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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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macht Nur, wie ihre Gelehrten sagen, diejenigen mit Gewißheit kennen, welche
Gott offenbart hat. Die Theologen unterscheiden nun zweierlei Dogmen:
solche, welche die römische Kirche direct von Gott zu besitzen versichert, und
solche, welche sie durch für unmittelbar und evident behauptete Consequenzen
daraus ableitet. So haben die Katholiken im Gegensatz zu den Protestanten
als Glaubensdogmen nicht allein die klar und ausdrücklich in der Schrift ver¬
kündeten Wahrheiten, sondern auch die von der Tradition überlieferten, das
heißt: durch das constante und einmüthige Zeugniß der Kirchenväter, durch
die Decrete der allgemeinen Concilien, durch die in der ganzen Kirche aner¬
kannten Entscheidungen des Papstes, durch die gemeinsame und allgemeine
Ansicht der Theologen.

Wir haben es also hier nur äußerlich damit zu thun, ob die vorstehenden
Principien ihre Anwendung auf das neue Dogma zulassen -- eine Mehr nUr
historische Erörterung einer Frage, die auch sür Nichtkatholiken von Wichtig¬
keit sein und auch für paritätische Lande eine nicht gleichgiltige Tragweite er¬
langen könnte. Die gelehrigen und bei der ganzen Angelegenheit interessirten
Organe des römischen Hofes haben nun nicht ermangelt zu behaupten, daß
der Glaube an die unbefleckte Empfängniß mit der Tradition der Kirche
übereinstimme; sie wollen glauben machen, daß damit nur-ein alter Glaubens¬
satz wieder hervorgesucht werde, und zur gebührenden Ehre komme. Allein
dieser Aufstellung widersprechen gleich gelehrte, aber weniger befangene Stimmen,
die überhaupt in der Fabrication von Dogmen kein besonderes Heil sür die
Kirche zu erblicken vermögen, und zwar Mit historischer Berechtigung. Sie
meinen dem Dogma eine sehr neue und sehr nahe Quelle zuerkennen zu
müssen.

Die Häretiker des fünften Jahrhunderts (wir sprechen nur historisch über
die Frage), Pelagius, Coelestinus und Julianus, leugneten die Erbsünde ganz.
Der heilige Augustin, bekanntlich einer der größten Lehrer der katholischen
Kirche, behauptet, ohne dabei Maria auszunehmen: "Niemand werde aus
Adam geboren, der nicht mit den Banden der Sünde und Verdammniß um¬
schlungen sei." Gegner der Lehre von der unbefleckten Empfängniß in ihren
Schriften, zum Theil eifrige Bekämpfer derselben, waren serner folgende be¬
rühmte und später heilig gesprochene Kirchenautoritäten: Anselm von Canter-
bury, dem Benedictinerorden angehörig, Bernhard, der Stifter des Cistercienser-
ordens, Bonaventura, sonst ein sehr großer Verehrer Mariens, der "seraphische"
Doctor der Kirche genannt, aus dem Franziscanerorden, Thomas von Aquino
("octor aiiMlicms) Dominicaner; serner der große Gelehrte Aegidius Colona,
Augustiner u. a. Noch Papst Sirtus IV. (-j- 1484), wol in richtiger
Erkenntniß, daß ein so dornenvoller Gegenstand am besten unberührt bleibe,
hat die Ercommunication über diejenigen ausgesprochen, welche, sei es den


macht Nur, wie ihre Gelehrten sagen, diejenigen mit Gewißheit kennen, welche
Gott offenbart hat. Die Theologen unterscheiden nun zweierlei Dogmen:
solche, welche die römische Kirche direct von Gott zu besitzen versichert, und
solche, welche sie durch für unmittelbar und evident behauptete Consequenzen
daraus ableitet. So haben die Katholiken im Gegensatz zu den Protestanten
als Glaubensdogmen nicht allein die klar und ausdrücklich in der Schrift ver¬
kündeten Wahrheiten, sondern auch die von der Tradition überlieferten, das
heißt: durch das constante und einmüthige Zeugniß der Kirchenväter, durch
die Decrete der allgemeinen Concilien, durch die in der ganzen Kirche aner¬
kannten Entscheidungen des Papstes, durch die gemeinsame und allgemeine
Ansicht der Theologen.

Wir haben es also hier nur äußerlich damit zu thun, ob die vorstehenden
Principien ihre Anwendung auf das neue Dogma zulassen — eine Mehr nUr
historische Erörterung einer Frage, die auch sür Nichtkatholiken von Wichtig¬
keit sein und auch für paritätische Lande eine nicht gleichgiltige Tragweite er¬
langen könnte. Die gelehrigen und bei der ganzen Angelegenheit interessirten
Organe des römischen Hofes haben nun nicht ermangelt zu behaupten, daß
der Glaube an die unbefleckte Empfängniß mit der Tradition der Kirche
übereinstimme; sie wollen glauben machen, daß damit nur-ein alter Glaubens¬
satz wieder hervorgesucht werde, und zur gebührenden Ehre komme. Allein
dieser Aufstellung widersprechen gleich gelehrte, aber weniger befangene Stimmen,
die überhaupt in der Fabrication von Dogmen kein besonderes Heil sür die
Kirche zu erblicken vermögen, und zwar Mit historischer Berechtigung. Sie
meinen dem Dogma eine sehr neue und sehr nahe Quelle zuerkennen zu
müssen.

Die Häretiker des fünften Jahrhunderts (wir sprechen nur historisch über
die Frage), Pelagius, Coelestinus und Julianus, leugneten die Erbsünde ganz.
Der heilige Augustin, bekanntlich einer der größten Lehrer der katholischen
Kirche, behauptet, ohne dabei Maria auszunehmen: „Niemand werde aus
Adam geboren, der nicht mit den Banden der Sünde und Verdammniß um¬
schlungen sei." Gegner der Lehre von der unbefleckten Empfängniß in ihren
Schriften, zum Theil eifrige Bekämpfer derselben, waren serner folgende be¬
rühmte und später heilig gesprochene Kirchenautoritäten: Anselm von Canter-
bury, dem Benedictinerorden angehörig, Bernhard, der Stifter des Cistercienser-
ordens, Bonaventura, sonst ein sehr großer Verehrer Mariens, der „seraphische"
Doctor der Kirche genannt, aus dem Franziscanerorden, Thomas von Aquino
(»octor aiiMlicms) Dominicaner; serner der große Gelehrte Aegidius Colona,
Augustiner u. a. Noch Papst Sirtus IV. (-j- 1484), wol in richtiger
Erkenntniß, daß ein so dornenvoller Gegenstand am besten unberührt bleibe,
hat die Ercommunication über diejenigen ausgesprochen, welche, sei es den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/378>, abgerufen am 22.07.2024.