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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Pius IX. hat Bunsens Werk damit widerlegt, daß er es auf den Inder
gesetzt hat, womit denn wol die Debatte überhaupt geschlossen sein sollte. Das
hat jedoch in Deutschland wenig geholfen: vielmehr ist sie um so lebendiger
fortgeführt worden von den bedeutendsten Kirchenhistorikern aller Fractionen.
Zunächst hat Gieseler, nachdem Bunsen von der göttinger theologischen Facul-
tät für sein Werk mit dem Doctorhut gefeiert war, dessen Annahmen zwar im
Wesentlichen beibehalten, um darauf hin die dogmengeschichtliche Bewegung in
jener Zeit neu zu construiren, jedoch hat er schon gar manches in Bunsens
Unterstellungen und Folgerungen verwerfen müssen. Dann hat F. Ch. Baur
die ganze Voraussetzung, worauf die neu erwachte Hippolytusfrage beruht, die
Annahme, kein anderer als der bis dahin sowenig gekannte Hippolytus sei
der Verfasser des neuausgefundencn griechischen Werkes auss scharfsinnigste und
bestimmteste verurtheilt. Es sei vielmehr das überwiegend Wahrscheinliche, daß
jener andere römische Schriftsteller Cajus der Urheber sei und Bunsens ganze
Construction sei die willkürlichste und unhaltbarste der Welt. Was aber die
Citate aus dem Johannesevangelium im Besondern betrifft, so ist die kritische
Grundvoraussetzung über die Zeit des Hervortretens des vierten Evangeliums
dadurch in der That ganz unberührt geblieben. Endlich hat auch der Katholik
Jos. Döllinger in München, großentheils mit Baur zusammentreffend, Bunsens
Versuch aufs siegreichste bekämpft, zugleich nach andern Seiten hin das Un¬
geschichtliche in seinen Unterstellungen, das Willkürliche seiner Folgerungen an
den Tag gelegt und zwar hat er die Grundvorstellung festgehalten, Hippolyt
sei allerdings der Verfasser, die Anklagen aber gegen den Papst Callirtus und
seine Kirche seien dahin umzudrehen, daß in diesem Papste eine bewunderungs¬
würdige Größe mehr in der Reihe der römischen Bischöfe und in ihm zugleich
ein Vertreter kirchlicher Orthodoxie hervortrete, in Hippolyt dagegen, dem Ge-
genbischose zu Rom selbst, nicht blos der leidenschaftlichste Haß, sondern
auch wirkliche Irrlehre. Baur hat jedoch alsbald hiergegen wie gegen einen
Versuch von Ritschl die ganze Hippolytusunterstellung abermals eingehend be¬
stritten, lebhaft dabei von Hilgenfeld im literarischen Centralblatt fecundirt:
Cajus soll der Verfasser sein, die Statue sei unecht und so fort. Gustav
Volkmar in Zürich endlich hat die ganze Streitsache nochmals erörtert und nach
gründlicher Untersuchung sich dahin entschieden, daß allerdings Hippolyt der
Verfasser der gefundenen Schrift sei; dieser Hippolyt war ein Römer, Gegen¬
bischof des Calirtus, von diesem als Anhänger der entstehenden damaligen
Dreieinigkeitslehre und als Zweigötterer ercommunicirt, von seiner kleinen Ge¬
meinde aber um so höher gefeiert; auch durch die Statue. Sein Schicksal
war, zugleich mit seinem letzten Gegenpapst in die Bergwerke Sardiniens de-
portirt und dort Märtyrer zu werden. Im Uebrigen steht der Verfasser,
namentlich gegenüber Bunsen, auf Baurs Seite.


Grenzboten. III. -I8on. 32

Pius IX. hat Bunsens Werk damit widerlegt, daß er es auf den Inder
gesetzt hat, womit denn wol die Debatte überhaupt geschlossen sein sollte. Das
hat jedoch in Deutschland wenig geholfen: vielmehr ist sie um so lebendiger
fortgeführt worden von den bedeutendsten Kirchenhistorikern aller Fractionen.
Zunächst hat Gieseler, nachdem Bunsen von der göttinger theologischen Facul-
tät für sein Werk mit dem Doctorhut gefeiert war, dessen Annahmen zwar im
Wesentlichen beibehalten, um darauf hin die dogmengeschichtliche Bewegung in
jener Zeit neu zu construiren, jedoch hat er schon gar manches in Bunsens
Unterstellungen und Folgerungen verwerfen müssen. Dann hat F. Ch. Baur
die ganze Voraussetzung, worauf die neu erwachte Hippolytusfrage beruht, die
Annahme, kein anderer als der bis dahin sowenig gekannte Hippolytus sei
der Verfasser des neuausgefundencn griechischen Werkes auss scharfsinnigste und
bestimmteste verurtheilt. Es sei vielmehr das überwiegend Wahrscheinliche, daß
jener andere römische Schriftsteller Cajus der Urheber sei und Bunsens ganze
Construction sei die willkürlichste und unhaltbarste der Welt. Was aber die
Citate aus dem Johannesevangelium im Besondern betrifft, so ist die kritische
Grundvoraussetzung über die Zeit des Hervortretens des vierten Evangeliums
dadurch in der That ganz unberührt geblieben. Endlich hat auch der Katholik
Jos. Döllinger in München, großentheils mit Baur zusammentreffend, Bunsens
Versuch aufs siegreichste bekämpft, zugleich nach andern Seiten hin das Un¬
geschichtliche in seinen Unterstellungen, das Willkürliche seiner Folgerungen an
den Tag gelegt und zwar hat er die Grundvorstellung festgehalten, Hippolyt
sei allerdings der Verfasser, die Anklagen aber gegen den Papst Callirtus und
seine Kirche seien dahin umzudrehen, daß in diesem Papste eine bewunderungs¬
würdige Größe mehr in der Reihe der römischen Bischöfe und in ihm zugleich
ein Vertreter kirchlicher Orthodoxie hervortrete, in Hippolyt dagegen, dem Ge-
genbischose zu Rom selbst, nicht blos der leidenschaftlichste Haß, sondern
auch wirkliche Irrlehre. Baur hat jedoch alsbald hiergegen wie gegen einen
Versuch von Ritschl die ganze Hippolytusunterstellung abermals eingehend be¬
stritten, lebhaft dabei von Hilgenfeld im literarischen Centralblatt fecundirt:
Cajus soll der Verfasser sein, die Statue sei unecht und so fort. Gustav
Volkmar in Zürich endlich hat die ganze Streitsache nochmals erörtert und nach
gründlicher Untersuchung sich dahin entschieden, daß allerdings Hippolyt der
Verfasser der gefundenen Schrift sei; dieser Hippolyt war ein Römer, Gegen¬
bischof des Calirtus, von diesem als Anhänger der entstehenden damaligen
Dreieinigkeitslehre und als Zweigötterer ercommunicirt, von seiner kleinen Ge¬
meinde aber um so höher gefeiert; auch durch die Statue. Sein Schicksal
war, zugleich mit seinem letzten Gegenpapst in die Bergwerke Sardiniens de-
portirt und dort Märtyrer zu werden. Im Uebrigen steht der Verfasser,
namentlich gegenüber Bunsen, auf Baurs Seite.


