man mit seinen Verirrungen keineswegs identificiren dürfe, habe in den Bedürfnissen und der Geschichte Preußens seine volle Be¬ rechtigung. In der That ist die preußische Gesetzgebung seit 40 Jahren eine vorherrschend bürgerliche gewesen, und das feudalistische Princip, das man an die Stelle derselben zu setzen sucht, ist eine Neuerung. Die Opposition gegen öl '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/411>, abgerufen am 22.07.2024.