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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Poesie eröffnet sich, als Zerbino und sein Bedienter Nestor auf der Reije zum
guten Geschmack in den Garten der Poesie kommen. Wer sich demselben
nähert, fängt sofort an in Versen zu sprechen. In dem Garten wandeln die
Schatten der abgeschiedenen Dichter in müßigen Unterredungen; sie setzen dem
einfältigen Nestor, dem modernen Sancho Pansa, die höhern Mysterien der
Kunst auseinander, z. B. daß die katholische Religion etwas Erhabenes ist,
daß der Protestant gegen alles Gute protestirt, namentlich gegen die Poesie,
und daß jetzt eine erbärmliche Zeit auf Erden sein muß. Man erfährt, wer
ein wahrer Dichter gewesen ist und wer nicht; zu den erster" gehört z. B. Jakob
Böhme. Nun mag man in diesen Ansichten dem Dichter beipflichten oder nicht,
jedenfalls hat man doch wieder nichts Anderes vor sich, als verhaltene Recen¬
sionen. Der Dichter hat das auch selbst gefühlt, und um die Poesie seiner
Schäfer, seiner Liebenden, seiner Waldbruder u. s. w. zu überbieten, etwas
Uebriges gethan.


Betritt den Garten, größte Wunder schauen
Holdselig ernst auf dich, o Wandrer, hin,
Gewaltge Lilien in der Luft, der lauen.
Und Töne wohnen in dem Kelche drin,
Es singt, kaum wirst du selber dir vertrauen.
So Baum wie Blume fesselt deinen Sinn,
Die Farbe klingt, die Form ertönt, jedwede
Hat nach der Form und Farbe Zung und Rede.
Was neidisch sonst der Götter Schluß getrennet,
Hat Göttin Phantasie allhier vereint,
So daß der Klang hier seine Farbe kennet,
Durch jedes Blatt die süße Stimme scheint,
Sich Farbe, Duft, Gesang, Geschwister nennet,
Umschlungen all sind alle nur Ein Freund,
In feiger Poesie so fest verbündet,
Daß jeder in dem Freund sich selber findet.
Und sowie Farb und Blume anders klingen
Nach seiner Art in eignen Melodien,
Daß Glanz und Glanz und Ton zusammen dringen
Und brüderlich in einem Wohllaut blühn,
So sieht man auch, wenn die Poeten singen,
Gar manches Lied im Schimmer fröhlich ziehn:
Jedwedes fliegt in Farben seiner Weise
Ein Luftbild in dem goldenen Geleise.

Wie es hier der Schäfer im Prolog andeutet, so geschieht es. Zuerst
fängt der Wald an zu reden, dann die Rosen, Lilien in., die Vögel, das
Himmelblau, die Harfe, die Flöte, welche unter andern die Bemerkung macht:


Poesie eröffnet sich, als Zerbino und sein Bedienter Nestor auf der Reije zum
guten Geschmack in den Garten der Poesie kommen. Wer sich demselben
nähert, fängt sofort an in Versen zu sprechen. In dem Garten wandeln die
Schatten der abgeschiedenen Dichter in müßigen Unterredungen; sie setzen dem
einfältigen Nestor, dem modernen Sancho Pansa, die höhern Mysterien der
Kunst auseinander, z. B. daß die katholische Religion etwas Erhabenes ist,
daß der Protestant gegen alles Gute protestirt, namentlich gegen die Poesie,
und daß jetzt eine erbärmliche Zeit auf Erden sein muß. Man erfährt, wer
ein wahrer Dichter gewesen ist und wer nicht; zu den erster» gehört z. B. Jakob
Böhme. Nun mag man in diesen Ansichten dem Dichter beipflichten oder nicht,
jedenfalls hat man doch wieder nichts Anderes vor sich, als verhaltene Recen¬
sionen. Der Dichter hat das auch selbst gefühlt, und um die Poesie seiner
Schäfer, seiner Liebenden, seiner Waldbruder u. s. w. zu überbieten, etwas
Uebriges gethan.


