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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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dergleichen eingegangen wird, nicht, wie in den "Unterhaltungen der Ausge¬
wanderten", um durch Mannigfaltigkeit der Farben einen vorwiegend drolligen
Eindruck zu machen, sondern in bitterm Ernst, in empfindsamer Mystik. Gegen
diesen lüsternen Schauder haben wir alle Ursache auf unsrer Hut zu sein.

In der schonen Magelone wird durch den ungetheilten Sonnenschein,
durch den Mangel an Schatten alle bestimmte Gestaltung, aller innere Zu¬
sammenhang und die schöne Einfalt der alten Sage ebenso aufgehoben, wie in
den übrigen Märchen durch die ununterbrochenen nächtlichen Schauer. Die
Geschichte sieht nur wie ein Rahmen für die eingewebten kleinen Lieder aus.
Es ist das erste Beispiel sür die Methode, die epische oder dramatische Dar¬
stellung in lyrische Stimmungen verklingen zu lassen. Doch gehören diese
kleinen Lieder zu den besten unsers Dichters.


"Es liegt ein eigner Zauber in ihnen, dessen Eindruck man nnr in Bildern wiederzugeben
versuchen kann. Die Sprache hat sich gleichsam alles Körperlichen begeben und löst sich in einen
geistigen Hauch auf. Die Worte scheinen kaum ausgesprochen zu werden, so basi es fast noch
zarter wie Gesang lautet .... Stimmen von der vollen Brust weggehoben, die dennoch
,
-- A. W. Schlegel. --
wie aus weiter Ferne leise herüberhallen."

Im Wesentlichen heiter ist gleichfalls die Darstellung in den Elfen; allein
die Momente aus der alten Sage, daß im Lande der Elfen Jahre nur den
Raum von Stunden einzunehmen scheinen, daß die Elfen ihre Wohnsitze ver¬
lassen, wenn sie von profanen Augen gesehen werden, und ähnliche Züge von
einem bestimmten mythologischen Inhalt sind durch die Poetistrung aus ihrem
innern Zusammenhang entrückt und verlieren die Uebereinstimmung mit sich selbst.
Das Reich der Elfen, in welches die kleine Marie entführt wird, ist das Reich
der Einbildungskraft, des Märchens, der Poesie überhaupt. Die Zeit, die sie
darin zubringt, ist die Kindheit, die noch dem poetischen Spiel offen steht,
durch den Ernst der Zwecke und die Gesetze der Logik noch nicht eingeengt.
Zum Theil ist diese Poesie recht poetisch geschildert, wenn auch ein Zauberreich,
in welchem sich jeder Wunsch sofort in eine Thatsache verwandelt, bald langweilt.
Die Schilderung des Schlaraffenlandes eignet sich nur sür die komische Poesie.
Aber die Hauptsache ist, daß durch diese idealisirende Verallgemeinerung das
Wesen der durch historische Ueberlieferung fest umrissenen Elfen sich ins Un¬
bestimmte und Allegorische verflüchtigt, und daß daher der Schluß, welcher der
Tradition angehört, zu dem Vorhergehenden nicht stimmt. Endlich ist noch
die anmuthige Dialogisirung des Nothkäp p es eus zu erwähnen, in dessen
heiterer Stimmung man die Mischung von reflectirter Kindlichkeit und ver¬
kappter Altklugheit mit Behagen aufnimmt, z. B. das Gespräch des speculativen
freigeistischen Wolfs mit dem prosaischen Hunde. Tieck hätte nur den alten
Schluß des Märchens, daß der Jäger den Bauch des Wolfes aufschneidet
und das RotsMppchen mit der Großmutter wieder unversehrt herausholt, bei-


dergleichen eingegangen wird, nicht, wie in den „Unterhaltungen der Ausge¬
wanderten", um durch Mannigfaltigkeit der Farben einen vorwiegend drolligen
Eindruck zu machen, sondern in bitterm Ernst, in empfindsamer Mystik. Gegen
diesen lüsternen Schauder haben wir alle Ursache auf unsrer Hut zu sein.

In der schonen Magelone wird durch den ungetheilten Sonnenschein,
durch den Mangel an Schatten alle bestimmte Gestaltung, aller innere Zu¬
sammenhang und die schöne Einfalt der alten Sage ebenso aufgehoben, wie in
den übrigen Märchen durch die ununterbrochenen nächtlichen Schauer. Die
Geschichte sieht nur wie ein Rahmen für die eingewebten kleinen Lieder aus.
Es ist das erste Beispiel sür die Methode, die epische oder dramatische Dar¬
stellung in lyrische Stimmungen verklingen zu lassen. Doch gehören diese
kleinen Lieder zu den besten unsers Dichters.


„Es liegt ein eigner Zauber in ihnen, dessen Eindruck man nnr in Bildern wiederzugeben
versuchen kann. Die Sprache hat sich gleichsam alles Körperlichen begeben und löst sich in einen
geistigen Hauch auf. Die Worte scheinen kaum ausgesprochen zu werden, so basi es fast noch
zarter wie Gesang lautet .... Stimmen von der vollen Brust weggehoben, die dennoch
,
— A. W. Schlegel. —
wie aus weiter Ferne leise herüberhallen."

Im Wesentlichen heiter ist gleichfalls die Darstellung in den Elfen; allein
die Momente aus der alten Sage, daß im Lande der Elfen Jahre nur den
Raum von Stunden einzunehmen scheinen, daß die Elfen ihre Wohnsitze ver¬
lassen, wenn sie von profanen Augen gesehen werden, und ähnliche Züge von
einem bestimmten mythologischen Inhalt sind durch die Poetistrung aus ihrem
innern Zusammenhang entrückt und verlieren die Uebereinstimmung mit sich selbst.
Das Reich der Elfen, in welches die kleine Marie entführt wird, ist das Reich
der Einbildungskraft, des Märchens, der Poesie überhaupt. Die Zeit, die sie
darin zubringt, ist die Kindheit, die noch dem poetischen Spiel offen steht,
durch den Ernst der Zwecke und die Gesetze der Logik noch nicht eingeengt.
Zum Theil ist diese Poesie recht poetisch geschildert, wenn auch ein Zauberreich,
in welchem sich jeder Wunsch sofort in eine Thatsache verwandelt, bald langweilt.
Die Schilderung des Schlaraffenlandes eignet sich nur sür die komische Poesie.
Aber die Hauptsache ist, daß durch diese idealisirende Verallgemeinerung das
Wesen der durch historische Ueberlieferung fest umrissenen Elfen sich ins Un¬
bestimmte und Allegorische verflüchtigt, und daß daher der Schluß, welcher der
Tradition angehört, zu dem Vorhergehenden nicht stimmt. Endlich ist noch
die anmuthige Dialogisirung des Nothkäp p es eus zu erwähnen, in dessen
heiterer Stimmung man die Mischung von reflectirter Kindlichkeit und ver¬
kappter Altklugheit mit Behagen aufnimmt, z. B. das Gespräch des speculativen
freigeistischen Wolfs mit dem prosaischen Hunde. Tieck hätte nur den alten
Schluß des Märchens, daß der Jäger den Bauch des Wolfes aufschneidet
und das RotsMppchen mit der Großmutter wieder unversehrt herausholt, bei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/340>, abgerufen am 22.07.2024.