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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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zu diplomatischen Posten zu verwenden. Desto lauter und herber ist jetzt die
Kritik, und es'entgeht ihr keiner, von dem leidlichen Musiker, aber mittelmäßi¬
gem Staatsmann an einem großen deutschen Hofe bis zu dem diplomatischen
Alleinherrscher am Ufer des Bosporus. Der Eifer dieses letztern, seinem Vater¬
lande zu dienen, kann ebensowenig in Frage gezogen werden, wie seine, emi¬
nenten Fähigkeiten; wie sehr aber anderweitige Charaktereigenschaften ihm im
Wege- stehen, sich einen gedeihlichen Wirkungskreis zu schaffen, zeigt folgende
Skizze eines anonymen, früher in diplomatischen Diensten im Orient verwendet
gewesenen Engländers (Layard? bekanntlich früher Attache in Konstantinopel),
die allerdings etwas ins Schwarze gemalt ist, aber nach Wegtilgung einiger
überflüssiger Schatten ein ziemlich richtiges Charakterbild gibt. Der "roving
Englishman" führt ihn unter den Namen Sir Hector Stubble, Gesandter am
Hofe des Negerkönigreichs Dahomey ein, doch ist der dünne Schleier der
Pseudonymität leicht zu durchschauen.

Alle lebenden Wesen, die unter seinem Einflüsse standen, hat Sir Hector an
einander gehetzt -- er hatte dafür ein wahres Talent. Man konnte nicht mit einem
englischen Unterthan, den man zufällig traf, über die Straße gehen, ohne daß
dieser englische Unterthan sofort über jeden andern englischen Unterthan in der
Stadt -- und es hielten sich daselbst viele auf -- zu schimpfen anfing. Ueber¬
haupt herrschte unter diesen Unterthanen die allerschönste Zwietracht; Klatschen
und Ehrabschneider, Zerrereien und Zänkereien hörten den ganzen Tag nicht
aus. Selbst die Hunde und Katzen im Orte lernten sich einander mißtrauisch an¬
sehen. Ich habe mir nie erklären können, wie es so ein durch und durch respec-
tabler Mann hat anfangen können, sich so gründlich unangenehm zu machen.
Er war ein Mann von einer ganz anständigen Durchschnittsfähigkeit -- recht¬
schaffen, unermüdlich, fleißig und patriotisch, wo man ihm nicht widersprach
und immer und allerwärts ein Gentleman; aber ein härterer, schrofferer, un¬
gerechterer, unliebenswürdigerer Mann hat noch nie in dem eisstarrenden
Kreise seines eigenen Stolzes und seiner Grämlichkeit gestanden. Er war der
stolzeste und hochmütigste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist. Er trat
anderer Menschen Gefühle so vorsätzlich und rücksichtslos mit Füßen, als
wären sie bloße hölzerne Puppen, bestimmt, ihm zu dienen. Er war kein Mann
von großer Seele, denn er hatte Favoriten und quälte sich immer mit Eifersüchteleien
und kleinlichen Feindschaften; selbst seine Leidenschaften waren dürftig, und sein
Geist keineswegs gewaltig genug, um sie vergessen zu machen.
'

l0,<Er war fast sein ganzes Leben hindurch in Dahomey gewesen, und Da¬
homey ist eine sehr schlechte Erziehungsschule sür einen englischen Gentleman.
Er war von Jugend auf im Besitz von zu viel Gewalt über andere gewesen
und zuletzt konnte er zu niemand mehr anders sprechen, als im verletzenden
Tone des herben Befehls; und niemals konnte er unterlassen, seinen höhern


zu diplomatischen Posten zu verwenden. Desto lauter und herber ist jetzt die
Kritik, und es'entgeht ihr keiner, von dem leidlichen Musiker, aber mittelmäßi¬
gem Staatsmann an einem großen deutschen Hofe bis zu dem diplomatischen
Alleinherrscher am Ufer des Bosporus. Der Eifer dieses letztern, seinem Vater¬
lande zu dienen, kann ebensowenig in Frage gezogen werden, wie seine, emi¬
nenten Fähigkeiten; wie sehr aber anderweitige Charaktereigenschaften ihm im
Wege- stehen, sich einen gedeihlichen Wirkungskreis zu schaffen, zeigt folgende
Skizze eines anonymen, früher in diplomatischen Diensten im Orient verwendet
gewesenen Engländers (Layard? bekanntlich früher Attache in Konstantinopel),
die allerdings etwas ins Schwarze gemalt ist, aber nach Wegtilgung einiger
überflüssiger Schatten ein ziemlich richtiges Charakterbild gibt. Der „roving
Englishman" führt ihn unter den Namen Sir Hector Stubble, Gesandter am
Hofe des Negerkönigreichs Dahomey ein, doch ist der dünne Schleier der
Pseudonymität leicht zu durchschauen.

