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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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und Graf Nouv, getrieben von einem unerklärlichen Hasse, der seit Jahr¬
hunderten ihre Familien gegeneinander beseelt, fordern sich zum Zweikampfe
heraus. Paris will diesen Kampf verhindern und während die trunkene
Menge sich verliert, um in den Restaurants der Boulevards die Fort¬
setzung ihrer Orgien zu feiern und der Pantheon vor dem Blicke des Zuschauers
erscheint, -- tritt die Statue Frankreichs von dem Giebcldache herunter, um
im Verein mit Paris die beiden feindlichen Brüder zu retten. Sie wissen
dies nicht anders zu bewerkstelligen, als indem sie Armin und Rom"; in diesen
Schlaf versenken und ihnen im Traume die verhängnißvolle Geschichte ihrer
Race zeigen. Hiermit endigt der Prolog.

Das Stück selbst beginnt mit Merlin, also glücklich genug nicht mit dem
Sündenfalle des ersten Menschenpaares, nicht mit dem ersten Zweikampfe
zwischen Abel und Kam. Merlin wird in eine Zaubergrotte versetzt, obgleich
die Sage ihn von Viviane unter einen Strauch gebannt halten läßt.
Velleda hat einen Fehltritt begangen. Velleda ist die Seele von Paris, die
später in Heloisens sterblicher Hülle, dann in Jeanne d'Albret und endlich in
Mme. Roland Obdach sucht. Die Metempsychose ist das symbolische Band des
Stückes wie der Geist der feindlichen Racen das factische. So wandert Frank¬
reichs Seele nach und nach von der heiligen Genoveva in Jeanne d'Arc,
von dieser in Louise de la Balliere (!) und Charlotte Corday aus und ein.
Der Zauberer Merlin wird später Abälard und Moliere, -- die römische
Courtisane Jmperia erscheint als Melusine, Katharine von Medicis und end¬
lich als Magdalena in der Courtisane der Revolutionszeit unter dem Namen
der kleinen Lütticherin bekannt u. s. w.

Also Velleda, sagten wir, hat einen Fehltritt begangen. Die geheiligte
Druidin hat außer ihrem Gatten Frank noch wie Norm" den Proconsul Julius
Marcius geliebt und von beiden einen Sohn gehabt. Frank bringt den
Schänder seiner häuslichen Ehre in einem Zweikampfe um und Velleda, von
ihrem Schwager Thorn verrathen, weiht sich auf Merlins Geheiß dem Tode.
Sie vertraut diesem im letzten Augenblicke zwei Stücke ihres heiligen Hals¬
bandes an, das eine für den Sohn von Julius Marcius, das andere ihr ins
Grab zu legen, ein drittes gibt sie ihrem letzten Sohne Herrmann, damit er
daran seine Brüder erkenne. Thorn aber, statt die Brüder zu versöhnen, flüstert
Herrmann zu: dies ist der Sohn des Mannes, der deine Mutter entehrt und
dem andern: dies ist der Sohn vom Mörder deines Vaters. Zweikampf.
Cäsar war gekommen, Lutetia zu erobern in dem Momente, wo Velleda mit
ihrer goldenen Sichel sich den Hals abschneidet. Merlin prophezeit ihr den
Fall des römischen Reiches und die künftige Größe Lutetiens. Cäsar betrachtet
diese armen Fischerhütten mit Ironie und glaubt offenbar nicht an Merlins
Weissagung, denn er hält sie in seinen Commentaren keiner Erwähnung werth.


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und Graf Nouv, getrieben von einem unerklärlichen Hasse, der seit Jahr¬
hunderten ihre Familien gegeneinander beseelt, fordern sich zum Zweikampfe
heraus. Paris will diesen Kampf verhindern und während die trunkene
Menge sich verliert, um in den Restaurants der Boulevards die Fort¬
setzung ihrer Orgien zu feiern und der Pantheon vor dem Blicke des Zuschauers
erscheint, — tritt die Statue Frankreichs von dem Giebcldache herunter, um
im Verein mit Paris die beiden feindlichen Brüder zu retten. Sie wissen
dies nicht anders zu bewerkstelligen, als indem sie Armin und Rom«; in diesen
Schlaf versenken und ihnen im Traume die verhängnißvolle Geschichte ihrer
Race zeigen. Hiermit endigt der Prolog.

Das Stück selbst beginnt mit Merlin, also glücklich genug nicht mit dem
Sündenfalle des ersten Menschenpaares, nicht mit dem ersten Zweikampfe
zwischen Abel und Kam. Merlin wird in eine Zaubergrotte versetzt, obgleich
die Sage ihn von Viviane unter einen Strauch gebannt halten läßt.
Velleda hat einen Fehltritt begangen. Velleda ist die Seele von Paris, die
später in Heloisens sterblicher Hülle, dann in Jeanne d'Albret und endlich in
Mme. Roland Obdach sucht. Die Metempsychose ist das symbolische Band des
Stückes wie der Geist der feindlichen Racen das factische. So wandert Frank¬
reichs Seele nach und nach von der heiligen Genoveva in Jeanne d'Arc,
von dieser in Louise de la Balliere (!) und Charlotte Corday aus und ein.
Der Zauberer Merlin wird später Abälard und Moliere, — die römische
Courtisane Jmperia erscheint als Melusine, Katharine von Medicis und end¬
lich als Magdalena in der Courtisane der Revolutionszeit unter dem Namen
der kleinen Lütticherin bekannt u. s. w.

Also Velleda, sagten wir, hat einen Fehltritt begangen. Die geheiligte
Druidin hat außer ihrem Gatten Frank noch wie Norm« den Proconsul Julius
Marcius geliebt und von beiden einen Sohn gehabt. Frank bringt den
Schänder seiner häuslichen Ehre in einem Zweikampfe um und Velleda, von
ihrem Schwager Thorn verrathen, weiht sich auf Merlins Geheiß dem Tode.
Sie vertraut diesem im letzten Augenblicke zwei Stücke ihres heiligen Hals¬
bandes an, das eine für den Sohn von Julius Marcius, das andere ihr ins
Grab zu legen, ein drittes gibt sie ihrem letzten Sohne Herrmann, damit er
daran seine Brüder erkenne. Thorn aber, statt die Brüder zu versöhnen, flüstert
Herrmann zu: dies ist der Sohn des Mannes, der deine Mutter entehrt und
dem andern: dies ist der Sohn vom Mörder deines Vaters. Zweikampf.
Cäsar war gekommen, Lutetia zu erobern in dem Momente, wo Velleda mit
ihrer goldenen Sichel sich den Hals abschneidet. Merlin prophezeit ihr den
Fall des römischen Reiches und die künftige Größe Lutetiens. Cäsar betrachtet
diese armen Fischerhütten mit Ironie und glaubt offenbar nicht an Merlins
Weissagung, denn er hält sie in seinen Commentaren keiner Erwähnung werth.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/315>, abgerufen am 22.07.2024.