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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Noch lange, nachdem die griechische Sprache in Italien untergegangen und
das Christenthum Staatsreligion geworden war, lebte in dem Volk eine Fülle von
heidnischen Erinnerungen, Bildern und Vorstellungen. Einzelnes davon hat
sich durch die Völkerstürme vor zweitausend Jahren bis auf die Gegenwart er¬
halten, und noch ist für uns erkennbar, daß in den ersten Jahrhunderten nach
Einführung des Christenthums in Italien sich überall uralte heidnische An¬
schauungen und Mythen in das christliche Leben, in den Cultus, die Mythen,
das Ritual, die Feste und Gebrauche eingeschlichen haben. Wie wir an den
altchristlichen Sculpturen die Naivetät bewundern, mit welcher heidnische Bil¬
dungen in christliche Vorstellungen gemischt werden, so ist überall, wo die
Phantasie des Volkes selbst zur Thätigkeit kam, eine solche Vermischung sicht¬
bar. Und grade wie wir in den deutschen Volksmärchen noch überall Götter
und Heldengestalten des deutschen Heidenthums in sehr veränderter Gestalt er¬
kennen, und wie in ihnen Wuotan und Donar manchmal das heilige Gewand
von Christus und den Aposteln und noch öfter den zerrissenen Rock eines
Handwerksburschen, eines beurlaubten Soldaten, eines jüngern Sohnes an¬
gezogen haben, grade so nahmen bei den bekehrten Römern die Gestalten alter
vertrauter Heidengötter entweder Namen,, oder Farbe und Gewand christlicher
Figuren an. Wie verhaßt, verfolgt, verflucht sie auch waren, sie drangen doch
in die kirchlichen Anekdoten und wandelten und veränderten diese durch Eigen¬
thümlichkeiten ihres Wesens, sie spielten ihre Rolle in den christlichen Festen,
und schielten aus den Bildern selbst der Apostel und der Heiligen, sogar aus
dem des Erlösers auf das Volk, welches ihnen untreu geworden war. Dies
war umsomehr der Fall, je unsicherer und spärlicher die historischen Nachrichten
von der Persönlichkeit der Kirchenheiligen, und je localer die menschlichen Be¬
ziehungen der christlichen Heiligen gewesen waren.

So kam es, daß die verschiedenen Legenden vom heiligen Hippolyt sich
ausbildeten. Die Erinnerungen an einen gelehrten Christen verbinden sich mit
denen von dem mythischen Helden, er wird von wilden Pferden zerrissen, er
wird vor den Thoren Ostiaö oder beim Portus im Westen Roms, wo die
Sonne untergeht, ins Meer versenkt, oder in eine Grube gelegt, sein Wohnort
sind die Tibermündungen, die Orte, wo den Römern ihr Sonnenheros untergeht.

So schimmert in der andern Hippolytlegende hinter dem Bild der kaiser¬
lichen Prinzessin Aurea die goldene Luna, die Tochter des Himmelskönigs
hervor, die sich mit dem strahlenden Tageshelden vermählen soll. Da sie dies
beharrlich nicht thut, so wird sie an entblößtem Leibe mit brennenden Fackeln
zu Tode gemartert. Auch hier kann man die Fackeln deS Sonnengottes erken¬
nen, an deren Glut die Mondfrau untergeht. Und wieder ist es der unter¬
gehende Sonnengott, der Hippolyt. der Rosselöser, der sie aus der Tiefe hervor¬
hebt, während er selbst darin versenkt wird.


Noch lange, nachdem die griechische Sprache in Italien untergegangen und
das Christenthum Staatsreligion geworden war, lebte in dem Volk eine Fülle von
heidnischen Erinnerungen, Bildern und Vorstellungen. Einzelnes davon hat
sich durch die Völkerstürme vor zweitausend Jahren bis auf die Gegenwart er¬
halten, und noch ist für uns erkennbar, daß in den ersten Jahrhunderten nach
Einführung des Christenthums in Italien sich überall uralte heidnische An¬
schauungen und Mythen in das christliche Leben, in den Cultus, die Mythen,
das Ritual, die Feste und Gebrauche eingeschlichen haben. Wie wir an den
altchristlichen Sculpturen die Naivetät bewundern, mit welcher heidnische Bil¬
dungen in christliche Vorstellungen gemischt werden, so ist überall, wo die
Phantasie des Volkes selbst zur Thätigkeit kam, eine solche Vermischung sicht¬
bar. Und grade wie wir in den deutschen Volksmärchen noch überall Götter
und Heldengestalten des deutschen Heidenthums in sehr veränderter Gestalt er¬
kennen, und wie in ihnen Wuotan und Donar manchmal das heilige Gewand
von Christus und den Aposteln und noch öfter den zerrissenen Rock eines
Handwerksburschen, eines beurlaubten Soldaten, eines jüngern Sohnes an¬
gezogen haben, grade so nahmen bei den bekehrten Römern die Gestalten alter
vertrauter Heidengötter entweder Namen,, oder Farbe und Gewand christlicher
Figuren an. Wie verhaßt, verfolgt, verflucht sie auch waren, sie drangen doch
in die kirchlichen Anekdoten und wandelten und veränderten diese durch Eigen¬
thümlichkeiten ihres Wesens, sie spielten ihre Rolle in den christlichen Festen,
und schielten aus den Bildern selbst der Apostel und der Heiligen, sogar aus
dem des Erlösers auf das Volk, welches ihnen untreu geworden war. Dies
war umsomehr der Fall, je unsicherer und spärlicher die historischen Nachrichten
von der Persönlichkeit der Kirchenheiligen, und je localer die menschlichen Be¬
ziehungen der christlichen Heiligen gewesen waren.

So kam es, daß die verschiedenen Legenden vom heiligen Hippolyt sich
ausbildeten. Die Erinnerungen an einen gelehrten Christen verbinden sich mit
denen von dem mythischen Helden, er wird von wilden Pferden zerrissen, er
wird vor den Thoren Ostiaö oder beim Portus im Westen Roms, wo die
Sonne untergeht, ins Meer versenkt, oder in eine Grube gelegt, sein Wohnort
sind die Tibermündungen, die Orte, wo den Römern ihr Sonnenheros untergeht.

So schimmert in der andern Hippolytlegende hinter dem Bild der kaiser¬
lichen Prinzessin Aurea die goldene Luna, die Tochter des Himmelskönigs
hervor, die sich mit dem strahlenden Tageshelden vermählen soll. Da sie dies
beharrlich nicht thut, so wird sie an entblößtem Leibe mit brennenden Fackeln
zu Tode gemartert. Auch hier kann man die Fackeln deS Sonnengottes erken¬
nen, an deren Glut die Mondfrau untergeht. Und wieder ist es der unter¬
gehende Sonnengott, der Hippolyt. der Rosselöser, der sie aus der Tiefe hervor¬
hebt, während er selbst darin versenkt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/260>, abgerufen am 22.12.2024.