Betritt den Garten, größte Wunder schauen
Holdselig ernst auf dich, o Wandrer, hin,
Gewaltge Lilien in der Luft, der lauen.
Und Töne wohnen in dem Kelche drin,
Es singt, kaum wirst du selber dir vertrauen.
So Baum wie Blume fesselt deinen Sinn,
Die Farbe klingt, die Form ertönt, jedwede
Hat nach der Form und Farbe Zung und Rede.
Was neidisch sonst der Götter Schluß getrennet,
Hat Göttin Phantasie allhier vereint,
So daß der Klang hier seine Farbe kennet,
Durch jedes Blatt die süße Stimme scheint,
Sich Farbe, Duft, Gesang, Geschwister nennet,
Umschlungen all sind alle nur Ein Freund,
In feiger Poesie so fest verbündet,
Daß jeder in dem Freund sich selber findet.
Und sowie Farb und Blume anders klingen
Nach seiner Art in eignen Melodien,
Daß Glanz und Glanz und Ton zusammen dringen
Und brüderlich in einem Wohllaut blühn,
So sieht man auch, wenn die Poeten singen,
Gar manches Lied im Schimmer fröhlich ziehn:
Jedwedes fliegt in Farben seiner Weise
Ein Luftbild in dem goldenen Geleise.

Wie es hier der Schäfer im Prolog andeutet, so geschieht es. Zuerst
fängt der Wald an zu reden, dann die Rosen, Lilien in., die Vögel, das
Himmelblau, die Harfe, die Flöte, welche unter andern die Bemerkung macht:


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[0349] Poesie eröffnet sich, als Zerbino und sein Bedienter Nestor auf der Reije zum guten Geschmack in den Garten der Poesie kommen. Wer sich demselben nähert, fängt sofort an in Versen zu sprechen. In dem Garten wandeln die Schatten der abgeschiedenen Dichter in müßigen Unterredungen; sie setzen dem einfältigen Nestor, dem modernen Sancho Pansa, die höhern Mysterien der Kunst auseinander, z. B. daß die katholische Religion etwas Erhabenes ist, daß der Protestant gegen alles Gute protestirt, namentlich gegen die Poesie, und daß jetzt eine erbärmliche Zeit auf Erden sein muß. Man erfährt, wer ein wahrer Dichter gewesen ist und wer nicht; zu den erster» gehört z. B. Jakob Böhme. Nun mag man in diesen Ansichten dem Dichter beipflichten oder nicht, jedenfalls hat man doch wieder nichts Anderes vor sich, als verhaltene Recen¬ sionen. Der Dichter hat das auch selbst gefühlt, und um die Poesie seiner Schäfer, seiner Liebenden, seiner Waldbruder u. s. w. zu überbieten, etwas Uebriges gethan. Betritt den Garten, größte Wunder schauen Holdselig ernst auf dich, o Wandrer, hin, Gewaltge Lilien in der Luft, der lauen. Und Töne wohnen in dem Kelche drin, Es singt, kaum wirst du selber dir vertrauen. So Baum wie Blume fesselt deinen Sinn, Die Farbe klingt, die Form ertönt, jedwede Hat nach der Form und Farbe Zung und Rede. Was neidisch sonst der Götter Schluß getrennet, Hat Göttin Phantasie allhier vereint, So daß der Klang hier seine Farbe kennet, Durch jedes Blatt die süße Stimme scheint, Sich Farbe, Duft, Gesang, Geschwister nennet, Umschlungen all sind alle nur Ein Freund, In feiger Poesie so fest verbündet, Daß jeder in dem Freund sich selber findet. Und sowie Farb und Blume anders klingen Nach seiner Art in eignen Melodien, Daß Glanz und Glanz und Ton zusammen dringen Und brüderlich in einem Wohllaut blühn, So sieht man auch, wenn die Poeten singen, Gar manches Lied im Schimmer fröhlich ziehn: Jedwedes fliegt in Farben seiner Weise Ein Luftbild in dem goldenen Geleise. Wie es hier der Schäfer im Prolog andeutet, so geschieht es. Zuerst fängt der Wald an zu reden, dann die Rosen, Lilien in., die Vögel, das Himmelblau, die Harfe, die Flöte, welche unter andern die Bemerkung macht:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/349>, abgerufen am 22.12.2024.