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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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zu erschließen. Außer den erlaubten Lotterien bestanden in London 400 un¬
erlaubte, die keine reelle Grundlage hatten und man hat berechnet, daß blos
die Dienstbotenbevölkerung der Hauptstadt jährlich eine halbe Million Pfund
in diesen Abgrund warf. In der Provinz war das Uebel nicht geringer und
die ungewöhnliche Zahl der Selbstmorde war ein deutliches Symptom der Ver¬
heerung, die es anrichtete. Aber auch der Humor fand in dem düstern Bilde
eine Stelle. Eine Frau, die ein Loos gekauft hatte, suchte sich die Frömmig¬
keit der Gläubigen dadurch zu Nutze zu machen, daß sie in der Kirche zum
Gebet für eine Frau "die sich in eine neue Unternehmung eingelassen hat",
zur Fürbitte auffordern ließ. Obgleich mehre Male gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts verboten, verschwanden die Lotterien doch nicht ganz, denn die
Regierung selbst mußte noch einige Male Zuflucht zu ihnen nehmen und erst
1826 wurden sie durch das Unterhaus definitiv abgeschafft. Sie brachten damals
dem Staate 300,000 Pfund ein und die letzte Ziehung fand am 19. October
1826 statt.

Eine der traurigsten Episoden der Geschichte der Börsen bilden die großen
Krisen, welche sich fast in regelmäßigen Zwischenräumen einstellen und wo dann
mir graunerregender Schnelligkeit die größten und allem Anscheine nach soli¬
desten finanziellen Größen in den Staub sinken. Auf die große, durch den
Südseeschwindel veranlaßte Krisis folgte bereits 30 Jahre später, 1772, eine
neue. Den Anstoß dazu gab das Fallissement einer schottischen Privatbank.
Diese Bank hatte ihr Papier mit wahrhaft fabelhafter Großmuth ausgegeben.
Durch den Erfolg kühn geworden trieb sie das Vertrauen bis zur Thorheit
und lieh jedem, der zu ihr kam, selbst dem einfachen Arbeiter und Ackerknecht,
Geld; wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, hatte sie es endlich so weit
gebracht, daß die Capitalien mit tiefster Verachtung auf alles Metallgeld
herabblickten. Aber ebenso sicher kommt der plötzliche Rückschlag, wo kein
Mensch mehr dem Papier trauen will. Als diese Zeit für das Haus Douglas,
Heron u. Comp. kam, trat eine schreckliche Krisis ein. Selbst die königliche
Bank von Schottland und alle Privätbankiers Englands wurden aufs tiefste
erschüttert und die berühmteste finanzielle Größe jener Zeit, Sir Alexander
Fordyce war gänzlich zu Grunde gerichtet. Er hatte als einfacher Mützen¬
macher in Aberdeen angefangen und war dann, um sein Glück zu versuchen,
nach London gegangen. Hier fand er eine Anstellung in einem großen Bankier-
geschäst der City, dessen Associe er später wurde, und an dessen Spitze er den
ganzen Reichthum seines finanziellen Genies entwickelte. So erwarb er in
wenigen Jahren ein unermeßliches Vermögen. Damals waren grade einige
Abenteurer aus Ostindien zurückgekehrt, die Altengland mit ihren dort erworbenen
Schätzen in athemloses Erstaunen versetzten. Voller Ehrgeiz wetteiferte Fordyce
mit diesen Nabobs, ließ Kirchen bauen, gründete Hospitäler, wurde darauf


zu erschließen. Außer den erlaubten Lotterien bestanden in London 400 un¬
erlaubte, die keine reelle Grundlage hatten und man hat berechnet, daß blos
die Dienstbotenbevölkerung der Hauptstadt jährlich eine halbe Million Pfund
in diesen Abgrund warf. In der Provinz war das Uebel nicht geringer und
die ungewöhnliche Zahl der Selbstmorde war ein deutliches Symptom der Ver¬
heerung, die es anrichtete. Aber auch der Humor fand in dem düstern Bilde
eine Stelle. Eine Frau, die ein Loos gekauft hatte, suchte sich die Frömmig¬
keit der Gläubigen dadurch zu Nutze zu machen, daß sie in der Kirche zum
Gebet für eine Frau „die sich in eine neue Unternehmung eingelassen hat",
zur Fürbitte auffordern ließ. Obgleich mehre Male gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts verboten, verschwanden die Lotterien doch nicht ganz, denn die
Regierung selbst mußte noch einige Male Zuflucht zu ihnen nehmen und erst
1826 wurden sie durch das Unterhaus definitiv abgeschafft. Sie brachten damals
dem Staate 300,000 Pfund ein und die letzte Ziehung fand am 19. October
1826 statt.

