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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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gerben Falle hat das Cabinet blos auf den Wink jener Argusaugen gehandelt,
welche zu Paris, von der Rue de Jerusalem aus, die Civilisation und den Fortschritt
bewachen. Aber warum beeilte es sich, dem Drängen unserer Nachbarn nach¬
zugeben? Dieses Concesstonssystem vernichtet unsere Unabhängigkeit und setzt
uns Verlegenheiten aus. Was würden unsere Minister antworten können,
wenn Rußland morgen als Repressalie die Ausweisung aller fremden Schrift¬
steller verlangte, die an bonapartistischen Blättern in Belgien mitarbeiten?
Zweifelsohne wären sie verpflichtet, auch hier nachzugeben; sie würden keinen
vernünftigen Grund haben, sich solchen Uebertreibungen zu widersetzen. Dahin
könnte die Politik führen, welche unsere Staatslenker seit mehren Jahren be¬
folgen. Es ist noch nicht lange her, daß man sich vor demselben Rußland
demüthigte, dem man heute zu trotzen scheint. Um einen moskowitischen Ge¬
sandten in Brüssel zu haben wurden die polnischen Offiziere, die uns gehol¬
fen, unsere Nationalität zu erobern, aus der Armee gewiesen. Belgische
Diplomaten machten im Auslande ausschweifende Demonstrationen zu Gunsten
der russischen Politik; Herr Blondel unter anderen, der frühere feuerrothe
Demokrat, zeigte sich in Konstantinopel als eifriger Partisan des Fürsten
Menschikoff. Heute ist es die napoleonische Gewalt, der man huldigt; morgen
wird vielleicht die Reihe wieder an Rußland kommen, und so die Windfahne
in fortwährender Bewegung bleiben. Der Justizminister, von welchem, auf
Antrag der SicherheilSbehörde die Ausweisungen ausgehen, hat als Princip
aufgestellt, daß kein Fremder in der belgischen Presse befreundete Regierungen
angreifen dürfe. "Befreundete Regierungen angreifen" ist ein Vergehen von
einer so unbestimmten Qualifikation, daß Willkür dabei freies Spiel hat. Zum
Schutze fremder Fürsten gegen die Angriffe der Presse haben wir das unter
dem Justizminister Falter angenommene Gesetz. Das Cabinet halte sich an
die Ausführung dieses Gesetzes, es ist dabei in seinem Recht, es ist sogar
seine Pflicht als erecutive Gewalt, die es freilich nicht ausübt, indem die Er¬
fahrung gelehrt hat, daß die Geschworenen von dem Faiderschen Preßgesetz
nichts wissen wollen. Wenn es aber den Polizisten fremder Regierungen in
dem Maße spielt, daß es diese in einer Weise schützen will, wie das Landes-
gesetz die belgische Regierung selbst nicht schützt, so legt es damit eine Will¬
fährigkeit an den Tag, welche unsere Rechte als freie Nation verkennt. Dazu
hat es nicht einmal die Entschuldigung für sich, daß es der fremden Regierung
einen wirklichen Dienst geleistet habe: denn im vorliegenden Falle ist dieser
Dienst Null geblieben. Der Nord erscheint; nur daß er, statt von Fremden,
jetzt von Belgiern redigirt wird, an seiner Spitze Herr Victor Capelle-
mans, ein versatiler Musikant, der früher bei der Emancipation den kle¬
rikalen Serpent spielte, dann bei der Jndependance die liberale Q-uerpseife
blies, und nun, in Kaftan und Kosackenhosen, es mit der russischen Horn-


gerben Falle hat das Cabinet blos auf den Wink jener Argusaugen gehandelt,
welche zu Paris, von der Rue de Jerusalem aus, die Civilisation und den Fortschritt
bewachen. Aber warum beeilte es sich, dem Drängen unserer Nachbarn nach¬
zugeben? Dieses Concesstonssystem vernichtet unsere Unabhängigkeit und setzt
uns Verlegenheiten aus. Was würden unsere Minister antworten können,
wenn Rußland morgen als Repressalie die Ausweisung aller fremden Schrift¬
steller verlangte, die an bonapartistischen Blättern in Belgien mitarbeiten?
Zweifelsohne wären sie verpflichtet, auch hier nachzugeben; sie würden keinen
vernünftigen Grund haben, sich solchen Uebertreibungen zu widersetzen. Dahin
könnte die Politik führen, welche unsere Staatslenker seit mehren Jahren be¬
folgen. Es ist noch nicht lange her, daß man sich vor demselben Rußland
demüthigte, dem man heute zu trotzen scheint. Um einen moskowitischen Ge¬
sandten in Brüssel zu haben wurden die polnischen Offiziere, die uns gehol¬
fen, unsere Nationalität zu erobern, aus der Armee gewiesen. Belgische
Diplomaten machten im Auslande ausschweifende Demonstrationen zu Gunsten
der russischen Politik; Herr Blondel unter anderen, der frühere feuerrothe
Demokrat, zeigte sich in Konstantinopel als eifriger Partisan des Fürsten
Menschikoff. Heute ist es die napoleonische Gewalt, der man huldigt; morgen
wird vielleicht die Reihe wieder an Rußland kommen, und so die Windfahne
in fortwährender Bewegung bleiben. Der Justizminister, von welchem, auf
Antrag der SicherheilSbehörde die Ausweisungen ausgehen, hat als Princip
aufgestellt, daß kein Fremder in der belgischen Presse befreundete Regierungen
angreifen dürfe. „Befreundete Regierungen angreifen" ist ein Vergehen von
einer so unbestimmten Qualifikation, daß Willkür dabei freies Spiel hat. Zum
Schutze fremder Fürsten gegen die Angriffe der Presse haben wir das unter
dem Justizminister Falter angenommene Gesetz. Das Cabinet halte sich an
die Ausführung dieses Gesetzes, es ist dabei in seinem Recht, es ist sogar
seine Pflicht als erecutive Gewalt, die es freilich nicht ausübt, indem die Er¬
fahrung gelehrt hat, daß die Geschworenen von dem Faiderschen Preßgesetz
nichts wissen wollen. Wenn es aber den Polizisten fremder Regierungen in
dem Maße spielt, daß es diese in einer Weise schützen will, wie das Landes-
gesetz die belgische Regierung selbst nicht schützt, so legt es damit eine Will¬
fährigkeit an den Tag, welche unsere Rechte als freie Nation verkennt. Dazu
hat es nicht einmal die Entschuldigung für sich, daß es der fremden Regierung
einen wirklichen Dienst geleistet habe: denn im vorliegenden Falle ist dieser
Dienst Null geblieben. Der Nord erscheint; nur daß er, statt von Fremden,
jetzt von Belgiern redigirt wird, an seiner Spitze Herr Victor Capelle-
mans, ein versatiler Musikant, der früher bei der Emancipation den kle¬
rikalen Serpent spielte, dann bei der Jndependance die liberale Q-uerpseife
blies, und nun, in Kaftan und Kosackenhosen, es mit der russischen Horn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/278>, abgerufen am 22.12.2024.