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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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begrenzt und nicht mehr zusammengesetzt sind." Wenn der Verfasser aus seinen
Erfahrungen wirklich diesen Schluß gezogen hat, so wünschen wir ihm Glück,
können aber nicht umhin, ebendeshalb seine speculative Befähigung in Zweifel
zu ziehen. Die Unmöglichkeit eines solchen Schlusses aus der Erfahrung hätte
er aus jedem beliebigen Compendium der Logik lernen können. Freilich traut
er der Logik im Ganzen wenig zu. "Es ist bekannt," sagt er S. til, daß
die Logik kein Unterscheidungsmerkmal für eine richtige oder angemessene und
eine zu weite Deduction hat." Wenn die Logik das wirklich nicht hätte, so
wäre durch sie freilich für das menschliche Denken nicht viel gewonnen; freilich
würde dann die bloße Beobachtung auch nur ein sehr schwankender Grund sein,
um irgendwelche Schlüsse darauf zu bauen. "Wenn ich also behaupte," fährt
er an derselben Stelle sort, "daß die Induction, die Natur selbst habe eine
Ursache, viel zu weit ausgedehnt und deshalb eine unrichtige Hypothese ist>
daß innerhalb der Natur allerdings ungemein Vieles entstehe, aber kein hin¬
reichender Grund sei, daß sie selbst einen Anfang genommen oder eine Ursache
habe: wenn ich somit die Existenz oder Dauer der Natur von Ewigkeit be-
behaupte, so läßt sich vom Standpunkt der Logik durchaus nichts dagegen ein¬
wenden; schwankt man bei den logisch vollkommen gleichberechtigten oder gleich¬
möglichen Ansichten, so können nur andere Gründe, namentlich die der direc-
tem sinnlichen Erfahrung die mehr berechtigte Annahme der einen oder der
andern entscheiden."

Es ist ein wunderlicher Gemüthszustand, der uns in diesen Behauptungen
entgegentritt. Auf der einen Seite die Ewigkeit der Welt und ihrer Gesetze
zu behaupten, auf der andern die Absolutheit des Causalitätsgesetzes zu leug¬
nen, ist fast nicht weniger seltsam, als die Annahme der Möglichkeit, sich durch
directe sinnliche Erfahrung von der Ewigkeit oder von der Schöpfung der
Welt zu überzeugen. Was übrigens die Ewigkeit der Welt betrifft, so hat
alle Philosophie, welcher Schule sie auch immer angehören möge, darüber nur
eine Meinung: sie weiß, daß die Beziehung der Erscheinungen zum absoluten
Wesen, zu Gott, keine zufällige, der Zeit angehörige ist, und die Vorstellung,
daß Gott irgendeinmal die Welt geschaffen habe, da er in der Zeit doch eben¬
sogut etwas Anderes hätte thun können, gehört gar keiner Art von Philosophie
an. Jede Philosophie, sie habe einen Namen, welchen sie wolle, hält die
Naturgesetze für ewig, weil sie dem Begriff und nicht der Zeit angehören.
Aber der Versasser der vorliegenden Schrift dehnt die Ewigkeit der Welt be¬
deutend weiter aus; er bezieht sie auch aus die Erscheinungen und hier kommen
wir allerdings auf das Gebiet der endlichen Wissenschaft. Die Geologie und
die mit ihr verbundenen Wissenschaften haben entdeckt oder zu entdecken ge¬
glaubt, daß eS eine Zeit gab, wo aus der Erde zwar nicht andere Naturge¬
setze, aber andere Combinationen und mithin andere Erscheinungen herrschten;


begrenzt und nicht mehr zusammengesetzt sind." Wenn der Verfasser aus seinen
Erfahrungen wirklich diesen Schluß gezogen hat, so wünschen wir ihm Glück,
können aber nicht umhin, ebendeshalb seine speculative Befähigung in Zweifel
zu ziehen. Die Unmöglichkeit eines solchen Schlusses aus der Erfahrung hätte
er aus jedem beliebigen Compendium der Logik lernen können. Freilich traut
er der Logik im Ganzen wenig zu. „Es ist bekannt," sagt er S. til, daß
die Logik kein Unterscheidungsmerkmal für eine richtige oder angemessene und
eine zu weite Deduction hat." Wenn die Logik das wirklich nicht hätte, so
wäre durch sie freilich für das menschliche Denken nicht viel gewonnen; freilich
würde dann die bloße Beobachtung auch nur ein sehr schwankender Grund sein,
um irgendwelche Schlüsse darauf zu bauen. „Wenn ich also behaupte," fährt
er an derselben Stelle sort, „daß die Induction, die Natur selbst habe eine
Ursache, viel zu weit ausgedehnt und deshalb eine unrichtige Hypothese ist>
daß innerhalb der Natur allerdings ungemein Vieles entstehe, aber kein hin¬
reichender Grund sei, daß sie selbst einen Anfang genommen oder eine Ursache
habe: wenn ich somit die Existenz oder Dauer der Natur von Ewigkeit be-
behaupte, so läßt sich vom Standpunkt der Logik durchaus nichts dagegen ein¬
wenden; schwankt man bei den logisch vollkommen gleichberechtigten oder gleich¬
möglichen Ansichten, so können nur andere Gründe, namentlich die der direc-
tem sinnlichen Erfahrung die mehr berechtigte Annahme der einen oder der
andern entscheiden."

Es ist ein wunderlicher Gemüthszustand, der uns in diesen Behauptungen
entgegentritt. Auf der einen Seite die Ewigkeit der Welt und ihrer Gesetze
zu behaupten, auf der andern die Absolutheit des Causalitätsgesetzes zu leug¬
nen, ist fast nicht weniger seltsam, als die Annahme der Möglichkeit, sich durch
directe sinnliche Erfahrung von der Ewigkeit oder von der Schöpfung der
Welt zu überzeugen. Was übrigens die Ewigkeit der Welt betrifft, so hat
alle Philosophie, welcher Schule sie auch immer angehören möge, darüber nur
eine Meinung: sie weiß, daß die Beziehung der Erscheinungen zum absoluten
Wesen, zu Gott, keine zufällige, der Zeit angehörige ist, und die Vorstellung,
daß Gott irgendeinmal die Welt geschaffen habe, da er in der Zeit doch eben¬
sogut etwas Anderes hätte thun können, gehört gar keiner Art von Philosophie
an. Jede Philosophie, sie habe einen Namen, welchen sie wolle, hält die
Naturgesetze für ewig, weil sie dem Begriff und nicht der Zeit angehören.
Aber der Versasser der vorliegenden Schrift dehnt die Ewigkeit der Welt be¬
deutend weiter aus; er bezieht sie auch aus die Erscheinungen und hier kommen
wir allerdings auf das Gebiet der endlichen Wissenschaft. Die Geologie und
die mit ihr verbundenen Wissenschaften haben entdeckt oder zu entdecken ge¬
glaubt, daß eS eine Zeit gab, wo aus der Erde zwar nicht andere Naturge¬
setze, aber andere Combinationen und mithin andere Erscheinungen herrschten;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/370>, abgerufen am 22.07.2024.