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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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fortdauernden Werken, d. h. von Stiftungen, erlauben." Mit andern
Worten heißt das: Wir verlangen, daß es gesetzlich erlaubt sei, der Kirche
und besonders den Klöstern Legate und Schenkungen zu machen, auf Kosten
der natürlichen Erben; damit der Klerus wieder reich und allmächtig werden
und, in der Hoffart und Ueppigkeit von keiner Controle beschränkt, leben und
gedeihen kann. Unter dem vorigen Ministerium hatte der Justizminister,
Herr Falter, der Kammer zwei Gesetzvorschläge über die öffentliche Wohl¬
thätigkeit und über Legate und Schenkungen vorgelegt, worin den frommen
Herren die nach den Schätzen dieser sündigen Welt lüsternen Hände gebunden
werden. Obwol mehrfach zur Verhandlung gekommen, sind diese Vorschläge
nicht erledigt worden und sie zuerst vor allem soll das jetzige Ministerium
zurückziehen. Die ernsten Geister, welche den Gang der Theokratie in Europa
mit Aufmerksamkeit verfolgen, werden manches aus den Kämpfen lernen können,
die bei Gelegenheit der Gesetzvorlagen über die Güter der tovten Hand neuer¬
dings in Piemont und Spanien entbrannt sind. In beiden Ländern haben
die Bevölkerungen die religiösen Corporationen reichlich dotirt gesehen, im¬
mense Einkünfte genießend; sie haben gesehen, wie diese Reichthümer für den
Lurus der Klöster, für das Raffinement des materiellen Lebens vergeudet
wurden. In Spanien steht das Elend des Volks im schreiendsten Gegensatz
zu dem Reichthum der Klöster; in Piemont trieben der höhere Klerus und die
Cvngregationen, unrechtmäßige Besitzer von unermeßlichen Landstrecken, den
Egoismus und die Habgier soweit, daß sie den niedern Klerus in einem Zu¬
stande, der an Armuth grenzte, vegetiren ließen. In Belgien eristirt die todte
Hand nur in wenig ausgedehntem Maße, im verhüllenden Schatten des Trugs
und im Namen der Mildthätigkeit reclamiren jetzt die Cvngregationen den
Vortheil davon. Auf dem classischen Boden der todten Hand, in Spanien und-
ir Piemont, wird das Wort Mildthätigkeit zur Vertheidigung der kirch¬
lichen Güter nicht einmal ausgesprochen. Prälaten und Mönche rufen die
Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes an; das Argument von der Mild¬
thätigkeit lassen sie bei Seite; sie wissen, daß sich aus dem Schoße der Nation
die Beschuldigung der Lüge erheben würde, ließen sie es sich beikommen,
gegen das erlassene Gesetz im Namen und im Interesse der Armen zu pro-
testiren. In Belgien dagegen ist es ausschließlich dieses Interesse, in dessen
Namen die religiösen Congregationen das Recht bürgerlicher Personen ver¬
langen. Nicht für sich, rufen die Partisane der todten Hand aus, wollen die
Congregationen erwerben und erben, ausgedehnte Besitzungen ankaufen, Schen¬
kungen und Legate empfangen: nur für die Armen! Hier hütet man sich, die
Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes vorzuschieben: die Mildthätigkeit,
allein die Mildthätigkeit ist das Argument, womit man die Wiederherstellung
der todten Hand erlangen will. Des Versuchs einer neuen Erfahrung bedarf


fortdauernden Werken, d. h. von Stiftungen, erlauben." Mit andern
Worten heißt das: Wir verlangen, daß es gesetzlich erlaubt sei, der Kirche
und besonders den Klöstern Legate und Schenkungen zu machen, auf Kosten
der natürlichen Erben; damit der Klerus wieder reich und allmächtig werden
und, in der Hoffart und Ueppigkeit von keiner Controle beschränkt, leben und
gedeihen kann. Unter dem vorigen Ministerium hatte der Justizminister,
Herr Falter, der Kammer zwei Gesetzvorschläge über die öffentliche Wohl¬
thätigkeit und über Legate und Schenkungen vorgelegt, worin den frommen
Herren die nach den Schätzen dieser sündigen Welt lüsternen Hände gebunden
werden. Obwol mehrfach zur Verhandlung gekommen, sind diese Vorschläge
nicht erledigt worden und sie zuerst vor allem soll das jetzige Ministerium
zurückziehen. Die ernsten Geister, welche den Gang der Theokratie in Europa
mit Aufmerksamkeit verfolgen, werden manches aus den Kämpfen lernen können,
die bei Gelegenheit der Gesetzvorlagen über die Güter der tovten Hand neuer¬
dings in Piemont und Spanien entbrannt sind. In beiden Ländern haben
die Bevölkerungen die religiösen Corporationen reichlich dotirt gesehen, im¬
mense Einkünfte genießend; sie haben gesehen, wie diese Reichthümer für den
Lurus der Klöster, für das Raffinement des materiellen Lebens vergeudet
wurden. In Spanien steht das Elend des Volks im schreiendsten Gegensatz
zu dem Reichthum der Klöster; in Piemont trieben der höhere Klerus und die
