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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Dieser im Ganzen vermittelnden Ansicht über die Person des Hippolyt
sei hier beigetreten, ohne daß dies Blatt den Anspruch erhebt, als Partei in
einer speciellen noch schwebenden Streitsrage der Theologie aufzutreten.

An dieser Stelle ist das Hauptinteresse, zu zeigen, wie über eine zu ihrer
Zeit so bekannte, als Schriftsteller berühmte Persönlichkeit in der christlichen
Kirche ein solches Gewirr von Mythen und abenteuerlichen Sagen entstehen
konnte. Denn daraus kann man sehen, wie unsre Gelehrten gegenwärtig die
Sagenbildung überhaupt auffassen.

Die griechisch geschriebenen Schriften des Hippolyt gingen den Römern
bald verloren. Von seinem Hauptwerk, Philosophumena, wurde das neunte
Buch, in welchem die Skandalgeschichten von anerkannten römischen Bischöfen
stehen, als zu anstößig wol unterdrückt oder außer Cours gesetzt, mit ihm
ging die Kunde von den persönlichen Beziehungen Hippolyts verloren. Er¬
halten blieben im Verkehr nur daS erste Buch deS Werkes als eine brauchbare
Uebersicht der griechischen Philosopheme und das letzte als ein ebenso brauch¬
bares Verzeichniß aller Ketzereien, es wurde getrennt vom Ganzen und ano¬
nym durch die späteren Kirchenlehrer benutzt. Und dazu kam, daß man schon
hundert Jahr nach Hippolyt in Rom nicht mehr viel griechisch kannte.

Im dritten Jahrhunderte war das Griechische noch die Sprache der Ge¬
bildeten in. Rom. Seit Konstantin der Große aber Byzanz zu Konstantinopel
machte und die Trennung der beiden Reichstheile dauernd wurde, ist die
Kenntniß des Griechischen in so reißender Schnelle in Rom zum Wegfall ge¬
kommen, daß folgender Fall im Anfang des fünften Jahrhunderts vorkam? Ne-
storius wandte sich in seiner Sprache brieflich an den römischen Bischof, dieser
verstand aber weder selbst das Griechische, noch war in Rom einer zu finden,
der den Brief des Nestorius übersetzen konnte, und es dauerte einige
Zeit, bis ein Uebersetzer aufzutreiben war. Kein Wunder, wenn seitdem auch
das neue Testament nur in dem barbarischen Latein der Vulgata bekannt
blieb. So wars denn noch im ganzen Mittelalter und als im 13. Jahrhun¬
dert die durch die Türken gescheuchten Griechen nach dem Occident flüchteten
und unsern Homer und Plato und auch das neue Testament in der Ursprache
mitbrachten, da schrien die Mönche laut auf: "da haben sie eine neue Ketzer¬
sprache erfunden."

So gingen Hippolyts Werke dem Abendland überhaupt zu Grunde, man
vergaß hier den Kirchenlehrer völlig. Es blieb nur das dunkle Gerücht, daß
der gefeierte Mann dieses Namens häretische Ansichten gehabt habe. Außerdem
dauerte in der allgemeinen Kunde nur die glänzende Lichtseite, der Martyrer-
schein, der heilige Hippolyt fort, und jeweiliger man von ihm wußte, um so
ungestörter konnte sich die Phantasie des Namens bemächtigen.

Der Name bedeute! nun im alten Griechisch einen solchen, der die Rosse


Dieser im Ganzen vermittelnden Ansicht über die Person des Hippolyt
sei hier beigetreten, ohne daß dies Blatt den Anspruch erhebt, als Partei in
einer speciellen noch schwebenden Streitsrage der Theologie aufzutreten.

An dieser Stelle ist das Hauptinteresse, zu zeigen, wie über eine zu ihrer
Zeit so bekannte, als Schriftsteller berühmte Persönlichkeit in der christlichen
Kirche ein solches Gewirr von Mythen und abenteuerlichen Sagen entstehen
konnte. Denn daraus kann man sehen, wie unsre Gelehrten gegenwärtig die
Sagenbildung überhaupt auffassen.

Die griechisch geschriebenen Schriften des Hippolyt gingen den Römern
bald verloren. Von seinem Hauptwerk, Philosophumena, wurde das neunte
Buch, in welchem die Skandalgeschichten von anerkannten römischen Bischöfen
stehen, als zu anstößig wol unterdrückt oder außer Cours gesetzt, mit ihm
ging die Kunde von den persönlichen Beziehungen Hippolyts verloren. Er¬
halten blieben im Verkehr nur daS erste Buch deS Werkes als eine brauchbare
Uebersicht der griechischen Philosopheme und das letzte als ein ebenso brauch¬
bares Verzeichniß aller Ketzereien, es wurde getrennt vom Ganzen und ano¬
nym durch die späteren Kirchenlehrer benutzt. Und dazu kam, daß man schon
hundert Jahr nach Hippolyt in Rom nicht mehr viel griechisch kannte.