Alle lebenden Wesen, die unter seinem Einflüsse standen, hat Sir Hector an
einander gehetzt — er hatte dafür ein wahres Talent. Man konnte nicht mit einem
englischen Unterthan, den man zufällig traf, über die Straße gehen, ohne daß
dieser englische Unterthan sofort über jeden andern englischen Unterthan in der
Stadt — und es hielten sich daselbst viele auf — zu schimpfen anfing. Ueber¬
haupt herrschte unter diesen Unterthanen die allerschönste Zwietracht; Klatschen
und Ehrabschneider, Zerrereien und Zänkereien hörten den ganzen Tag nicht
aus. Selbst die Hunde und Katzen im Orte lernten sich einander mißtrauisch an¬
sehen. Ich habe mir nie erklären können, wie es so ein durch und durch respec-
tabler Mann hat anfangen können, sich so gründlich unangenehm zu machen.
Er war ein Mann von einer ganz anständigen Durchschnittsfähigkeit — recht¬
schaffen, unermüdlich, fleißig und patriotisch, wo man ihm nicht widersprach
und immer und allerwärts ein Gentleman; aber ein härterer, schrofferer, un¬
gerechterer, unliebenswürdigerer Mann hat noch nie in dem eisstarrenden
Kreise seines eigenen Stolzes und seiner Grämlichkeit gestanden. Er war der
stolzeste und hochmütigste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist. Er trat
anderer Menschen Gefühle so vorsätzlich und rücksichtslos mit Füßen, als
wären sie bloße hölzerne Puppen, bestimmt, ihm zu dienen. Er war kein Mann
von großer Seele, denn er hatte Favoriten und quälte sich immer mit Eifersüchteleien
und kleinlichen Feindschaften; selbst seine Leidenschaften waren dürftig, und sein
Geist keineswegs gewaltig genug, um sie vergessen zu machen.
'

l0,<Er war fast sein ganzes Leben hindurch in Dahomey gewesen, und Da¬
homey ist eine sehr schlechte Erziehungsschule sür einen englischen Gentleman.
Er war von Jugend auf im Besitz von zu viel Gewalt über andere gewesen
und zuletzt konnte er zu niemand mehr anders sprechen, als im verletzenden
Tone des herben Befehls; und niemals konnte er unterlassen, seinen höhern


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[0309] zu diplomatischen Posten zu verwenden. Desto lauter und herber ist jetzt die Kritik, und es'entgeht ihr keiner, von dem leidlichen Musiker, aber mittelmäßi¬ gem Staatsmann an einem großen deutschen Hofe bis zu dem diplomatischen Alleinherrscher am Ufer des Bosporus. Der Eifer dieses letztern, seinem Vater¬ lande zu dienen, kann ebensowenig in Frage gezogen werden, wie seine, emi¬ nenten Fähigkeiten; wie sehr aber anderweitige Charaktereigenschaften ihm im Wege- stehen, sich einen gedeihlichen Wirkungskreis zu schaffen, zeigt folgende Skizze eines anonymen, früher in diplomatischen Diensten im Orient verwendet gewesenen Engländers (Layard? bekanntlich früher Attache in Konstantinopel), die allerdings etwas ins Schwarze gemalt ist, aber nach Wegtilgung einiger überflüssiger Schatten ein ziemlich richtiges Charakterbild gibt. Der „roving Englishman" führt ihn unter den Namen Sir Hector Stubble, Gesandter am Hofe des Negerkönigreichs Dahomey ein, doch ist der dünne Schleier der Pseudonymität leicht zu durchschauen. Alle lebenden Wesen, die unter seinem Einflüsse standen, hat Sir Hector an einander gehetzt — er hatte dafür ein wahres Talent. Man konnte nicht mit einem englischen Unterthan, den man zufällig traf, über die Straße gehen, ohne daß dieser englische Unterthan sofort über jeden andern englischen Unterthan in der Stadt — und es hielten sich daselbst viele auf — zu schimpfen anfing. Ueber¬ haupt herrschte unter diesen Unterthanen die allerschönste Zwietracht; Klatschen und Ehrabschneider, Zerrereien und Zänkereien hörten den ganzen Tag nicht aus. Selbst die Hunde und Katzen im Orte lernten sich einander mißtrauisch an¬ sehen. Ich habe mir nie erklären können, wie es so ein durch und durch respec- tabler Mann hat anfangen können, sich so gründlich unangenehm zu machen. Er war ein Mann von einer ganz anständigen Durchschnittsfähigkeit — recht¬ schaffen, unermüdlich, fleißig und patriotisch, wo man ihm nicht widersprach und immer und allerwärts ein Gentleman; aber ein härterer, schrofferer, un¬ gerechterer, unliebenswürdigerer Mann hat noch nie in dem eisstarrenden Kreise seines eigenen Stolzes und seiner Grämlichkeit gestanden. Er war der stolzeste und hochmütigste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist. Er trat anderer Menschen Gefühle so vorsätzlich und rücksichtslos mit Füßen, als wären sie bloße hölzerne Puppen, bestimmt, ihm zu dienen. Er war kein Mann von großer Seele, denn er hatte Favoriten und quälte sich immer mit Eifersüchteleien und kleinlichen Feindschaften; selbst seine Leidenschaften waren dürftig, und sein Geist keineswegs gewaltig genug, um sie vergessen zu machen. ' l0,<Er war fast sein ganzes Leben hindurch in Dahomey gewesen, und Da¬ homey ist eine sehr schlechte Erziehungsschule sür einen englischen Gentleman. Er war von Jugend auf im Besitz von zu viel Gewalt über andere gewesen und zuletzt konnte er zu niemand mehr anders sprechen, als im verletzenden Tone des herben Befehls; und niemals konnte er unterlassen, seinen höhern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/309>, abgerufen am 22.07.2024.