Eine der traurigsten Episoden der Geschichte der Börsen bilden die großen
Krisen, welche sich fast in regelmäßigen Zwischenräumen einstellen und wo dann
mir graunerregender Schnelligkeit die größten und allem Anscheine nach soli¬
desten finanziellen Größen in den Staub sinken. Auf die große, durch den
Südseeschwindel veranlaßte Krisis folgte bereits 30 Jahre später, 1772, eine
neue. Den Anstoß dazu gab das Fallissement einer schottischen Privatbank.
Diese Bank hatte ihr Papier mit wahrhaft fabelhafter Großmuth ausgegeben.
Durch den Erfolg kühn geworden trieb sie das Vertrauen bis zur Thorheit
und lieh jedem, der zu ihr kam, selbst dem einfachen Arbeiter und Ackerknecht,
Geld; wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, hatte sie es endlich so weit
gebracht, daß die Capitalien mit tiefster Verachtung auf alles Metallgeld
herabblickten. Aber ebenso sicher kommt der plötzliche Rückschlag, wo kein
Mensch mehr dem Papier trauen will. Als diese Zeit für das Haus Douglas,
Heron u. Comp. kam, trat eine schreckliche Krisis ein. Selbst die königliche
Bank von Schottland und alle Privätbankiers Englands wurden aufs tiefste
erschüttert und die berühmteste finanzielle Größe jener Zeit, Sir Alexander
Fordyce war gänzlich zu Grunde gerichtet. Er hatte als einfacher Mützen¬
macher in Aberdeen angefangen und war dann, um sein Glück zu versuchen,
nach London gegangen. Hier fand er eine Anstellung in einem großen Bankier-
geschäst der City, dessen Associe er später wurde, und an dessen Spitze er den
ganzen Reichthum seines finanziellen Genies entwickelte. So erwarb er in
wenigen Jahren ein unermeßliches Vermögen. Damals waren grade einige
Abenteurer aus Ostindien zurückgekehrt, die Altengland mit ihren dort erworbenen
Schätzen in athemloses Erstaunen versetzten. Voller Ehrgeiz wetteiferte Fordyce
mit diesen Nabobs, ließ Kirchen bauen, gründete Hospitäler, wurde darauf


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[0271] zu erschließen. Außer den erlaubten Lotterien bestanden in London 400 un¬ erlaubte, die keine reelle Grundlage hatten und man hat berechnet, daß blos die Dienstbotenbevölkerung der Hauptstadt jährlich eine halbe Million Pfund in diesen Abgrund warf. In der Provinz war das Uebel nicht geringer und die ungewöhnliche Zahl der Selbstmorde war ein deutliches Symptom der Ver¬ heerung, die es anrichtete. Aber auch der Humor fand in dem düstern Bilde eine Stelle. Eine Frau, die ein Loos gekauft hatte, suchte sich die Frömmig¬ keit der Gläubigen dadurch zu Nutze zu machen, daß sie in der Kirche zum Gebet für eine Frau „die sich in eine neue Unternehmung eingelassen hat", zur Fürbitte auffordern ließ. Obgleich mehre Male gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verboten, verschwanden die Lotterien doch nicht ganz, denn die Regierung selbst mußte noch einige Male Zuflucht zu ihnen nehmen und erst 1826 wurden sie durch das Unterhaus definitiv abgeschafft. Sie brachten damals dem Staate 300,000 Pfund ein und die letzte Ziehung fand am 19. October 1826 statt. Eine der traurigsten Episoden der Geschichte der Börsen bilden die großen Krisen, welche sich fast in regelmäßigen Zwischenräumen einstellen und wo dann mir graunerregender Schnelligkeit die größten und allem Anscheine nach soli¬ desten finanziellen Größen in den Staub sinken. Auf die große, durch den Südseeschwindel veranlaßte Krisis folgte bereits 30 Jahre später, 1772, eine neue. Den Anstoß dazu gab das Fallissement einer schottischen Privatbank. Diese Bank hatte ihr Papier mit wahrhaft fabelhafter Großmuth ausgegeben. Durch den Erfolg kühn geworden trieb sie das Vertrauen bis zur Thorheit und lieh jedem, der zu ihr kam, selbst dem einfachen Arbeiter und Ackerknecht, Geld; wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, hatte sie es endlich so weit gebracht, daß die Capitalien mit tiefster Verachtung auf alles Metallgeld herabblickten. Aber ebenso sicher kommt der plötzliche Rückschlag, wo kein Mensch mehr dem Papier trauen will. Als diese Zeit für das Haus Douglas, Heron u. Comp. kam, trat eine schreckliche Krisis ein. Selbst die königliche Bank von Schottland und alle Privätbankiers Englands wurden aufs tiefste erschüttert und die berühmteste finanzielle Größe jener Zeit, Sir Alexander Fordyce war gänzlich zu Grunde gerichtet. Er hatte als einfacher Mützen¬ macher in Aberdeen angefangen und war dann, um sein Glück zu versuchen, nach London gegangen. Hier fand er eine Anstellung in einem großen Bankier- geschäst der City, dessen Associe er später wurde, und an dessen Spitze er den ganzen Reichthum seines finanziellen Genies entwickelte. So erwarb er in wenigen Jahren ein unermeßliches Vermögen. Damals waren grade einige Abenteurer aus Ostindien zurückgekehrt, die Altengland mit ihren dort erworbenen Schätzen in athemloses Erstaunen versetzten. Voller Ehrgeiz wetteiferte Fordyce mit diesen Nabobs, ließ Kirchen bauen, gründete Hospitäler, wurde darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/271>, abgerufen am 22.07.2024.