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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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nen Rahmen und man kommt in der Handlung, wenn auch mit einiger Mühe all-
mälig vorwärts. -- Allein in dem Behagen, mit welchem die Verbildung des
Spießbürgerthums geschildert ist, liegt doch etwas Erzwungenes. Das Stück,
welches der Dichter diesem verbildeten Publicum vorspielen laßt, ist in der
That der absolute Unsinn, und die Böttiger, Schlosser, Wiesener und wie die
Repräsentanten des "aufgeklärten Geschmacks" sonst heißen, hatten das größte
Recht, es auszuzischen. Am wenigsten ist es das, wofür der Dichter es ausgibt,
ein naiv dargestelltes Ammenmärchen: es ironisirt beständig sich selbst und setzt in
seinen Anspielungen eine weitgehende literarische Bildung voraus. "Ich wollte
nur den Versuch machen, sagt am Schluß der ausgepochte Dichter zum Publicum,
Sie alle in die entfernten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zurückzuversetzen, daß
Sie dadurch das dargestellte Märchen empfunden hätten, ohne es doch für etwas
Wichtigeres zu halten, als es sein sollte." -- Leider ist der gute Dichter noch
mehr in dem gewohnten Kreise seiner Bildung befangen, als das Publicum
selbst. Der bei weitem größte Theil seiner Einfälle beruht auf Beziehungen
zu der aufgeklärten Welt, gegen die er polemisirt. Seine Märchenfiguren
haben keinen realen Inhalt, sie sind nur Namen, unter denen beliebige Re¬
flexionen über das Zeitalter eingeschwärzt werden. Daher sind die directen pole¬
mischen Beziehungen das Gelungenste. Das dargestellte Publicum ist viel
ergötzlicher, als das Stück, das ihm aufgeführt wird. Den steifen und ein¬
seitigen Geschmack der Zeit durch die systematische Abgeschmacktheit läutern zu
wollen, ist auf alle Fälle verfehlt. Der "gestiefelte Kater" hat seinen großen
Erfolg theils einigen wirklich sehr glücklichen Einfällen zu verdanken, haupt¬
sächlich aber der Freude der sogenannten Gebildeten über die vielfältigen
literarischen Anspielungen. An sich ist für jedes gesunde Gemüth die blos
negative Poesie etwas Unerquickliches, namentlich wenn man merkt, daß der
Humor doch nicht mit jugendlicher Frische hervorsprudelt.

Der Einfall, das Publicum selbst aufs Theater zu bringen, hat dem
Dichter so wohl gefallen, daß er ihn in seinem nächsten Stück, die verkehrte
Welt (1799) wiederholt. Diesmal fehlen, wenn man von einzelnen kleinen
Einfällen absieht, z. B. von dem empfindsamen Rabe und seinen verehrungs¬
würdigen Kindern, die satirischen Beziehungen fast gänzlich. Der Dichter ver¬
sucht, die Ironie aus eigne Füße zu stellen , aber seine gute Laune ist nicht
sehr ausgiebig; er muß sich zum Humor zwingen. Die Komik wird dadurch
hervorgebracht, daß die Vorstellungen auf dem Theater bald als das, was sie
wirklich sind, als Schein gelten sollen, bald als das, was sie vorstellen. Dieser
an sich nicht schlechte Spaß wird mit unerhörter Pedanterie zu Tode gehetzt. Vor
Anfang des Stücks tritt ein Epilog auf, der mit den Worten beginnt: "wie hat
Ihnen das Stück gefallen?" Das ist ein guter Einfall, aber was soll man dazu
sagen, daß der Symmetrie wegen zum Schluß auch noch ein Prolog auftritt,


Grenzboten. III. 18so. 43

nen Rahmen und man kommt in der Handlung, wenn auch mit einiger Mühe all-
mälig vorwärts. — Allein in dem Behagen, mit welchem die Verbildung des
Spießbürgerthums geschildert ist, liegt doch etwas Erzwungenes. Das Stück,
welches der Dichter diesem verbildeten Publicum vorspielen laßt, ist in der
That der absolute Unsinn, und die Böttiger, Schlosser, Wiesener und wie die
Repräsentanten des „aufgeklärten Geschmacks" sonst heißen, hatten das größte
Recht, es auszuzischen. Am wenigsten ist es das, wofür der Dichter es ausgibt,
ein naiv dargestelltes Ammenmärchen: es ironisirt beständig sich selbst und setzt in
seinen Anspielungen eine weitgehende literarische Bildung voraus. „Ich wollte
nur den Versuch machen, sagt am Schluß der ausgepochte Dichter zum Publicum,
Sie alle in die entfernten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zurückzuversetzen, daß
Sie dadurch das dargestellte Märchen empfunden hätten, ohne es doch für etwas
Wichtigeres zu halten, als es sein sollte." — Leider ist der gute Dichter noch
mehr in dem gewohnten Kreise seiner Bildung befangen, als das Publicum
selbst. Der bei weitem größte Theil seiner Einfälle beruht auf Beziehungen
zu der aufgeklärten Welt, gegen die er polemisirt. Seine Märchenfiguren
haben keinen realen Inhalt, sie sind nur Namen, unter denen beliebige Re¬
flexionen über das Zeitalter eingeschwärzt werden. Daher sind die directen pole¬
mischen Beziehungen das Gelungenste. Das dargestellte Publicum ist viel
ergötzlicher, als das Stück, das ihm aufgeführt wird. Den steifen und ein¬
seitigen Geschmack der Zeit durch die systematische Abgeschmacktheit läutern zu
wollen, ist auf alle Fälle verfehlt. Der „gestiefelte Kater" hat seinen großen
Erfolg theils einigen wirklich sehr glücklichen Einfällen zu verdanken, haupt¬
sächlich aber der Freude der sogenannten Gebildeten über die vielfältigen
literarischen Anspielungen. An sich ist für jedes gesunde Gemüth die blos
negative Poesie etwas Unerquickliches, namentlich wenn man merkt, daß der
Humor doch nicht mit jugendlicher Frische hervorsprudelt.

Der Einfall, das Publicum selbst aufs Theater zu bringen, hat dem
Dichter so wohl gefallen, daß er ihn in seinem nächsten Stück, die verkehrte
Welt (1799) wiederholt. Diesmal fehlen, wenn man von einzelnen kleinen
Einfällen absieht, z. B. von dem empfindsamen Rabe und seinen verehrungs¬
würdigen Kindern, die satirischen Beziehungen fast gänzlich. Der Dichter ver¬
sucht, die Ironie aus eigne Füße zu stellen , aber seine gute Laune ist nicht
sehr ausgiebig; er muß sich zum Humor zwingen. Die Komik wird dadurch
hervorgebracht, daß die Vorstellungen auf dem Theater bald als das, was sie
wirklich sind, als Schein gelten sollen, bald als das, was sie vorstellen. Dieser
an sich nicht schlechte Spaß wird mit unerhörter Pedanterie zu Tode gehetzt. Vor
Anfang des Stücks tritt ein Epilog auf, der mit den Worten beginnt: „wie hat
Ihnen das Stück gefallen?" Das ist ein guter Einfall, aber was soll man dazu
sagen, daß der Symmetrie wegen zum Schluß auch noch ein Prolog auftritt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/345>, abgerufen am 22.12.2024.