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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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allen erreichbar ist." -- Einmal hat die wissenschaftliche Philosophie noch nie
Anspruch darauf gemacht, Gemeingut zu werden; die sogenannte Populär¬
philosophie, die Gemeingut werden kann und zum Theil auch geworden ist,
bedeutet etwas Anderes, sie drückt nichts weiter aus, als was das Volk in
seinen Sprichwörtern sich selbst sagt; sodann ist der Begriff der intellectuellen
Anschauung nicht von Schelling, sondern bereits von Fichte aufgestellt, und die
Anforderung, die damit an den Schüler der Philosophie gemacht wird, ist im
Ganzen eine sehr bescheidene, sie besteht darin, daß man fähig sein muß, im
Begriff Ich zugleich Subject und Object zu erkennen. Fichte pflegte in diesem
Cardinalpunkt seines Systems sehr ausführlich zu sein. Er sagte zu seinen
Studenten: Meine Herren, denken Sie sich einmal die Wand, nun denken Sie
sich den, der die Wand gedacht hat u. s. w. Unter Studirenden wie unter
Nichtstudirenden gibt es immer noch viele, für die dergleichen Distinctionen zu
hoch sind, denen also das Organ der intellectuellen Anschauung fehlt. So
gibt es ja auch viele Leute, die kein Gehör haben d. h. nicht, die taub sino,
sondern die nicht einen musikalischen Ton vom andern unterscheiden können.
Zu diesen sagt der Musiklehrer mit Recht, sie möchten sich vom Studium der
Musik fernhalten, da sie doch darin keinen Schritt weiter kommen würden, und
mit demselben Recht sagen Fichte und Schelling zu dem ersteren, er möge sich
vom Studium der Philosophie fernhalten, weil ihm gleichfalls das Organ da¬
zu fehlt. Aehnliche Anforderungen macht ja eigentlich jede Wissenschaft,
namentlich die Mathematik, wenn sie über die ganz mechanischen Rechenerempel
hinausgeht, und es liegt darin gewiß nichts Unbescheidenes; es ist ja durchaus
kein Grund vorhanden, daß alle Welt Philosophie treiben soll. Und darum
haben eben populäre Vorlesungen über die Philosophie etwas sehr Bedenkliches.
Populäre Vorlesungen über Physik, Chemie, Geschichte und dergleichen gehen
doch stets darauf aus, dem Publicum ein gewisses Quantum von Kenntnissen bei¬
zubringen, mögen diese Kenntnisse auch noch so unzusammenhängend sein. Der
Philosophirende Dilettant dagegen veranlaßt von vornherein seine Zuhörer zur
Kritik, und das ist unrecht, denn man soll nur dasjenige kritisiren, was man
versteht. Da indessen in unsern Salons zu den beliebten Gesprächen, durch
welche man in die etwas einförmige Beschäftigung des Walzers und Galop-
virens eine angenehme Abwechslung bringt, auch die Gespräche über Philo¬
sophie gehören, so sind Vorlesungen, durch welche man über diesen Gegenstand
etwas erfährt, ein tiefgefühltes Bedürfniß, und der Verfasser der vorliegen¬
den gehört unzweifelhaft zu den gebildetsten und verständigsten seiner Gat¬
tung. --

Indem wir nun die Philosophie verlassen und zur Naturwissenschaft über¬
gehen, haben wir zunächst den zweiten Band eines Werks zu erwähnen,
welches in seinem Fache als ein classisches bezeichnet werden kann:


allen erreichbar ist." — Einmal hat die wissenschaftliche Philosophie noch nie
Anspruch darauf gemacht, Gemeingut zu werden; die sogenannte Populär¬
philosophie, die Gemeingut werden kann und zum Theil auch geworden ist,
bedeutet etwas Anderes, sie drückt nichts weiter aus, als was das Volk in
seinen Sprichwörtern sich selbst sagt; sodann ist der Begriff der intellectuellen
Anschauung nicht von Schelling, sondern bereits von Fichte aufgestellt, und die
Anforderung, die damit an den Schüler der Philosophie gemacht wird, ist im
Ganzen eine sehr bescheidene, sie besteht darin, daß man fähig sein muß, im
Begriff Ich zugleich Subject und Object zu erkennen. Fichte pflegte in diesem
Cardinalpunkt seines Systems sehr ausführlich zu sein. Er sagte zu seinen
Studenten: Meine Herren, denken Sie sich einmal die Wand, nun denken Sie
sich den, der die Wand gedacht hat u. s. w. Unter Studirenden wie unter
Nichtstudirenden gibt es immer noch viele, für die dergleichen Distinctionen zu
hoch sind, denen also das Organ der intellectuellen Anschauung fehlt. So
gibt es ja auch viele Leute, die kein Gehör haben d. h. nicht, die taub sino,
sondern die nicht einen musikalischen Ton vom andern unterscheiden können.
Zu diesen sagt der Musiklehrer mit Recht, sie möchten sich vom Studium der
Musik fernhalten, da sie doch darin keinen Schritt weiter kommen würden, und
mit demselben Recht sagen Fichte und Schelling zu dem ersteren, er möge sich
vom Studium der Philosophie fernhalten, weil ihm gleichfalls das Organ da¬
zu fehlt. Aehnliche Anforderungen macht ja eigentlich jede Wissenschaft,
namentlich die Mathematik, wenn sie über die ganz mechanischen Rechenerempel
hinausgeht, und es liegt darin gewiß nichts Unbescheidenes; es ist ja durchaus
kein Grund vorhanden, daß alle Welt Philosophie treiben soll. Und darum
haben eben populäre Vorlesungen über die Philosophie etwas sehr Bedenkliches.
Populäre Vorlesungen über Physik, Chemie, Geschichte und dergleichen gehen
doch stets darauf aus, dem Publicum ein gewisses Quantum von Kenntnissen bei¬
zubringen, mögen diese Kenntnisse auch noch so unzusammenhängend sein. Der
Philosophirende Dilettant dagegen veranlaßt von vornherein seine Zuhörer zur
Kritik, und das ist unrecht, denn man soll nur dasjenige kritisiren, was man
versteht. Da indessen in unsern Salons zu den beliebten Gesprächen, durch
welche man in die etwas einförmige Beschäftigung des Walzers und Galop-
virens eine angenehme Abwechslung bringt, auch die Gespräche über Philo¬
sophie gehören, so sind Vorlesungen, durch welche man über diesen Gegenstand
etwas erfährt, ein tiefgefühltes Bedürfniß, und der Verfasser der vorliegen¬
den gehört unzweifelhaft zu den gebildetsten und verständigsten seiner Gat¬
tung. —

Indem wir nun die Philosophie verlassen und zur Naturwissenschaft über¬
gehen, haben wir zunächst den zweiten Band eines Werks zu erwähnen,
welches in seinem Fache als ein classisches bezeichnet werden kann:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/375>, abgerufen am 22.07.2024.