Im dritten Jahrhunderte war das Griechische noch die Sprache der Ge¬
bildeten in. Rom. Seit Konstantin der Große aber Byzanz zu Konstantinopel
machte und die Trennung der beiden Reichstheile dauernd wurde, ist die
Kenntniß des Griechischen in so reißender Schnelle in Rom zum Wegfall ge¬
kommen, daß folgender Fall im Anfang des fünften Jahrhunderts vorkam? Ne-
storius wandte sich in seiner Sprache brieflich an den römischen Bischof, dieser
verstand aber weder selbst das Griechische, noch war in Rom einer zu finden,
der den Brief des Nestorius übersetzen konnte, und es dauerte einige
Zeit, bis ein Uebersetzer aufzutreiben war. Kein Wunder, wenn seitdem auch
das neue Testament nur in dem barbarischen Latein der Vulgata bekannt
blieb. So wars denn noch im ganzen Mittelalter und als im 13. Jahrhun¬
dert die durch die Türken gescheuchten Griechen nach dem Occident flüchteten
und unsern Homer und Plato und auch das neue Testament in der Ursprache
mitbrachten, da schrien die Mönche laut auf: „da haben sie eine neue Ketzer¬
sprache erfunden."

So gingen Hippolyts Werke dem Abendland überhaupt zu Grunde, man
vergaß hier den Kirchenlehrer völlig. Es blieb nur das dunkle Gerücht, daß
der gefeierte Mann dieses Namens häretische Ansichten gehabt habe. Außerdem
dauerte in der allgemeinen Kunde nur die glänzende Lichtseite, der Martyrer-
schein, der heilige Hippolyt fort, und jeweiliger man von ihm wußte, um so
ungestörter konnte sich die Phantasie des Namens bemächtigen.

Der Name bedeute! nun im alten Griechisch einen solchen, der die Rosse


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[0258] Dieser im Ganzen vermittelnden Ansicht über die Person des Hippolyt sei hier beigetreten, ohne daß dies Blatt den Anspruch erhebt, als Partei in einer speciellen noch schwebenden Streitsrage der Theologie aufzutreten. An dieser Stelle ist das Hauptinteresse, zu zeigen, wie über eine zu ihrer Zeit so bekannte, als Schriftsteller berühmte Persönlichkeit in der christlichen Kirche ein solches Gewirr von Mythen und abenteuerlichen Sagen entstehen konnte. Denn daraus kann man sehen, wie unsre Gelehrten gegenwärtig die Sagenbildung überhaupt auffassen. Die griechisch geschriebenen Schriften des Hippolyt gingen den Römern bald verloren. Von seinem Hauptwerk, Philosophumena, wurde das neunte Buch, in welchem die Skandalgeschichten von anerkannten römischen Bischöfen stehen, als zu anstößig wol unterdrückt oder außer Cours gesetzt, mit ihm ging die Kunde von den persönlichen Beziehungen Hippolyts verloren. Er¬ halten blieben im Verkehr nur daS erste Buch deS Werkes als eine brauchbare Uebersicht der griechischen Philosopheme und das letzte als ein ebenso brauch¬ bares Verzeichniß aller Ketzereien, es wurde getrennt vom Ganzen und ano¬ nym durch die späteren Kirchenlehrer benutzt. Und dazu kam, daß man schon hundert Jahr nach Hippolyt in Rom nicht mehr viel griechisch kannte. Im dritten Jahrhunderte war das Griechische noch die Sprache der Ge¬ bildeten in. Rom. Seit Konstantin der Große aber Byzanz zu Konstantinopel machte und die Trennung der beiden Reichstheile dauernd wurde, ist die Kenntniß des Griechischen in so reißender Schnelle in Rom zum Wegfall ge¬ kommen, daß folgender Fall im Anfang des fünften Jahrhunderts vorkam? Ne- storius wandte sich in seiner Sprache brieflich an den römischen Bischof, dieser verstand aber weder selbst das Griechische, noch war in Rom einer zu finden, der den Brief des Nestorius übersetzen konnte, und es dauerte einige Zeit, bis ein Uebersetzer aufzutreiben war. Kein Wunder, wenn seitdem auch das neue Testament nur in dem barbarischen Latein der Vulgata bekannt blieb. So wars denn noch im ganzen Mittelalter und als im 13. Jahrhun¬ dert die durch die Türken gescheuchten Griechen nach dem Occident flüchteten und unsern Homer und Plato und auch das neue Testament in der Ursprache mitbrachten, da schrien die Mönche laut auf: „da haben sie eine neue Ketzer¬ sprache erfunden." So gingen Hippolyts Werke dem Abendland überhaupt zu Grunde, man vergaß hier den Kirchenlehrer völlig. Es blieb nur das dunkle Gerücht, daß der gefeierte Mann dieses Namens häretische Ansichten gehabt habe. Außerdem dauerte in der allgemeinen Kunde nur die glänzende Lichtseite, der Martyrer- schein, der heilige Hippolyt fort, und jeweiliger man von ihm wußte, um so ungestörter konnte sich die Phantasie des Namens bemächtigen. Der Name bedeute! nun im alten Griechisch einen solchen, der die Rosse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/258>, abgerufen am 22.07.2024.