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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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rühren kann, welcher die Gestalten unbekannter Dinge bis zur hellen Anschau¬
lichkeit und Einzelheit Rede stehen, deren Organ jedoch hier vorzüglich die
Schreibart ist: eine nicht sogenannte poetische, vielmehr sehr einfach gebaute,
aber wahrhaft poetisirte Prosa." -- Aber nur der Jünger der absoluten Kunst
hat über diesem duftigen, ätherischen und ahnungsvollen Stil den Widersinn
vergessen, der in dem träumerischen Jneinanderschweben der Gestalten und
Motive liegt.

Eckbert, ein Ritter von vierzig Jahren, lebt mit seiner Frau auf seinem
Schloß in gänzlicher Einsamkeit: er hat nur mit einem andern Ritter Namens
Walther Umgang. Eines Abends erzählt seine Frau, sie sei bei einer Here
erzogen worden und habe zur einzigen Gesellschaft einen Vogel gehabt, der
immer ein Lied von der Waldeinsamkeit gesungen; sie sei mit diesem^ Vogel
und einigen Kostbarkeiten emflohen. Aus einigen Worten Walthers merkt sie,
daß dieser von der Geschichte etwas Näheres wissen müsse. Darüber wird sie
sehr verstimmt, das Verhältniß zwischen den beiden Freunden nimmt einen ge¬
spannten Charakter an, und endlich ermordet Eckbert seinen Freund, von einem
unerklärlichen Drange getrieben. Seine Frau stirbt, er lebt in immer größerer
Einsamkeit, bis er einen neuen Freund findet, Hugo, dem er seine Geschichte
erzählt und der ihm mit Theilnahme entgegenkommt. Aber auch dieser zeigt
ihm einmal ganz sonderbare Züge und als Eckbert näher zusieht, ist es Wal¬
thers Gesicht. Er flieht in den Wald, überall begegnet ihm Walther, zuletzt die
Here, die ihm erzählt, sie sei Walther, sei Hugo; Walther und Hugo hätten
nie eristirt.

"Jetzt war es um das Bewußtsein, um die Sinne Eckberts geschehen.
Er konnte sich nicht aus dem Räthsel herausfinden, ob er jetzt träume, oder
ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte
sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert, und er
keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig .... Gott im Himmel, sagte er
still vor sich hin, in welcher entsetzlichen Einsamkeit habe ich dann mein Leben
hingebracht!" -- Das ist der bekannte Refrain aus dem William Lovell,
durchaus kein Naturlaut, sondern der Ausbruch einer durch Opium überreizten
Phantasie. Der düstere Nebel des Wahnsinns, der es ungewiß läßt, ob die
romantischen Geschichten blos im Traume, in der Einbildung, oder in der
Wirklichkeit vor sich gehen, ist im tiefsten Grunde ein Ausdruck der innern
Ironie; er widerspricht dem Wesen des deutschen Gemüths und macht es am
wenigsten möglich, die nationalen Ueberlieferungen festzuhalten, dem Volk
sein eignes instinctartiges Schaffen und Empfinden sinnlich vor Augen zu
stellen.

Mit derselben Virtuosität wird die Nachtseite der Natur in den übrigen
Märchen aufgeschlossen. Im Nuremberg ist, wenn wir von der seltsamen


rühren kann, welcher die Gestalten unbekannter Dinge bis zur hellen Anschau¬
lichkeit und Einzelheit Rede stehen, deren Organ jedoch hier vorzüglich die
Schreibart ist: eine nicht sogenannte poetische, vielmehr sehr einfach gebaute,
aber wahrhaft poetisirte Prosa." — Aber nur der Jünger der absoluten Kunst
hat über diesem duftigen, ätherischen und ahnungsvollen Stil den Widersinn
vergessen, der in dem träumerischen Jneinanderschweben der Gestalten und
Motive liegt.

Eckbert, ein Ritter von vierzig Jahren, lebt mit seiner Frau auf seinem
Schloß in gänzlicher Einsamkeit: er hat nur mit einem andern Ritter Namens
Walther Umgang. Eines Abends erzählt seine Frau, sie sei bei einer Here
erzogen worden und habe zur einzigen Gesellschaft einen Vogel gehabt, der
immer ein Lied von der Waldeinsamkeit gesungen; sie sei mit diesem^ Vogel
und einigen Kostbarkeiten emflohen. Aus einigen Worten Walthers merkt sie,
daß dieser von der Geschichte etwas Näheres wissen müsse. Darüber wird sie
sehr verstimmt, das Verhältniß zwischen den beiden Freunden nimmt einen ge¬
spannten Charakter an, und endlich ermordet Eckbert seinen Freund, von einem
unerklärlichen Drange getrieben. Seine Frau stirbt, er lebt in immer größerer
Einsamkeit, bis er einen neuen Freund findet, Hugo, dem er seine Geschichte
erzählt und der ihm mit Theilnahme entgegenkommt. Aber auch dieser zeigt
ihm einmal ganz sonderbare Züge und als Eckbert näher zusieht, ist es Wal¬
thers Gesicht. Er flieht in den Wald, überall begegnet ihm Walther, zuletzt die
Here, die ihm erzählt, sie sei Walther, sei Hugo; Walther und Hugo hätten
nie eristirt.

„Jetzt war es um das Bewußtsein, um die Sinne Eckberts geschehen.
Er konnte sich nicht aus dem Räthsel herausfinden, ob er jetzt träume, oder
ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte
sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert, und er
keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig .... Gott im Himmel, sagte er
still vor sich hin, in welcher entsetzlichen Einsamkeit habe ich dann mein Leben
hingebracht!" — Das ist der bekannte Refrain aus dem William Lovell,
durchaus kein Naturlaut, sondern der Ausbruch einer durch Opium überreizten
Phantasie. Der düstere Nebel des Wahnsinns, der es ungewiß läßt, ob die
romantischen Geschichten blos im Traume, in der Einbildung, oder in der
Wirklichkeit vor sich gehen, ist im tiefsten Grunde ein Ausdruck der innern
Ironie; er widerspricht dem Wesen des deutschen Gemüths und macht es am
wenigsten möglich, die nationalen Ueberlieferungen festzuhalten, dem Volk
sein eignes instinctartiges Schaffen und Empfinden sinnlich vor Augen zu
stellen.

Mit derselben Virtuosität wird die Nachtseite der Natur in den übrigen
Märchen aufgeschlossen. Im Nuremberg ist, wenn wir von der seltsamen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/338>, abgerufen am 22.07.2024.