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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Glauben oder das Nichtglauben an die unbefleckte Empfängniß zu einer Be¬
hauptung der Ketzerei und Sünde machen würden; -- es blieb nur eine als
fromme Meinung, pia opinic), geltende Lehre, an die man allenfalls auch
nicht glauben konnte, ohne deshalb ein voeniger treuer Anhänger der Kirche
zu sein.

Auch das Concil zu Basel beschäftigte sich mit diesem Gegenstande. Re¬
ferent darüber war Cardinal Johann von Torquemada aus dem Dominicaner-
orden, ein Theolog von großem Ruse (nicht der berüchtigte Großinquisitor).
Es kam aber seinerseits nicht mehr zur Berichterstattung, da er bei den aus¬
gebrochenen Zerwürfnissen dem sich von Basel entfernenden Papste auf das
Concil zu Ferrara folgte. Der Bericht wurde indeß 1Si-7 zu Rom gedruckt
und entscheidet sich gegen die unbefleckte Empfängnis) unter Anführung von
nicht weniger als 100 "Theologen und (kanonischen) Rechtsgelehrten." Das
Concil zu Basel aber, dessen allgemeiner Charakter nach dem Rücktritt des
Papstes und eines Theiles der Väter zweifelhaft geworden, ja nach Cardinal
Lamberti (später Papst Benedict XlV.) nichts mehr als ein "schismatisches
Conciliabulum" war, entschied sür die unbefleckte Empfängniß.

Wer sind nun die historischen Stützen dieses Dogmas? Die Franzisccmer,
Duns Scotus an der Spitze, und besonders die Jesuiten (l5i0 gestiftet),
glaubten und vertheidigten die unbefleckte Empfängniß. Es muß nun aller¬
dings für einen eigenthümlichen, beachtenswerthen Umstand gelten, daß heute
die alten Häretiker Pelagius :c. wenigstens zum Theil Recht bekommen und
die Ansichten deS Kirchenvaters Augustin und sovieler gelehrter und der
Kirche heiliger Männer aus den alten Orden der Benedictiner, Cistercienser,
Dominicaner und Augustiner, eines römischen Cardinals und treuen An¬
hängers des Papstes vor den Behauptungen der späteren Franzisccmer und
des verhältnißmäßig neuen Jesuitenordens zurücktreten sollen! Möglich, daß
grade dies der Angelpunkt der ganzen Frage ist, aber auch ihrer all¬
gemeinen Bedeutsamkeit, und daß jene vollkommen Recht haben, welche hierin
ein gutes Stück jenes "Adlerfluges" erblicken wollen, in dem der Orden Jesu
vielleicht bereits wieder die Well umkreisen zu können glaubt.

Man kann serner gar wohl der vielfach ausgesprochenen Vermuthung
beitreten, daß es sich auf jenem Concilium in Rom (wir wollen es so nennen)
auch um das Entwerfen einer allgemeinen Ordre de bataille gegen die Ge¬
fahren gehandelt habe, von denen sich die "Kirche" in ihren neuaufgelebten
Ansprüchen bedroht zu sehen glaubt; -- also ein geistlicher Kriegsrath. Wer
die bezügliche Allocution des Papstes vergleichen will, kann in dieser Ver¬
muthung nur bestärkt werden. Das neue Dogma erscheint dabei gleichsam als
das Panier, als die neue Fahne, als Erkennungszeichen. Die subtilen Unter¬
schiede in der theologischen Streitfrage füglich den Liebhabern solcher dornen-
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Glauben oder das Nichtglauben an die unbefleckte Empfängniß zu einer Be¬
hauptung der Ketzerei und Sünde machen würden; — es blieb nur eine als
fromme Meinung, pia opinic), geltende Lehre, an die man allenfalls auch
nicht glauben konnte, ohne deshalb ein voeniger treuer Anhänger der Kirche
zu sein.

Auch das Concil zu Basel beschäftigte sich mit diesem Gegenstande. Re¬
ferent darüber war Cardinal Johann von Torquemada aus dem Dominicaner-
orden, ein Theolog von großem Ruse (nicht der berüchtigte Großinquisitor).
Es kam aber seinerseits nicht mehr zur Berichterstattung, da er bei den aus¬
gebrochenen Zerwürfnissen dem sich von Basel entfernenden Papste auf das
Concil zu Ferrara folgte. Der Bericht wurde indeß 1Si-7 zu Rom gedruckt
und entscheidet sich gegen die unbefleckte Empfängnis) unter Anführung von
nicht weniger als 100 „Theologen und (kanonischen) Rechtsgelehrten." Das
Concil zu Basel aber, dessen allgemeiner Charakter nach dem Rücktritt des
Papstes und eines Theiles der Väter zweifelhaft geworden, ja nach Cardinal
Lamberti (später Papst Benedict XlV.) nichts mehr als ein „schismatisches
Conciliabulum" war, entschied sür die unbefleckte Empfängniß.

Wer sind nun die historischen Stützen dieses Dogmas? Die Franzisccmer,
Duns Scotus an der Spitze, und besonders die Jesuiten (l5i0 gestiftet),
glaubten und vertheidigten die unbefleckte Empfängniß. Es muß nun aller¬
dings für einen eigenthümlichen, beachtenswerthen Umstand gelten, daß heute
die alten Häretiker Pelagius :c. wenigstens zum Theil Recht bekommen und
die Ansichten deS Kirchenvaters Augustin und sovieler gelehrter und der
Kirche heiliger Männer aus den alten Orden der Benedictiner, Cistercienser,
Dominicaner und Augustiner, eines römischen Cardinals und treuen An¬
hängers des Papstes vor den Behauptungen der späteren Franzisccmer und
des verhältnißmäßig neuen Jesuitenordens zurücktreten sollen! Möglich, daß
grade dies der Angelpunkt der ganzen Frage ist, aber auch ihrer all¬
gemeinen Bedeutsamkeit, und daß jene vollkommen Recht haben, welche hierin
ein gutes Stück jenes „Adlerfluges" erblicken wollen, in dem der Orden Jesu
vielleicht bereits wieder die Well umkreisen zu können glaubt.

Man kann serner gar wohl der vielfach ausgesprochenen Vermuthung
beitreten, daß es sich auf jenem Concilium in Rom (wir wollen es so nennen)
auch um das Entwerfen einer allgemeinen Ordre de bataille gegen die Ge¬
fahren gehandelt habe, von denen sich die „Kirche" in ihren neuaufgelebten
Ansprüchen bedroht zu sehen glaubt; — also ein geistlicher Kriegsrath. Wer
die bezügliche Allocution des Papstes vergleichen will, kann in dieser Ver¬
muthung nur bestärkt werden. Das neue Dogma erscheint dabei gleichsam als
das Panier, als die neue Fahne, als Erkennungszeichen. Die subtilen Unter¬
schiede in der theologischen Streitfrage füglich den Liebhabern solcher dornen-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/379>, abgerufen am 22.07.2024.