Cvngregationen, unrechtmäßige Besitzer von unermeßlichen Landstrecken, den
Egoismus und die Habgier soweit, daß sie den niedern Klerus in einem Zu¬
stande, der an Armuth grenzte, vegetiren ließen. In Belgien eristirt die todte
Hand nur in wenig ausgedehntem Maße, im verhüllenden Schatten des Trugs
und im Namen der Mildthätigkeit reclamiren jetzt die Cvngregationen den
Vortheil davon. Auf dem classischen Boden der todten Hand, in Spanien und-
ir Piemont, wird das Wort Mildthätigkeit zur Vertheidigung der kirch¬
lichen Güter nicht einmal ausgesprochen. Prälaten und Mönche rufen die
Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes an; das Argument von der Mild¬
thätigkeit lassen sie bei Seite; sie wissen, daß sich aus dem Schoße der Nation
die Beschuldigung der Lüge erheben würde, ließen sie es sich beikommen,
gegen das erlassene Gesetz im Namen und im Interesse der Armen zu pro-
testiren. In Belgien dagegen ist es ausschließlich dieses Interesse, in dessen
Namen die religiösen Congregationen das Recht bürgerlicher Personen ver¬
langen. Nicht für sich, rufen die Partisane der todten Hand aus, wollen die
Congregationen erwerben und erben, ausgedehnte Besitzungen ankaufen, Schen¬
kungen und Legate empfangen: nur für die Armen! Hier hütet man sich, die
Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes vorzuschieben: die Mildthätigkeit,
allein die Mildthätigkeit ist das Argument, womit man die Wiederherstellung
der todten Hand erlangen will. Des Versuchs einer neuen Erfahrung bedarf


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[0306] fortdauernden Werken, d. h. von Stiftungen, erlauben." Mit andern Worten heißt das: Wir verlangen, daß es gesetzlich erlaubt sei, der Kirche und besonders den Klöstern Legate und Schenkungen zu machen, auf Kosten der natürlichen Erben; damit der Klerus wieder reich und allmächtig werden und, in der Hoffart und Ueppigkeit von keiner Controle beschränkt, leben und gedeihen kann. Unter dem vorigen Ministerium hatte der Justizminister, Herr Falter, der Kammer zwei Gesetzvorschläge über die öffentliche Wohl¬ thätigkeit und über Legate und Schenkungen vorgelegt, worin den frommen Herren die nach den Schätzen dieser sündigen Welt lüsternen Hände gebunden werden. Obwol mehrfach zur Verhandlung gekommen, sind diese Vorschläge nicht erledigt worden und sie zuerst vor allem soll das jetzige Ministerium zurückziehen. Die ernsten Geister, welche den Gang der Theokratie in Europa mit Aufmerksamkeit verfolgen, werden manches aus den Kämpfen lernen können, die bei Gelegenheit der Gesetzvorlagen über die Güter der tovten Hand neuer¬ dings in Piemont und Spanien entbrannt sind. In beiden Ländern haben die Bevölkerungen die religiösen Corporationen reichlich dotirt gesehen, im¬ mense Einkünfte genießend; sie haben gesehen, wie diese Reichthümer für den Lurus der Klöster, für das Raffinement des materiellen Lebens vergeudet wurden. In Spanien steht das Elend des Volks im schreiendsten Gegensatz zu dem Reichthum der Klöster; in Piemont trieben der höhere Klerus und die Cvngregationen, unrechtmäßige Besitzer von unermeßlichen Landstrecken, den Egoismus und die Habgier soweit, daß sie den niedern Klerus in einem Zu¬ stande, der an Armuth grenzte, vegetiren ließen. In Belgien eristirt die todte Hand nur in wenig ausgedehntem Maße, im verhüllenden Schatten des Trugs und im Namen der Mildthätigkeit reclamiren jetzt die Cvngregationen den Vortheil davon. Auf dem classischen Boden der todten Hand, in Spanien und- ir Piemont, wird das Wort Mildthätigkeit zur Vertheidigung der kirch¬ lichen Güter nicht einmal ausgesprochen. Prälaten und Mönche rufen die Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes an; das Argument von der Mild¬ thätigkeit lassen sie bei Seite; sie wissen, daß sich aus dem Schoße der Nation die Beschuldigung der Lüge erheben würde, ließen sie es sich beikommen, gegen das erlassene Gesetz im Namen und im Interesse der Armen zu pro- testiren. In Belgien dagegen ist es ausschließlich dieses Interesse, in dessen Namen die religiösen Congregationen das Recht bürgerlicher Personen ver¬ langen. Nicht für sich, rufen die Partisane der todten Hand aus, wollen die Congregationen erwerben und erben, ausgedehnte Besitzungen ankaufen, Schen¬ kungen und Legate empfangen: nur für die Armen! Hier hütet man sich, die Rechte der Kirche, die Decrete des Papstes vorzuschieben: die Mildthätigkeit, allein die Mildthätigkeit ist das Argument, womit man die Wiederherstellung der todten Hand erlangen will. Des Versuchs einer neuen Erfahrung bedarf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/306>, abgerufen am 22.07.2024.