Grenzboten. III. -I8on. 32
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[0257] Pius IX. hat Bunsens Werk damit widerlegt, daß er es auf den Inder gesetzt hat, womit denn wol die Debatte überhaupt geschlossen sein sollte. Das hat jedoch in Deutschland wenig geholfen: vielmehr ist sie um so lebendiger fortgeführt worden von den bedeutendsten Kirchenhistorikern aller Fractionen. Zunächst hat Gieseler, nachdem Bunsen von der göttinger theologischen Facul- tät für sein Werk mit dem Doctorhut gefeiert war, dessen Annahmen zwar im Wesentlichen beibehalten, um darauf hin die dogmengeschichtliche Bewegung in jener Zeit neu zu construiren, jedoch hat er schon gar manches in Bunsens Unterstellungen und Folgerungen verwerfen müssen. Dann hat F. Ch. Baur die ganze Voraussetzung, worauf die neu erwachte Hippolytusfrage beruht, die Annahme, kein anderer als der bis dahin sowenig gekannte Hippolytus sei der Verfasser des neuausgefundencn griechischen Werkes auss scharfsinnigste und bestimmteste verurtheilt. Es sei vielmehr das überwiegend Wahrscheinliche, daß jener andere römische Schriftsteller Cajus der Urheber sei und Bunsens ganze Construction sei die willkürlichste und unhaltbarste der Welt. Was aber die Citate aus dem Johannesevangelium im Besondern betrifft, so ist die kritische Grundvoraussetzung über die Zeit des Hervortretens des vierten Evangeliums dadurch in der That ganz unberührt geblieben. Endlich hat auch der Katholik Jos. Döllinger in München, großentheils mit Baur zusammentreffend, Bunsens Versuch aufs siegreichste bekämpft, zugleich nach andern Seiten hin das Un¬ geschichtliche in seinen Unterstellungen, das Willkürliche seiner Folgerungen an den Tag gelegt und zwar hat er die Grundvorstellung festgehalten, Hippolyt sei allerdings der Verfasser, die Anklagen aber gegen den Papst Callirtus und seine Kirche seien dahin umzudrehen, daß in diesem Papste eine bewunderungs¬ würdige Größe mehr in der Reihe der römischen Bischöfe und in ihm zugleich ein Vertreter kirchlicher Orthodoxie hervortrete, in Hippolyt dagegen, dem Ge- genbischose zu Rom selbst, nicht blos der leidenschaftlichste Haß, sondern auch wirkliche Irrlehre. Baur hat jedoch alsbald hiergegen wie gegen einen Versuch von Ritschl die ganze Hippolytusunterstellung abermals eingehend be¬ stritten, lebhaft dabei von Hilgenfeld im literarischen Centralblatt fecundirt: Cajus soll der Verfasser sein, die Statue sei unecht und so fort. Gustav Volkmar in Zürich endlich hat die ganze Streitsache nochmals erörtert und nach gründlicher Untersuchung sich dahin entschieden, daß allerdings Hippolyt der Verfasser der gefundenen Schrift sei; dieser Hippolyt war ein Römer, Gegen¬ bischof des Calirtus, von diesem als Anhänger der entstehenden damaligen Dreieinigkeitslehre und als Zweigötterer ercommunicirt, von seiner kleinen Ge¬ meinde aber um so höher gefeiert; auch durch die Statue. Sein Schicksal war, zugleich mit seinem letzten Gegenpapst in die Bergwerke Sardiniens de- portirt und dort Märtyrer zu werden. Im Uebrigen steht der Verfasser, namentlich gegenüber Bunsen, auf Baurs Seite. Grenzboten. III. -I8on. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/257>, abgerufen am 25.08.2024.