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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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wältigend ist das Bewußtsein der Größe des Moments, daß mau sich wo
auch sagen mußte: bestünde er sie auch nicht, so bliebe doch noch genug übrig,
um auch dann die Bedeutendheit des Mannes als eine ungewöhnliche bestehen
zu lassen. Wie auch die Frage der Zukunft beantwortet werden mag, für die
Gegenwart ist der Umstand bezeichnend genug, daß nicht blos ganz England
vom letzten Straßenjungen bis zum Prinzen Albert, nein, ganz Europa in
einem Augenblicke, wo die Zeit zur That drängte und die Dinge zur Entschei¬
dung gereist schienen, mit Spannung auf den einen Mann blickte, in dem
Anlage, Bildung, staarsmännische Uebung und Erfolge den gebornen Staats¬
mann erkennen lassen. Wohl oder übel, mit Mißtrauen oder Bewunderung,
mußten doch alle sich gestehen, daß Lord Palmerston, dieser Brite vom Scheitel
bis zur Zehe, gehörte er in diesem Augenblicke einem andern Lande an, das
seine Stimme und sein nationales Gewicht in die schwankende Wagschale zu
werfen hätte, nicht weniger an die Spitze aller staatlichen Thätigkeit würde
gerufen worden sein, als es in England geschehen. Welche Bedenklichkeiten
auch der Erhebung des greisen Staatsmannes entgegengestanden, man kam
wie durch das Gebot einer unabweisbaren Nothwendigkeit auf Umwegen nur
wieder zu ihm zurück. Selbst die Abneigung der Königin mußte dem Drange
der Verhältnisse weichen. Man sagt, ihr sei der Mann "lcMvus" > was wir
nur ungenügend mit "lästig, langweilig" wiedergeben können. Wirklich soll
der Mann, in dem die fashionable Welt ein Muster aristokratischer Vollkom¬
menheit erblickt, das sie durch seinen feinen Takt entzückt, seiner Herrscherin
gegenüber eine staaismännisch trockene, pedantische, förmliche Seite heraus¬
kehren. Vielleicht daß er hier am meisten für seine Selbstständigkeit auf der
Hur sein zu müssen glaubt. Beim eigentlichen Volke ist Lord Palmerston
populär, und zwar, wie wir annehmen möchten, nicht blos wegen des Humors,
der seine Reden würzt und John Bull so sehr behagt; gewiß kennr dieser ge¬
nug vou den grundsätzlichen Ansichten des edlen Lord, um seine Zuneigung
auch auf diese zu gründen. Auch kommt ihm wol dabei eine seltene Verträglichkeit
mit allen Parteien seines Landes zu statten. Dem Unterhausmitgliede imponirt
die Sicherheit des Ministers, der sich, wie man weiß, nicht leicht aus dem
Sattel werfen läßt. Gleichwol würde man sich in der Annahme irren, daß
daS Urtheil der Engländer über diesen Manu, den alle gleichmäßig als den
Retter in und aus einer bedenklichen Krise erkannten, deshalb auch ein gleich¬
förmiges hätte sein müssen. Dies ist und war nicht der Fall.

Unter den Staatsmännern Englands ist Palmerston wol am meisten mit
Eanning zu vergleichen. Auch soll dieser sein Vorbild gewesen sein. Bei
seinem Eintritt ins Parlament ->80ö Tory, leitete er das Kriegsdepartement
unter Tories und Whigs, ward aber Whig und Reformer, als die Whigs
an das Ruder kamen. Vor Eanning hal Palmerston einen großen zufälligen


wältigend ist das Bewußtsein der Größe des Moments, daß mau sich wo
auch sagen mußte: bestünde er sie auch nicht, so bliebe doch noch genug übrig,
um auch dann die Bedeutendheit des Mannes als eine ungewöhnliche bestehen
zu lassen. Wie auch die Frage der Zukunft beantwortet werden mag, für die
Gegenwart ist der Umstand bezeichnend genug, daß nicht blos ganz England
vom letzten Straßenjungen bis zum Prinzen Albert, nein, ganz Europa in
einem Augenblicke, wo die Zeit zur That drängte und die Dinge zur Entschei¬
dung gereist schienen, mit Spannung auf den einen Mann blickte, in dem
Anlage, Bildung, staarsmännische Uebung und Erfolge den gebornen Staats¬
mann erkennen lassen. Wohl oder übel, mit Mißtrauen oder Bewunderung,
mußten doch alle sich gestehen, daß Lord Palmerston, dieser Brite vom Scheitel
bis zur Zehe, gehörte er in diesem Augenblicke einem andern Lande an, das
seine Stimme und sein nationales Gewicht in die schwankende Wagschale zu
werfen hätte, nicht weniger an die Spitze aller staatlichen Thätigkeit würde
gerufen worden sein, als es in England geschehen. Welche Bedenklichkeiten
auch der Erhebung des greisen Staatsmannes entgegengestanden, man kam
wie durch das Gebot einer unabweisbaren Nothwendigkeit auf Umwegen nur
wieder zu ihm zurück. Selbst die Abneigung der Königin mußte dem Drange
der Verhältnisse weichen. Man sagt, ihr sei der Mann „lcMvus" > was wir
nur ungenügend mit „lästig, langweilig" wiedergeben können. Wirklich soll
der Mann, in dem die fashionable Welt ein Muster aristokratischer Vollkom¬
menheit erblickt, das sie durch seinen feinen Takt entzückt, seiner Herrscherin
gegenüber eine staaismännisch trockene, pedantische, förmliche Seite heraus¬
kehren. Vielleicht daß er hier am meisten für seine Selbstständigkeit auf der
Hur sein zu müssen glaubt. Beim eigentlichen Volke ist Lord Palmerston
populär, und zwar, wie wir annehmen möchten, nicht blos wegen des Humors,
der seine Reden würzt und John Bull so sehr behagt; gewiß kennr dieser ge¬
nug vou den grundsätzlichen Ansichten des edlen Lord, um seine Zuneigung
auch auf diese zu gründen. Auch kommt ihm wol dabei eine seltene Verträglichkeit
mit allen Parteien seines Landes zu statten. Dem Unterhausmitgliede imponirt
die Sicherheit des Ministers, der sich, wie man weiß, nicht leicht aus dem
Sattel werfen läßt. Gleichwol würde man sich in der Annahme irren, daß
daS Urtheil der Engländer über diesen Manu, den alle gleichmäßig als den
Retter in und aus einer bedenklichen Krise erkannten, deshalb auch ein gleich¬
förmiges hätte sein müssen. Dies ist und war nicht der Fall.

Unter den Staatsmännern Englands ist Palmerston wol am meisten mit
Eanning zu vergleichen. Auch soll dieser sein Vorbild gewesen sein. Bei
seinem Eintritt ins Parlament ->80ö Tory, leitete er das Kriegsdepartement
unter Tories und Whigs, ward aber Whig und Reformer, als die Whigs
an das Ruder kamen. Vor Eanning hal Palmerston einen großen zufälligen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/40>, abgerufen am 22.07.2024.